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In der Hitze der Nacht

Dieser Tage feiert das Museumsquartier seinen fünften Geburtstag. Die meisten MQ-Mieter feiern nicht mit. Wie tief ist die Kluft zwischen der Dachmarke MQ und den einzelnen Kulturanbietern immer noch? Wie stark profitieren Gastronomie und Kultur voneinander?
 
Falter 27/2006 vom 5.7.2006
Ressort Kultur > Museumsquartier
Autor Matthias Dusini

Infobox Interview Wolfgang Waldner

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Wolfgang Waldner hat das Museumsquartier zu einer Erfolgsgeschichte gemacht“, streute Kulturministerin Elisabeth Gehrer dem Direktor der MQ-Errichtungs- und BetriebsgesmbH (MQ E+B) Mitte Juni Rosen. Und der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny legte noch ein Schäuferl drauf: „Man kann sich gar nicht vorstellen, dass es das MQ nicht gibt.“ Über drei Millionen Besucher strömen jährlich in das Kulturareal an der Zweierlinie; vor der Eröffnung am 29. Juni 2001 hatte man mit nicht mehr als 1,3 Millionen gerechnet. „Kultur für alle!“, lautet das Motto der aktuellen MQ-Werbekampagne. Sie besteht aus Fotos dieses Slogans, der in Sprayermanier mit Schablonen auf Mauern und Türen geschrieben wurde; daneben prangt das MQ-Logo auf einer brennenden Kugel. Doch auch solch kulturrevolutionäre Signale konnten die großen MQ-Mieter nicht bewegen, in den Jubel Waldners einzustimmen.
„Waldner, wer ist das?“, stellt sich Dietmar Steiner, Chef des Architekturzentrums Wien (AzW), dumm. „An den Argumenten hat sich in den letzten Jahren nichts geändert, leider“, verweigert auch Edelbert Köb, Direktor des Museums moderner Kunst (Mumok), jeden Kommentar zum Jubiläum. Und sogar der sonst so eloquente Gerald Matt lässt ausrichten, er würde erst im nächsten Jahr feiern, beim 15. Geburtstag der von ihm geleiteten Kunsthalle Wien. Schon vor fünf Jahren zeigte Matt den MQ-Leuten die lange Nase, indem er die Eröffnung der Kunsthalle kurz vor der großen Einweihung ansetzte. Handelt es sich bei diesen Misstönen lediglich um den Hahnenkampf profilierungssüchtiger Kulturmanager, die einem Kollegen den Erfolg neiden? Oder hat Waldners Fünfjahresplan eine Parallelwelt zwischen Schanigarten und Kultur, zwischen cooler Hülle und tiefem Inhalt erzeugt?
Die Eröffnung des MQ war der unter Biegen und Brechen zustande gekommene Kompromiss zwischen brachialen Denkmalpflegern und Befürwortern einer modernen Architektur, welche die barocke Zweckarchitektur Johann Bernhard Fischer von Erlachs in den Hintergrund treten lässt. Nach dem Vorbild des Pariser Centre Pompidou sollte in den ehemaligen kaiserlichen Pferdeställen ein urbaner, Kultur und Unterhaltung miteinander verbindender Treffpunkt entstehen. Von dem siegreichen Wettbewerbsentwurf der Brüder Laurids und Manfred Ortner blieb nach Bürgerinitiativen, Krone-Kampagne und politischem Störfeuer nicht mehr viel übrig. Der designierte Bürgermeister Michael Häupl 1994 über den als weithin sichtbare Landmarke gedachten Leseturm: „Das ist nicht Ausdruck sozialistischer Kulturpolitik, sondern Schrott.“ Die Kronen Zeitung brachte den als Bibliothek für Gegenwartskultur geplanten Turm zu Fall: „Museumsquartier ist ein Tumor“, hetzte die Zeitung 1992. Die Kunsthalle Wien sollte eigentlich dort gebaut werden, wo nun der weiße Würfel der Sammlung Leopold steht. Das Museum moderner Kunst wurde kleiner gebaut als geplant; statt in die Höhe zu wachsen wurde es in die Erde versenkt. Dann kam noch das Gebäude der vom Staat angekauften Sammlung Leopold dazu. „Das Museumsquartier ist gescheitert“, schrieb der Architekturkritiker Jan Tabor vor fünf Jahren im Falter. Statt einer Akropolis sei hier eine Nekropolis entstanden.
Betritt man heute die Innenhöfe des MQ, riecht es nach blühendem Leben, nicht nach Friedhof. Nur Sascha hat einen schlechten Tag. „War gerade ein Kollege hier?“, fragt der Punk im Schottenrock höflich. Tatsächlich versuchte keine fünf Minuten vorher bereits ein anderer Augustin-Verkäufer, die Gäste des Restaurants zu einem Kauf der Obdachlosenzeitung zu überreden. „Heute sind sieben Verkäufer unterwegs. Sieben! Da geht fast gar nichts“, sagt Sascha. Auf dem zentralen Platz ist einiges los. Die Gastgärten (siehe dazu auch den Beitrag im Stadtleben, Seite 70) sind gut gefüllt – mit Flip-Flops tragenden Kulturmenschen, mit Geschäftsleuten im Anzug, Touristen und Studenten, die sich eine Hauptspeise leisten können. Auf einigen heidelbeerfarbenen Kunststoffblöcken sonnen sich junge Menschen; ihre Tattoos sind dezent. Der Prollfaktor geht in diesem Ambiente der gehobenen Freizeitgestaltung gegen null. Auf Holzbänken sitzen die, die lesen wollen und auf dem Laptop schreiben oder einfach nur schauen. „Bobos Stadtwohnzimmer“, nennt AzW-Chef Steiner diesen Ort. Die kulturelle Umgebung hebt das MQ von anderen sommerlichen Fress- und Saufmeilen wie dem Rathausplatz ab. Sie wirkt wie ein Filter für die Shoppingmassen der Mariahilfer Straße, deren logische Fortsetzung das Areal eigentlich darstellt. Für die Kritiker des MQ-Marketings sollte der Filter noch stärker sein. In ihren Augen gibt es hier nur Szenelokale, aber keine Kunstszene; das klassische Museumspublikum werde davon nicht angezogen. Dietmar Steiner kann die Frage nach einer Verzahnung zwischen kultureller und gastronomischer Nutzung nicht ernst nehmen: „Ist das ironisch gemeint? Komm, Schatzi, trink deinen Daiquiri aus, wir wollen uns doch noch die Ausstellung ansehen?“

Verantwortlich für das bunte Treiben ist Wolfgang Waldner, seit 1999 Geschäftsführer der MQ E+B und als solcher dafür zuständig, dass das Werkl läuft. Er stellt den Mietern die Betriebskosten in Rechnung und vermietet die nicht fix vergebenen fünf Prozent des Areals (Quartier 21). Wenn ein Unternehmen für eine Präsentation im Innenhof ein Zelt aufschlagen will, muss es sich an Waldners Büro wenden. Wenn das AzW im Innenhof eine Party macht, muss es im Auftrag Waldners einen Wasserzähler installieren. Ohne dessen Genehmigung darf das Mumok kein Plakat an der eigenen Außenfassade installieren. Die Einnahmen der MQ GesmbH mehrt Waldner durch einen großen Shop mit Souvenir- und Geschenkartikeln.
Dieser die gewöhnlichen Aufgaben eines Hausmeisters weit übersteigende Aktionsradius barg von Anfang an jede Menge Ärger. Maßlosen Bürokratismus werfen ihm die Mieter vor, vor allem aber auch die Doppelfunktion als „Facility Manager“ (so nennt sich die zeitgenössische Version eines Hausmeisters) und Mitbewerber. Der politische Hintergrund ließ das Feuer prächtig lodern. Zu Beginn der Bauarbeiten bestellten ihn Ministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) und Bürgermeister Häupl (SPÖ) dann einvernehmlich zum MQ-Direktor. Nach dem Regierungswechsel im Winter 2000 wurde er zum Buhmann für die Kritiker der schwarz-blauen Kulturpolitik. Martin Wassermair etwa, der Geschäftsführer der Public Netbase, nannte ihn den „schwarz-blauen Exekutor“. Im Sommer 2001 erhielt der Computerverein eine Räumungsklage, um – so Waldners Argumentation – mit der noch anstehenden Renovierung beginnen zu können; für die Public Netbase war das eine Kriegserklärung, der aufmüpfige Verein sollte vom Areal verschwinden. Frustriert verließ die Public Netbase das Gelände (siehe auch Seite 20); später zog auch der Theorieverein Depot aus.
Den sachlichen Hintergrund des Gerangels bildet bis heute ein Machtkampf zwischen Großmietern und der Errichtungsgesellschaft über die Vergabe von Flächen für Shops und Gastronomie. Eine zentrale, von der Errichtungsgesellschaft verpachtete Buchhandlung und der MQ-Shop saugen Einnahmen ab. Die Standortwerbung setzt erfolgreich auf die Vermarktung eines jungen und coolen Abhängortes. Die einzelnen Institutionen müssen dem mit eigenen Budgets schwerer vermittelbare Ausstellungsinhalte entgegensetzen. In den schwammigen Werbesujets – derzeit kämpft ein „MQ-Man“ in Supermankostüm „um die kulturelle Vielfalt in Wien“ (Pressetext) – erkennen sie das eigene Programm nicht wieder. Obwohl die Kunsthalle Wien auf dasselbe Publikum abzielt wie die MQ-Werbung, hat sie sinkende Besucherzahlen. Beide werben derzeit mit derselben psychedelischen Typografie, die Kunsthalle für die Ausstellung „Summer of Love“, das MQ für den „Sommer im MQ“. Schon jetzt ist klar, für welchen Sommer sich die Städter in der Mehrzahl entscheiden werden.
Für Dietmar Steiner vom AzW ist der ursprünglich erhoffte Synergieeffekt ausgeblieben. Durch den Aktionismus der MQ-Verwaltung würde kein einziger Besucher mehr in das AzW kommen. Die Sammlung Leopold kann gute Besucherzahlen vorweisen, obwohl sie sich öffentlich betulicher darstellt als das auf jugendlich getrimmte MQ. Stephan Rabl bezeichnet das Verhältnis des von ihm geleiteten Kinder- und Jugendtheaters Dschungel Wien zur MQ E+B als in „positivem Ruhestand“ befindlich. Die Synergieeffekte durch das Nebeneinander vieler Institutionen hielten sich in Grenzen. Er vergleicht das MQ mit einer Shoppingmall, in der verschiedene Anbieter dasselbe verkaufen müssten, nämlich Kunst. Entsprechend groß sei der Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Kunden. „Jeder schottet sich ab und sucht eher außerhalb nach Partnern statt in der Nachbarschaft.“ Rabl plagen derzeit aber andere Sorgen. Wie die anderen auf Kinder und Jugendliche ausgerichteten Einrichtungen im Fürstenhof – von Eltern auch „Kinderghetto“ genannt – befindet sich der Dschungel in einem Guerillakrieg mit lärmgeplagten Anrainern. Die kleinen MQ-Gäste werden von den in den oberen Etagen wohnenden Mietern unflätig beschimpft und mit Wasserbomben attackiert.
„Der Vorteil einer Massierung kultureller Einrichtungen wird leichtfertig verschenkt. Das MQ ist, obwohl mitten in der Stadt, von dieser abgeschnitten. Es liegt hinter hohen Mauern versteckt, sodass die Touristen zum Teil vorbeiwandern“, urteilte Mumok-Direktor Edelbert Köb 2002 nach einem Jahr MQ. Seither wurden zwar mehrere Wettbewerbe zur Vorplatzgestaltung ausgerufen, zuletzt war die Architektin Sophie Grell mit dem Projekt „Bühnen der Werbung“ erfolgreich. Geschehen ist seither nichts. Eine trostlose Reihe von Werbeplakaten säumt die Straße. Waldner hält dem entgegen, dass 3,2 Millionen Besucher auch ohne Leseturmersatz den Weg hinter die Barockfassade fanden. Der holländische Stadtforscher Bart Lootsma sieht keinen Grund, den Gesamterfolg des MQ durch solche Details infrage zu stellen. Er hält das von Waldners Vorgänger Dieter Bogner entwickelte Konzept einer Mischung aus großen Museen und unterschiedlichen kleineren Einrichtungen und Initiativen für ein einzigartiges städtebauliches Projekt. „Wien wurde durch die breitere Palette des touristischen Angebots gerettet“, sagt Lootsma und denkt dabei schaudernd an die Massen von Sex- und Alkoholtouristen, die die Altstadt Amsterdams überrollen. Selbst so erfolgreiche Museumsprojekte wie die Tate Modern in London oder das Centre Pompidou hätten gegenüber dem MQ den Nachteil, dass es dort nur einen Betreiber gibt.

Es soll heiß werden“, sagte der Architekt Laurids Ortner vor fünf Jahren über den zu befürchtenden Hitzestau in der Steinwüste des MQ. Schwer zu sagen, ob die Leute wegen oder trotz der Hitze kommen. Vor allem kommen sie wegen der Enzis. Der Name stammt von den Architekten Anna Popelka und Georg Poduschka (PPAG), die die beliebten Freiluftsitzmöbel entworfen haben; Namenspatronin ist die für die Sommer- und Winterunterhaltung in den Höfen zuständige MQ-Prokuristin Daniela Enzi. Für Jan Tabor sind die Enzis der Ersatz für die fehlende spannende Architektur. Sie böten das an, was in der Stadt sonst fehlt: einen Ort zum Verweilen. „Sie sind ein Schönwetterfreiplatzphänomen. Bei Schlechtwetter ist kein Mensch da, auf den Stiegen sitzt auch keiner. Die Museen stoßen die Menschen ab, es ist egal, was drinnen ist. Ich vermute: Wäre das MQ kein Treffpunkt, dann würden die Museen noch weniger Besucher haben.“
Tabor muss es wissen, ist er mit seinem Forum experimenteller Architektur doch selbst Mieter im Q21, das zu den Schwachstellen des Geländes gehört. Gedacht war das Q21 als Gegengewicht zu den großen Museumsblöcken. Das Erdgeschoß im Fischer-von-Erlach-Trakt war als kreative Avenue gedacht; hier sollte die junge Kunstszene brodeln, DJs mixen, Computernerds hacken, die Creative Industries durchstarten. Das Problem ist nur, dass das kaum jemandem auffällt. Das Gros der Besucher geht schnurstracks durch die Eingangstore und lässt die Büros, Ateliers und Ausstellungsräume des Q21 links liegen. Ursprünglich war geplant, dass man durch den ganzen Trakt wie durch eine Passage hindurchflanieren kann. In der Regel sind aber einige Teile abgesperrt, da sie für Veranstaltungen vermietet sind.
Marc Mathoi wäre mit seinem Büro für Flyer- und Plakatverteilung und Eventveranstaltungen Hand2Hand eigentlich der ideale Q21-Businessman. Er ist seit Beginn an hier, übersiedelte inzwischen bereits drei Mal. Auf die Frage nach den Synergien antwortete er sarkastisch: „Die MQ-Aufträge bekommt mein schärfster Konkurrent.“ Die sogenannten Zukunftskaffees, bei denen die Wünsche der Q21-Mieter angehört werden sollten, schliefen inzwischen ein, so wie die Kommunikation mit der MQ-Verwaltung insgesamt. „Auf einmal stehen hundert Räder herum. Da weiß ich, jetzt gibt’s eine Fahrradausstellung.“ Die Stimmung im MQ beschreibt er so: „Jeder gegen jeden und alle gegen Waldner.“
Der für das Q21 verantwortliche Vitus Weh verteidigt Waldner als „Schutzpatron für die Vielfalt und zeitgenössische Dynamik“. Ohne ihn hätten die großen, finanziell gut ausgestatteten Häuser längst ihre Büros und Depots vergrößert und die jungen Low-Budget-Initiativen aus dem Areal verdrängt. „Mir kommt’s inzwischen vor wie in einer Sitcom“, meint MQ-Mieter Mathoi. Trockener Nachsatz: „Fortsetzung folgt.“

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