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06.06.2002 - Ausstellung
Im neuen Olymp: Bilder des Fleisches
David LaChapelle im Kunst Haus Wien: Porno- und Ikonographie aus einer glänzenden Welt, in der alles Fleisch aus Sternenstaub ist.
VON THOMAS KRAMAR


Mit Schwan, mit Geige, mit Flöte und Drachen: So hat der amerikanische Mode- und Werbephotograph David LaChapelle die isländische Popsängerin Björk festgehalten, und mit diesen Attributen wird sie in 2000 Jahren in der "Mythologie des späten 20. Jahrhunderts" aufscheinen. Auch wenn er zu klug ist, um das so klar zu sagen: David LaChapelle arbeitet an einem neuen Olymp. Seinen Stars - und, natürlich, Lehrmeister Andy Warhol schau herunter, sind alle Stars - gewährt er Unsterblichkeit. Des Fleisches, des entfalteten, enthaarten, silikonisierten, haltbaren, perfektionierten Fleisches. Im Setting erinnern manche Aufnahmen an das berühmte Cover von Jimi Hendrix' "Electric Ladyland", nur: Hier hängt nichts, hier ist alles glatt. Die "Silicone Injection" - so ein Werktitel - war erfolgreich.

Wie fleischlich dieses geformte Fleisch, wie organisch diese gebauten Körper dann noch sind, das ist die einzige Unwägbarkeit, Unschärfe in seinen Inszenierungen. Alles andere ist wägbar und scharf. Wenn David LaChapelle Symbole verwendet, braucht man kein Unbewußtes zu bemühen: Drew Barrymore entblößt eine Brust, um sie gruppiert sind halbe Orangen mit kleinen Kirschen in der Mitte; vor der Scham der Melon liegt eine Melone, aus der rot eine Spalte geschnitten ist; Eminem hält eine Dynamitstange an Statt des Phallus. Saubere Gemächte: In olympischer Unschuld wird hier das Loblied der Genitalien gesungen.

Ob sie noch zeugen? Verdammt diese Unsterblichkeit nicht zur Unfruchtbarkeit? Auf "Giving Birth - The Shoe Story" hält die Hebamme das Neugeborene an den Füßen - die Füße der Mutter, über dem Tisch mit dem silbernen Operationsbesteck, stecken in goldenen Stöckelschuhen. Geburt des Heros: eine Pose.

Solche heroischen Posen sind grundsätzlich niemals lächerlich: Selbst Pamela Anderson im Terrarium oder mit auf dem plastischen Körper drapierten Sternen ist für LaChapelle eine strenge Statue; selbst Elton John erhält eine Portion Würde, beim Frühstück vor dem Notenblatt, mit sorgfältig hinter den Brillen drapierten Spiegeleiern.

Parade der Puppen

Und Britney Spears, die aktuelle Pop-Puppe? Erraten: Sie posiert vor einer mit Puppen drapierten Kredenz. Ebenfalls eine Puppe hält David Bowie im Arm, mit irrem Blick, in einem Operationssaal, als sei ihm gerade die Homuncula geglückt, das endgültige Model. Sagen des klassischen Pop-Age: Dazu zählt LaChapelle auch die traurig-schaurige Kolportage-Geschichte einer Sexfilm-Darstellerin namens Savannah. Das letzte Bild der Photoroman-Serie heißt "Resurrection", Auferstehung: Savannahs Körper liegt, im Tod noch photogen, neben dem mörderischen Auto, daneben steigt ihr Bild verschleiert gen Himmel. Pornographie (von griechisch "porne", die Hure) im wörtlichen Sinn. Hier hat sich das Bild vom Fleisch gelöst - befreit? Transzendiert im platonischen oder christlichen Sinn gewiß nicht.

Am plakativsten wird das Motiv des Fleisches, das sich durch die Ausstellung zieht, in "Meat" dargestellt: Das Model, einen Teller mit Wurst (Diätportion!) vor sich, räkelt sich auf dem Bett. Daneben liegt die Hälfte eines toten Schweines. "Wir sind alle aus Sternen gemacht", singt der ebenfalls von LaChapelle porträtierte Moby. Doch der Sternenstaub ist zu Aminosäuren, zu Proteinen geworden, die auf den Schlächter warten. Pin-up als memento mori: hart.

Bis 22. 9., täglich 10 bis 19 Uhr.



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