06.11.2002 18:45
Blaue Madonna und Leda mit Ente
Die Sammlung Essl zeigt ein souveränes vorgezogenes Spätwerk des
österreichischen Malers Siegfried Anzinger
Die Sammlung Essl zeigt rezente Bilder und Grafiken von
Siegfried Anzinger: Der österreichische Maler, der seit Jahren in Köln und
Italien lebt, hat ein souveränes Spätwerk vorgezogen. Der Mittelteil folgt
noch.
Klosterneuburg - Mittlerweile malt Siegfried Anzinger Madonnen. Oder
auch Zyklen zur Erschaffung verschiedenster Tiere. Löwen kommen oft vor. Und
auch Schwäne. Die haben dann immer etwas ungemein Entenhaftes. Aber das ist
nicht so wichtig. Wie eigentlich die Motive überhaupt nicht wichtig sind. Weil
es ja wohl kaum darum gehen kann, dass zum täglichen Brot des Malers gehört,
womöglich schon frühmorgens ein Motiv zu erfinden. Die Madonnen in Rot, in Blau,
in Türkis, im Freien, im Pullover, mit Pagenschnitt, mit weißem Löwen, in
lachsrotem Kleid, mit einem oder auch mehreren Kindern, von vorne, seitlich oder
von hinten, sind eigentlich nur dazu da, Maler wie Publikum Halt zu geben.
Anzinger treibt anhand der Madonnen seine Versuche voran, dem Malen ein
weiteres gutes Bild abzuringen. Dem Betrachter vermitteln sie Geborgenheit. Er
fühlt sich angesichts der Damen sicher. Sie wiegen ihn in seinem bequemen Wissen
um die Bedeutung des Motivs, in seiner mehr oder weniger lückenlosen
kunstgeschichtlichen Bildung.
Kein Motiv
Und
Anzinger kann sich auf das Malen selbst konzentrieren, darauf, der Kombination
aus Leinwand und Leimfarbe, etwas abzuringen, das "hält". Picasso, sagt er,
hatte ja auch kein Motiv. Er, Anzinger, habe nichts zu sagen. Er möchte aber
Bilder malen, die Dritte dazu bewegen, etwas zu sagen, den anderen etwas
entlocken. Und damit etwas eröffnen. Siegfried Anzinger hält von allen Versuchen
zu definieren, was ein gutes Bild, was Kunst von etwas anderem unterscheidet,
jene für am treffendsten, die davon ausgeht, dass Kunst Antworten auf nie
gestellte Fragen liefert.
Deswegen auch täuscht er die Erzählung nur vor,
verwendet die Bildgeschichte als dramaturgischen Trick. Der Effekt des
Wiedererkennungswertes dient bloß dazu, subtil die Aufmerksamkeit auf das
Eigentliche zu lenken.
Das Eigentliche liegt tiefer. Oder auch daneben.
Das Eigentliche, die nie gestellte Frage, findet sich dort, wo der Betrachter
versucht, via Vergleich mit anderen Bildwerken zu ergründen, was ihn jetzt
speziell berührt. Das Eigentliche findet sich dort, wo ein Maler wie Anzinger
sich immer wieder aufmacht, durch Einflüsse von außen, durch das Studium anderer
Maler, das eigenen Tun über den Haufen zu werfen, sich der Routine zu
widersetzen. Bilder werden durch andere Bilder hervorgerufen, nicht durch die
eigenen.
Siegfried Anzingers neue Arbeiten - die Ausstellung in der
Sammlung Essl zeigt hauptsächlich Werke der letzten beiden Jahre - sind im
besten Sinn gekonnt. Sie überraschen jedes für sich, obwohl - was
dagegensprechen könnte - sie allesamt souverän sind. Man könnte sie auch als
"meisterlich" bezeichnen, abgehoben vom konkreten Datum ihres
Erscheinens.
Und vom Alter ihres Produzenten. Der legt, gerade einmal 50,
ein lichtes, oft annähernd transzendentes Spätwerk hin. Was wiederum neugierig
macht auf seine Arbeiten davor, die noch kommen werden. Vielleicht weiß er das.
Vielleicht wittert er darin auch eine Gefahr. Vielleicht erstaunt ihn ja selbst,
dass er in oft gesetzten erotischen Passagen eine Vitalität behauptet, die doch
noch niemand infrage gestellt hat.
Vielleicht hat ja gerade deshalb
jeder seiner Schwäne so etwas ungemein Entenhaftes. Vielleicht lässt Anzinger
gerade deshalb seinen Strich mit der Leichtigkeit eines Comiczeichners
Humoristisches dort einfügen, wo die Malerei selbst schon entrückt ist.
Und selbstverständlich macht Anzinger auch noch Terrakotten,
dreidimensionale Gebilde, die doch wie Bilder funktionieren. Figuren mit
eindeutigen Schauseiten. Gerät man nur etwas aus dem Winkel, zerfallen sie zu
amorphen Tongebirgen. Einmal aber richtig fokussiert, sagen sie klar und
deutlich, was Sache ist. Und wo: genau dazwischen. (DER STANDARD, Printausgabe,
7.11.2002)