In den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, in der Zeit
der 68 er-Generation, gab es immer wieder Versuche, Kunst zu
demokratisieren. Im Versuch, möglichst viele politische Barrieren
niederzureißen, wollte man diese Haltung auch auf die Kunst
übertragen. Von Hochkultur war die Rede, von einer Kultur also, die
nur für bestimmte Schichten erreichbar, auch nur für sie
finanzierbar war. Von unten herauf wollte man das alles ändern, vom
Volk ausgehend, demokratisch eben. Manches wurde dabei erreicht,
nicht zuletzt, daß die Politik mehr Augenmerk auf alternative, auf
neue, auf zeitgemäße Kunst legte, daß sich damit die
Förderschwerpunkte verschoben, daß sie auch zeitgemäßen Formen der
Kunst zugute kamen. Gescheitert ist der Versuch, die Kunst im
wirklichen Sinne des Wortes zu demokratisieren. Das war keine
Überraschung. Das Scheitern war vorprogrammiert.
Kunst entsteht nicht aus einem allgemeinen Bedürfnis heraus,
Kunst entsteht, weil eine Künstlerin, weil ein Künstler aus sich
heraus das produziert, das ihr, das ihm wichtig erscheint. Nicht das
Werden ist öffentlich, erst die Präsentation vor Publikum macht
Kunst allgemein zugänglich - und damit allgemein bewertbar. Das
Problem aber ist, daß diese Öffentlichkeit in ihrer Gesamtheit nicht
in der Lage ist, die Wertigkeit von Kunst richtig einzuschätzen.
Denn Voraussetzung dafür wäre, daß man sich vorher mit der Sache
auseinandergesetzt hätte. Das aber ist - nicht nur bei uns - kaum
der Fall. Ganz im Sinne von Gottfried Benn, der gemeint hat: "Große
Kunst wird zwar immer aus sich alleine entstehen, aber ein Volk für
sie fähig zu erhalten, dafür bedarf es einer gewissen Pflege von
Wissen und einer Erziehung zu gedanklicher Aufmerksamkeit." Diese
Pflege findet nicht in der Politik, kaum in der Schule und meist
auch nicht in der Familie statt. Zumindest nicht in ausreichendem
Maße.
Kunst ist, um es einfach zu sagen, nicht mehrheitsfähig. Außer
wir sprechen von längst Abgesichertem, von der griechischen Klassik,
von der italienischen Renaissance, von Mozart oder Schubert, von der
deutschen Klassik, von den Impressionisten. Diese Übereinstimmung
der Anerkennung, die aber nicht aufgrund von Wissen, sondern nur
über tradierte Vorstellungen zustande kommt, fehlt völlig bei
zeitgenössischer Kunst. Am lokalen Beispiel kann man das zeigen:
Hätte man, beispielsweise, das Kunsthaus Bregenz vor seinem Bau
einer Volksabstimmung unterzogen, so stünde an diesem Platz heute
ein Parkhaus, kein Kunsthaus.
Auch derzeit bietet das Kunsthaus ein Beispiel, die Ausstellung
der Gruppe "gelitin". Hoch gingen die Wogen, oft weit unter der
Gürtellinie waren die Angriffe gegen Künstler und sonst
Verantwortliche. Da zeigte sich Volkesstimme, in SMS-Votings, in
Leserbriefen, in bösartigen Telefonaten und Beschimpfungen. Und nun,
just zu diesem Zeitpunkt, nach diesen unerfreulichen Erfahrungen,
will der Vorarlberger Künstler Marbod Fritsch seine Arbeit
"Separation Point", eine Schranke im See, geplant am Harder Ufer,
einer Art Volksabstimmung via SMS unterziehen. Das ist, mit Verlaub,
schlichtweg ein Unsinn. Kunst entzieht sich solcher Abstimmung. Die
Menschen mögen Kunst bewerten, wenn sie gezeigt wird, sie mögen sich
mit ihr aber auch auseinandersetzen. Und sie mögen sie dann annehmen
- oder auch nicht. Darin besteht die Demokratie in der Kunst.