In der Hitze der Nacht
| ||||||||||
diesen Falter bestellen |
Wolfgang Waldner hat das Museumsquartier zu einer Erfolgsgeschichte
gemacht“, streute Kulturministerin Elisabeth Gehrer dem Direktor der
MQ-Errichtungs- und BetriebsgesmbH (MQ E+B) Mitte Juni Rosen. Und der
Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny legte noch ein Schäuferl
drauf: „Man kann sich gar nicht vorstellen, dass es das MQ nicht gibt.“
Über drei Millionen Besucher strömen jährlich in das Kulturareal an der
Zweierlinie; vor der Eröffnung am 29. Juni 2001 hatte man mit nicht
mehr als 1,3 Millionen gerechnet. „Kultur für alle!“, lautet das Motto
der aktuellen MQ-Werbekampagne. Sie besteht aus Fotos dieses Slogans,
der in Sprayermanier mit Schablonen auf Mauern und Türen geschrieben
wurde; daneben prangt das MQ-Logo auf einer brennenden Kugel. Doch auch
solch kulturrevolutionäre Signale konnten die großen MQ-Mieter nicht
bewegen, in den Jubel Waldners einzustimmen.
„Waldner, wer ist das?“, stellt sich Dietmar Steiner, Chef des
Architekturzentrums Wien (AzW), dumm. „An den Argumenten hat sich in
den letzten Jahren nichts geändert, leider“, verweigert auch Edelbert
Köb, Direktor des Museums moderner Kunst (Mumok), jeden Kommentar zum
Jubiläum. Und sogar der sonst so eloquente Gerald Matt lässt
ausrichten, er würde erst im nächsten Jahr feiern, beim 15. Geburtstag
der von ihm geleiteten Kunsthalle Wien. Schon vor fünf Jahren zeigte
Matt den MQ-Leuten die lange Nase, indem er die Eröffnung der
Kunsthalle kurz vor der großen Einweihung ansetzte. Handelt es sich bei
diesen Misstönen lediglich um den Hahnenkampf profilierungssüchtiger
Kulturmanager, die einem Kollegen den Erfolg neiden? Oder hat Waldners
Fünfjahresplan eine Parallelwelt zwischen Schanigarten und Kultur,
zwischen cooler Hülle und tiefem Inhalt erzeugt?
Die Eröffnung des MQ war der unter Biegen und Brechen zustande
gekommene Kompromiss zwischen brachialen Denkmalpflegern und
Befürwortern einer modernen Architektur, welche die barocke
Zweckarchitektur Johann Bernhard Fischer von Erlachs in den Hintergrund
treten lässt. Nach dem Vorbild des Pariser Centre Pompidou sollte in
den ehemaligen kaiserlichen Pferdeställen ein urbaner, Kultur und
Unterhaltung miteinander verbindender Treffpunkt entstehen. Von dem
siegreichen Wettbewerbsentwurf der Brüder Laurids und Manfred Ortner
blieb nach Bürgerinitiativen, Krone-Kampagne und politischem Störfeuer
nicht mehr viel übrig. Der designierte Bürgermeister Michael Häupl 1994
über den als weithin sichtbare Landmarke gedachten Leseturm: „Das ist
nicht Ausdruck sozialistischer Kulturpolitik, sondern Schrott.“ Die
Kronen Zeitung brachte den als Bibliothek für Gegenwartskultur
geplanten Turm zu Fall: „Museumsquartier ist ein Tumor“, hetzte die
Zeitung 1992. Die Kunsthalle Wien sollte eigentlich dort gebaut werden,
wo nun der weiße Würfel der Sammlung Leopold steht. Das Museum moderner
Kunst wurde kleiner gebaut als geplant; statt in die Höhe zu wachsen
wurde es in die Erde versenkt. Dann kam noch das Gebäude der vom Staat
angekauften Sammlung Leopold dazu. „Das Museumsquartier ist
gescheitert“, schrieb der Architekturkritiker Jan Tabor vor fünf Jahren
im Falter. Statt einer Akropolis sei hier eine Nekropolis entstanden.
Betritt man heute die Innenhöfe des MQ, riecht es nach blühendem Leben,
nicht nach Friedhof. Nur Sascha hat einen schlechten Tag. „War gerade
ein Kollege hier?“, fragt der Punk im Schottenrock höflich. Tatsächlich
versuchte keine fünf Minuten vorher bereits ein anderer
Augustin-Verkäufer, die Gäste des Restaurants zu einem Kauf der
Obdachlosenzeitung zu überreden. „Heute sind sieben Verkäufer
unterwegs. Sieben! Da geht fast gar nichts“, sagt Sascha. Auf dem
zentralen Platz ist einiges los. Die Gastgärten (siehe dazu auch den
Beitrag im Stadtleben, Seite 70) sind gut gefüllt – mit Flip-Flops
tragenden Kulturmenschen, mit Geschäftsleuten im Anzug, Touristen und
Studenten, die sich eine Hauptspeise leisten können. Auf einigen
heidelbeerfarbenen Kunststoffblöcken sonnen sich junge Menschen; ihre
Tattoos sind dezent. Der Prollfaktor geht in diesem Ambiente der
gehobenen Freizeitgestaltung gegen null. Auf Holzbänken sitzen die, die
lesen wollen und auf dem Laptop schreiben oder einfach nur schauen.
„Bobos Stadtwohnzimmer“, nennt AzW-Chef Steiner diesen Ort. Die
kulturelle Umgebung hebt das MQ von anderen sommerlichen Fress- und
Saufmeilen wie dem Rathausplatz ab. Sie wirkt wie ein Filter für die
Shoppingmassen der Mariahilfer Straße, deren logische Fortsetzung das
Areal eigentlich darstellt. Für die Kritiker des MQ-Marketings sollte
der Filter noch stärker sein. In ihren Augen gibt es hier nur
Szenelokale, aber keine Kunstszene; das klassische Museumspublikum
werde davon nicht angezogen. Dietmar Steiner kann die Frage nach einer
Verzahnung zwischen kultureller und gastronomischer Nutzung nicht ernst
nehmen: „Ist das ironisch gemeint? Komm, Schatzi, trink deinen Daiquiri
aus, wir wollen uns doch noch die Ausstellung ansehen?“
Verantwortlich für das bunte Treiben ist Wolfgang Waldner, seit 1999
Geschäftsführer der MQ E+B und als solcher dafür zuständig, dass das
Werkl läuft. Er stellt den Mietern die Betriebskosten in Rechnung und
vermietet die nicht fix vergebenen fünf Prozent des Areals (Quartier
21). Wenn ein Unternehmen für eine Präsentation im Innenhof ein Zelt
aufschlagen will, muss es sich an Waldners Büro wenden. Wenn das AzW im
Innenhof eine Party macht, muss es im Auftrag Waldners einen
Wasserzähler installieren. Ohne dessen Genehmigung darf das Mumok kein
Plakat an der eigenen Außenfassade installieren. Die Einnahmen der MQ
GesmbH mehrt Waldner durch einen großen Shop mit Souvenir- und
Geschenkartikeln.
Dieser die gewöhnlichen Aufgaben eines Hausmeisters weit übersteigende
Aktionsradius barg von Anfang an jede Menge Ärger. Maßlosen
Bürokratismus werfen ihm die Mieter vor, vor allem aber auch die
Doppelfunktion als „Facility Manager“ (so nennt sich die
zeitgenössische Version eines Hausmeisters) und Mitbewerber. Der
politische Hintergrund ließ das Feuer prächtig lodern. Zu Beginn der
Bauarbeiten bestellten ihn Ministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) und
Bürgermeister Häupl (SPÖ) dann einvernehmlich zum MQ-Direktor. Nach dem
Regierungswechsel im Winter 2000 wurde er zum Buhmann für die Kritiker
der schwarz-blauen Kulturpolitik. Martin Wassermair etwa, der
Geschäftsführer der Public Netbase, nannte ihn den „schwarz-blauen
Exekutor“. Im Sommer 2001 erhielt der Computerverein eine
Räumungsklage, um – so Waldners Argumentation – mit der noch
anstehenden Renovierung beginnen zu können; für die Public Netbase war
das eine Kriegserklärung, der aufmüpfige Verein sollte vom Areal
verschwinden. Frustriert verließ die Public Netbase das Gelände (siehe
auch Seite 20); später zog auch der Theorieverein Depot aus.
Den sachlichen Hintergrund des Gerangels bildet bis heute ein
Machtkampf zwischen Großmietern und der Errichtungsgesellschaft über
die Vergabe von Flächen für Shops und Gastronomie. Eine zentrale, von
der Errichtungsgesellschaft verpachtete Buchhandlung und der MQ-Shop
saugen Einnahmen ab. Die Standortwerbung setzt erfolgreich auf die
Vermarktung eines jungen und coolen Abhängortes. Die einzelnen
Institutionen müssen dem mit eigenen Budgets schwerer vermittelbare
Ausstellungsinhalte entgegensetzen. In den schwammigen Werbesujets –
derzeit kämpft ein „MQ-Man“ in Supermankostüm „um die kulturelle
Vielfalt in Wien“ (Pressetext) – erkennen sie das eigene Programm nicht
wieder. Obwohl die Kunsthalle Wien auf dasselbe Publikum abzielt wie
die MQ-Werbung, hat sie sinkende Besucherzahlen. Beide werben derzeit
mit derselben psychedelischen Typografie, die Kunsthalle für die
Ausstellung „Summer of Love“, das MQ für den „Sommer im MQ“. Schon
jetzt ist klar, für welchen Sommer sich die Städter in der Mehrzahl
entscheiden werden.
Für Dietmar Steiner vom AzW ist der ursprünglich erhoffte
Synergieeffekt ausgeblieben. Durch den Aktionismus der MQ-Verwaltung
würde kein einziger Besucher mehr in das AzW kommen. Die Sammlung
Leopold kann gute Besucherzahlen vorweisen, obwohl sie sich öffentlich
betulicher darstellt als das auf jugendlich getrimmte MQ. Stephan Rabl
bezeichnet das Verhältnis des von ihm geleiteten Kinder- und
Jugendtheaters Dschungel Wien zur MQ E+B als in „positivem Ruhestand“
befindlich. Die Synergieeffekte durch das Nebeneinander vieler
Institutionen hielten sich in Grenzen. Er vergleicht das MQ mit einer
Shoppingmall, in der verschiedene Anbieter dasselbe verkaufen müssten,
nämlich Kunst. Entsprechend groß sei der Wettbewerb um die
Aufmerksamkeit der Kunden. „Jeder schottet sich ab und sucht eher
außerhalb nach Partnern statt in der Nachbarschaft.“ Rabl plagen
derzeit aber andere Sorgen. Wie die anderen auf Kinder und Jugendliche
ausgerichteten Einrichtungen im Fürstenhof – von Eltern auch
„Kinderghetto“ genannt – befindet sich der Dschungel in einem
Guerillakrieg mit lärmgeplagten Anrainern. Die kleinen MQ-Gäste werden
von den in den oberen Etagen wohnenden Mietern unflätig beschimpft und
mit Wasserbomben attackiert.
„Der Vorteil einer Massierung kultureller Einrichtungen wird
leichtfertig verschenkt. Das MQ ist, obwohl mitten in der Stadt, von
dieser abgeschnitten. Es liegt hinter hohen Mauern versteckt, sodass
die Touristen zum Teil vorbeiwandern“, urteilte Mumok-Direktor Edelbert
Köb 2002 nach einem Jahr MQ. Seither wurden zwar mehrere Wettbewerbe
zur Vorplatzgestaltung ausgerufen, zuletzt war die Architektin Sophie
Grell mit dem Projekt „Bühnen der Werbung“ erfolgreich. Geschehen ist
seither nichts. Eine trostlose Reihe von Werbeplakaten säumt die
Straße. Waldner hält dem entgegen, dass 3,2 Millionen Besucher auch
ohne Leseturmersatz den Weg hinter die Barockfassade fanden. Der
holländische Stadtforscher Bart Lootsma sieht keinen Grund, den
Gesamterfolg des MQ durch solche Details infrage zu stellen. Er hält
das von Waldners Vorgänger Dieter Bogner entwickelte Konzept einer
Mischung aus großen Museen und unterschiedlichen kleineren
Einrichtungen und Initiativen für ein einzigartiges städtebauliches
Projekt. „Wien wurde durch die breitere Palette des touristischen
Angebots gerettet“, sagt Lootsma und denkt dabei schaudernd an die
Massen von Sex- und Alkoholtouristen, die die Altstadt Amsterdams
überrollen. Selbst so erfolgreiche Museumsprojekte wie die Tate Modern
in London oder das Centre Pompidou hätten gegenüber dem MQ den
Nachteil, dass es dort nur einen Betreiber gibt.
Es soll heiß werden“, sagte der Architekt Laurids Ortner vor fünf
Jahren über den zu befürchtenden Hitzestau in der Steinwüste des MQ.
Schwer zu sagen, ob die Leute wegen oder trotz der Hitze kommen. Vor
allem kommen sie wegen der Enzis. Der Name stammt von den Architekten
Anna Popelka und Georg Poduschka (PPAG), die die beliebten
Freiluftsitzmöbel entworfen haben; Namenspatronin ist die für die
Sommer- und Winterunterhaltung in den Höfen zuständige MQ-Prokuristin
Daniela Enzi. Für Jan Tabor sind die Enzis der Ersatz für die fehlende
spannende Architektur. Sie böten das an, was in der Stadt sonst fehlt:
einen Ort zum Verweilen. „Sie sind ein Schönwetterfreiplatzphänomen.
Bei Schlechtwetter ist kein Mensch da, auf den Stiegen sitzt auch
keiner. Die Museen stoßen die Menschen ab, es ist egal, was drinnen
ist. Ich vermute: Wäre das MQ kein Treffpunkt, dann würden die Museen
noch weniger Besucher haben.“
Tabor muss es wissen, ist er mit seinem Forum experimenteller
Architektur doch selbst Mieter im Q21, das zu den Schwachstellen des
Geländes gehört. Gedacht war das Q21 als Gegengewicht zu den großen
Museumsblöcken. Das Erdgeschoß im Fischer-von-Erlach-Trakt war als
kreative Avenue gedacht; hier sollte die junge Kunstszene brodeln, DJs
mixen, Computernerds hacken, die Creative Industries durchstarten. Das
Problem ist nur, dass das kaum jemandem auffällt. Das Gros der Besucher
geht schnurstracks durch die Eingangstore und lässt die Büros, Ateliers
und Ausstellungsräume des Q21 links liegen. Ursprünglich war geplant,
dass man durch den ganzen Trakt wie durch eine Passage
hindurchflanieren kann. In der Regel sind aber einige Teile abgesperrt,
da sie für Veranstaltungen vermietet sind.
Marc Mathoi wäre mit seinem Büro für Flyer- und Plakatverteilung und
Eventveranstaltungen Hand2Hand eigentlich der ideale Q21-Businessman.
Er ist seit Beginn an hier, übersiedelte inzwischen bereits drei Mal.
Auf die Frage nach den Synergien antwortete er sarkastisch: „Die
MQ-Aufträge bekommt mein schärfster Konkurrent.“ Die sogenannten
Zukunftskaffees, bei denen die Wünsche der Q21-Mieter angehört werden
sollten, schliefen inzwischen ein, so wie die Kommunikation mit der
MQ-Verwaltung insgesamt. „Auf einmal stehen hundert Räder herum. Da
weiß ich, jetzt gibt’s eine Fahrradausstellung.“ Die Stimmung im MQ
beschreibt er so: „Jeder gegen jeden und alle gegen Waldner.“
Der für das Q21 verantwortliche Vitus Weh verteidigt Waldner als
„Schutzpatron für die Vielfalt und zeitgenössische Dynamik“. Ohne ihn
hätten die großen, finanziell gut ausgestatteten Häuser längst ihre
Büros und Depots vergrößert und die jungen Low-Budget-Initiativen aus
dem Areal verdrängt. „Mir kommt’s inzwischen vor wie in einer Sitcom“,
meint MQ-Mieter Mathoi. Trockener Nachsatz: „Fortsetzung folgt.“
nur mit schriftlicher Genehmigung der Falter Zeitschriften Gesellschaft m.b.H. gestattet.