Bilder lärmender Ekstase

Der amerikanische Medienkünstler hat sich in den 90er Jahren den Status eines Pop-Stars innerhalb der Kunstwelt erarbeitet.


Der 30-jährige Amerikaner Doug Aitken, der mit dem Lebensgefühl der West Coast aufgewachsen ist und Surfbrett und Filmwelt ebenso zu seinem Erfahrungshorizont zählen kann wie die endlose Weite von Los Angeles, der Stadt der Bandenkriege und des Hollywood-Glamours.

Ausschnitt aus
Ausschnitt aus "Electric Earth"

1999 wurde Aitken auf der Biennale von Venedig für seine begehbare Videoinstallation "Electric Earth" mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Vor zwei Jahren bereitete er eine hochkomplexe Bildinstallation in der Wiener Secession vor, für deren Realisierung mehrere Digitalspezialisten hinzugezogen werden mussten. "Glass Horizon", so der Titel der Schau, war im Oktober in Wien zu sehen.

"Hysteria"

Tausende, Zehntausende Pop-Fans schreien, kreischen, weinen vor Begeisterung. Solche Bilder lärmender Ekstase sind etwa aus Dokumentationen von Beatles-Konzerten bekannt. Doug Aitken hat diese und andere Aufnahmen aus den 60er Jahren in seiner Videoarbeit "Hysteria" verarbeitet.

Mit einem polytonalen Schrei der Befreiung scheint eine kaum überschaubare Masse Jugendlicher aus dem kleinfamiliären Korsett der Nachkriegszeit zu erwachen. Aitken verwendet das Bildmaterial jedoch nicht wie in einer Dokumentation. Durch Dehnung der Filmbilder von Popfans - durch Nahaufnahmen und Zeitlupe - gelingt es, 40 Jahre Pop-Geschichte auf eine wesentliche Essenz zu verdichten. Die Befreiung des Körpers im Lärm der Rock-Musik.

Implosion in tiefe Tragik

Doch die Welt kippt in eine erschütternde Katastrophe. Wie eine Implosion in tiefe Tragik wirken dann jene nachfolgenden Aufnahmen, die ebenfalls in dieser Arbeit zu sehen sind: Bilder von der Ermordung eines Rolling-Stones-Fans durch die "Hell's Angels" direkt vor der Bühne beim legendären Konzert von Altamont 1969.

Das ist ein geradezu prototypisches Beispiel aus dem Werk von Doug Aitken, der im Grenzfeld zwischen Popkultur und Medienkunst, zwischen E und U arbeitet und die Bildsprache eines klassischen Mediums, wie etwa des 35-mm-Films in aktuelle Digitaltechnologie überträgt - nicht jedoch, um mit solchen Möglichkeiten zu spielen, sondern um Bildmaterialien über hochkomplexe Netzwerke zu synchronisieren und in zusammenhängende rhythmische Bewegungen zu bringen.

Fitness mit Crawford

Die erwähnte Videoarbeit mit dem Titel "Hysteria", die bei der Wiener Ausstellung vor zwei Jahren im Hauptraum der Secession zu sehen war, bestand aus mehreren Projektionen auf kreuzförmig angebrachten Leinwänden. Abgespielt wurden die Bilder von miteinander verschalteten Laser-Disc-Playern. Die Visionen für solche visuellen Inszenierungen hat Doug Aitken aus dem Feld kommerzieller Videoproduktion heraus entwickelt.

So arbeitete er zum Beispiel mit Rock-Star Iggy Pop zusammen und war Bildregisseur der Work-Out-Fitness-Videos von Model Cindy Crawford. Wie Doug Aitken dazu erklärt, geht es ihm aber weniger darum, Kriterien der Populärkultur in die Kunst zu übertragen, vielmehr möchte er traditionelle Grenzlinien zwischen den Genres überschreiten.

Schnittstelle industrielles/digitales Zeitalter

Dass Doug Aitken Film- oder Fernsehbilder digitalisiert, um sie dann auf adäquate Weise weiterverarbeiten zu können, verortet seine Produktionsweise an der Schnittstelle zwischen industriellem und digitalem Zeitalter. Denn zumeist speichert er seine Aufnahmen zunächst auf klassischem 35-mm-Film, um sie dann auf Medien wie DVD oder eben Laser-Disc zu übertragen.

Abwesenheit der Maschine

Aber auch die Motive der Arbeiten erzählen mitunter vom postindustriellen Zeitalter, von einem Stillstand oder sogar von einer gespenstischen Abwesenheit der Maschine. In Doug Aitkens cinemascope-artiger begehbarer mehrteiligen Bildinstallation "Electric Earth" bei der Biennale 1999 wurde das Publikum in die Atmosphäre eines nächtlichen Flughafens versetzt.

Ein brennendes Auto, ein verlassener Einkaufswagen ergänzten das gespenstische Szenario, während in einer Parallelwelt ein lautlos rappender Schwarzer durch die urbane Landschaft tänzelte.

Die Welt des 20. Jahrhunderts

Die Welt des 20. Jahrhunderts wurde hier beschrieben, als würde es sich um die Überreste einer fremden Zivilisation handeln. Die Rolle des schwarzen Hauptdarstellers in "Electric Earth" war so angelegt, als würden französischer Existenzialismus und amerikanische Großstadtwelt aufeinandertreffen.

Warum solche und andere Produktionen von Doug Aitken das Publikum immer wieder von neuem fesseln, ja oft geradezu hypnotisch wirken, erklärt Aitken damit, dass er gelernt habe, wie man mit dem Publikum kommuniziert. Das sei vielleicht ein Moment, das er aus dem Bereich der Pop-Kultur übernommen habe: Obwohl er an keinen Kompromissen interessiert sei, liege es ihm auch fern, intime Werke zu produzieren, die sich erst nach und nach erschließen.

Link: Electric Earth

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