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Kunstberichte

Der Kunstkönig in der toten Stadt

Oberes Belvedere: Überblick über die "Neukunstgruppe", bestehend aus Egon Schiele und seinem Kreis
Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Kann man in Wien nach den Ausstellungen im Wien- und Leopoldmuseum und zuletzt in der Albertina noch etwas Neues über Egon Schiele sagen? Tobias Natter, mittlerweile Direktor des Vorarlberger Landesmuseums in Bregenz, und Thomas Trummer als Kuratoren von "Die Tafelrunde. Egon Schiele und sein Kreis" können.

Im Zuge seiner Recherchen zum Mäzenatentum und Kunsthändlern der frühen Wiener Moderne, stieß Natter auf das in Privatbesitz verborgen gehaltene Ölbild "Die Tafelrunde", das Schiele 1918 gemalt hat. Darauf basiert das Konzept der Schau in sechs Kapiteln, die nicht weniger behaupten, als dass Schiele nicht als Solitär gesehen werden kann und die "Neukunstgruppe" genauso wichtig ist wie der Münchner "Blaue Reiter."

Auf dem Gemälde stellt sich Schiele mit einem Teil seiner bruderschaftlichen Männerrunde ganz in Weiß an der Spitze der Tafel dar.

Schiele als Artus

Vorne in Rückansicht ist Gustav Klimt zu sehen. Nach dessen Tod meinte sich der von ihm geförderte Schiele mit seinem endlich erfolgreichen frühexpressionistischen Malstil als neuer König Artus, doch er starb noch im gleichen Jahr. Die Freundesrunde nimmt mit der Gründung der "Neukunstgruppe" 1909 ihren Ausgang. Schon damals war der junge Rebell, der mit anderen die traditionell agierende Akademie verlassen hatte, eingebettet in eine Runde Gleichgesinnter.

Bekannt bis heute sind die Maler Anton Faistauer, Franz Wiegele, Hans Boehler, Anton Peschka, Albert Paris Gütersloh oder Rudolf Kalvach. Unbekannt geblieben ist eine ganze Gruppe von Künstlerinnen, die für ihre Kunst in der modernen Galerie Pisko die einzige Heimat fanden.

Der Katalog dieser ersten Schau der "Neukunstgruppe" galt ebenso als verschollen – und wird hier neben dem Akademie-Zeugnis Schieles gezeigt, wobei nicht nur seine Menschendarstellung mit "genügend" beurteilt wurde.

Schieles Werke wurden danach in einer Schau der Gruppe in Prag wegen Pornografieverdacht entfernt, er stellte wenig später mit Arnold Schönberg Malerei in Budapest aus und mit Oskar Kokoschka im Hagenbund. Sein Umfeld erweitert sich auch um Max Oppenheimer, Anton Kolig und Felix Albrecht Harta.

Der "Kuss" als Altar

Als eine Art Weiheraum mit schwarzen Vorhängen gestalteten die Kuratoren die Gegenüberstellung Schieles mit Klimt; in dieser ästhetischen Kirche wird die ekstatische Stilisierung des Jüngeren als Priesterkünstler in Werken wie "Kardinal und Nonne" oder "Die Eremiten" spürbar. Klimts "Kuss" als Altar oder irdisches Paradies steht die dunkle Revolte des Expressiven gegenüber.

Nach vielen wichtigen Porträts sind im letzten Raum die wesentlichen Bilder der 49. Secessionsausstellung noch einmal vereint neben dem Katalog und unbekannten Dokumenten.

Dies und die internationalen Leihgaben, vor allem jene aus Privatbesitz, machen diese Geschichte einer Wegbegleitung durch Männerfreundschaften sehr spannend.

Egon Schiele und sein Kreis

Kuratoren: Tobias Natter, Thomas Trummer

Österreichische Galerie Belvedere

Zu sehen bis 24. September

Pointenreich.

Mittwoch, 14. Juni 2006


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