Hauptausgabe vom 25.10.2001 - Seite 009
KULTURVERMERKE GMUNDEN: Das Symposion wurde mit Sozialkritik in Wort und Bild eröffnet

Dem Vipernbiss der Imitation erliegen

VON IRENE JUDMAYER

Eine Irritation stellte der österreichische Schriftsteller Robert Menasse vorgestern an den Beginn seiner Eröffnungsrede zu den diesjährigen oö. KulturVermerke (Thema: "Auf! Hinterher.") in Gmunden: Er fragte das dicht gedrängte Publikum in der Galerie 422, ob es bereit sei, sich zum Gedenken an die Opfer des 11. September 1973 zu erheben. Prompt standen alle auf.

Fragende Blicke, als Menasse weiter erklärte, dass am 11. 9. 1973 in einem Land, das sich aus der Ausbeutung und Plünderung zu Gunsten des europäischen Reichtums über Jahrhunderte hin zur Demokratie entwickelt hatte, zwei Flugzeuge die Symbole eben dieser Demokratie zerstörten. Dass es dabei 5671 Opfer gab und der Präsident ermordet wurde. 1973 nicht 2001: Die Täter waren in amerikanischen Ausbildungslagern geschult worden, Auftraggeber war Henry Kissinger. Ziel des Anschlages: ein Stadion in Santiago de Chile.

"Mich hat die Ähnlichkeit betroffen!" - so Robert Menasse, der weiter ausführt, dass jeder politisch motivierte Tod ein Skandal sei. Für ihn habe sich bereits 1973 nicht die Welt an sich, sondern sein Blick darauf verändert. Seither zweifle er an der öffentlichen Debatte und dem Aufruf zur "Verteidigung unserer Zivilisation". Er könne nicht akzeptieren, dass man uns erklären wolle, "dass, wer nicht für Bush ist, für Bin Laden sei" und dass mit einer mittelalterlichen Keule vorgegangen werde und sich Europa zu Vasallen einer Supermacht erkläre.

Denn durch eine derartige "Verteidigung unserer Zivilisation" würden wir genau deren Grundwerte wie etwa das Recht auf Religionsfreiheit oder die Trennung von Kirche und Staat in Frage stellen. Angesichts von Aussagen eines österreichischen kirchlichen Würdenträgers, der den Islam beneide, weil diese Religion so stark im Staat verwurzelt ist, müssten wir aufpassen, dass "die Krenns nicht zu unseren Bin Ladens" werden. "In dem Moment, wo Ihnen dann noch ein Politiker erklärt, dass Sicherheit vor Recht geht" und man tatsächlich darüber diskutiere, sei es vorbei mit den Errungenschaften der Zivilisation.

Menasses diesbezügliche Ergebnisse sind zwar nicht neu, aber es ist sicher richtig, dass die Anerkennung der Differenz das einzige Kulturgut unabhängig von einer Religion ist und die Begründung einer Kultur ohne Bedrohung auch das Recht auf Selbstkritik ist. Menasse: "Wir lassen uns nicht zur Reaktion verpflichten!" Man müsse aufpassen, dass man nicht so werde wie der, den man bekämpft. Der Schriftsteller zitierte dafür den hl. Augustinus mit dessen Passage über den "Vipernbiss der Imitatio": "Keine zwei gleichen sich so sehr wie zwei Todfeinde."

Häuserfronten

Eröffnet wurde an diesem Abend auch das Projekt "Sozialpalast" der Künstler Ella Raidel und René Straub. Besonders beeindruckend ist die Installation im großen Galerieraum: Eine Riesentapetenwand aus Hochhausfronten mit Satellitenschüsseln reduziert den ansonsten luftigen Raum zum bedrückend schmalen Gang. Beschneidet unsere Weltsicht, der sich auf einen (technisch bearbeiteten) Blick in den Fernseher beschränkt.

Eine hervorragende Satire auf das Paradoxon, dass durch die vielen Sat-Schüsseln der Blick auf das Außen einerseits verdeckt wird und es dadurch aber gleichzeitig in die Wohnzimmer geholt wird. Die Verdrängung der Realität durch ihre technische Aufbereitung. Die kleinerformatigen Hochhausfronten in den anderen Galerieräumen haben als Bilder gegen diese Gewalt zwar weniger Präsenz, faszinieren jedoch durch ihre Struktur und den ornamentalen Rhythmus, der aus der Montage vieler Einzelbilder entsteht.

Ein vielfältiger Einstieg in ein vielfältiges Symposion.


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