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Ausstellung: „Jeder Mensch verdient den Tod“

14.05.2008 | 18:36 | NORBERT MAYER (Die Presse)

Die Österreichische Nationalbibliothek hat Blut geleckt. Sie widmet sich dem Verbrechen.

Die schönsten Morde werden in Bibliotheken begangen. Das weiß der Laie seit Umberto Ecos Bestseller „Der Name der Rose“. In jenem Roman werden schreibende und lesende Mönche reihenweise ins Jenseits gebracht. Auch in der Österreichischen Nationalbibliothek kann man sich nun in die Welt der Verbrechen versenken; bis 2.November sind im Prunksaal „Blutige Geschichte(n)“ zu betrachten, und zwar von biblischer Zeit bis zu den schönsten Gemetzeln der mörderischen Banden in Chicago, von der unheimlichen „Weiberlist“ bis zum unheimlich heroischen Tyrannenmord.

Grundlage für die von Hannes Etzlstorfer kuratierte Schau sind Prachtbände mit Darstellungen von Kain und Abel (eine Handschrift aus dem 14. Jahrhundert), mit Zeichnungen von Märtyrerlegenden und politischen Morden. Aber auch Groschenromane, Polizeiberichte, Filmplakate, Zeitungsartikel und ausgesuchtes Handwerkszeug des Tötens werden gezeigt. Einige Bilder aus kriminalistischen Handbüchern schockieren und sind nichts für schwache Nerven. „Angesetzter Schrotschuss gegen linke Kinnregion“ heißt es beiläufig zum Foto eines blutigen Schädels, bei dem die obere Hälfte fehlt. Auch die Zeichnungen von indianischen Kannibalen wird man an Grausamkeit kaum überbieten. Das war den Conquistadoren zum Zwecke der Propaganda wohl recht. Prominente Leichen pflastern den Weg durch den Lesesaal: Mussolini, Dillinger, Franz Ferdinand, Siegfried oder der gemeuchelte Wallenstein. Fast ein bisschen zu facettenreich und ambitioniert ist die Schau angelegt. Ihr Ordnungsschema erschließt sich am besten über den Katalog mit elf ausgesuchten Essays.

„Aus der richtigen Perspektive betrachtet, verdient jeder Mensch den Tod“, schrieb der pessimistische amerikanische Schriftsteller Jack London. Wenn man den kulturhistorischen Streifzug in der ÖNB bilanziert, dürfte diese Erkenntnis bis auf Ausnahme-Zeiten „common sense“ gewesen sein.


„Und die ganze Welt wird blind sein“

Ritualmorde, Pogrome, Lynchjustiz, und die ständige religiös motivierte Gewalt treten in allen nur erdenklichen Variationen auf. Am freundlichsten sind noch die literarischen Morde, die cineastischen und theatralischen. Edgar Allan Poe und Agatha Christie, Alfred Hitchcock und William Shakespeare werden ob ihrer grausamen Erfindungsgabe gewürdigt. Friedliche Geister sind die Ausnahme; Mahatma Gandhi warnt bis auf Weiteres wohl vergeblich: „Auge um Auge – und die ganze Welt wird blind sein.“

Bis 2. 11. 2008 im Prunksaal der Nationalbibliothek, Josefsplatz 1; Di. -So 10-18, Do. 10-21 Uhr. Katalog 19,90 €. Eintritt: 5€, ermäßigt 3 €. Führungen 2,50 €.

www.onb.ac.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2008)


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