Artikel
zurück | vorheriger Artikel | nächster Artikel | Links
Doris Berger Doris Berger · ‹Lucky Like Daniel Rose› ist ein Videotagebuch über eine abwesende Liebe. Die fiktive Figur Daniel Rose ist an alltäglichen Orten wie Schlafzimmer, Küche, Arbeitsplatz, Wohnzimmer, Bar zu sehen. Sie bieten ihm das persönlich-intime Setting für seine Anekdoten, die immer mit Sehnsucht nach der Abwesenden enden.
Mit, über und durch Klischees hindurch

Zu den Arbeiten von Oliver Hangl

links: Oliver Hangl
rechts: Monday, Jan. 13th, 1996/98. Installation und Performance sowie 16mm-Film, 7’

Honey, die fiktive Figur Daniel Rose, adressiert schmalzige Tagesberichte an verschiedene weibliche Empfängerinnen, bis diese nach ein paar Episoden zu einer Person, genannt Darling oder Honey, verschmelzen. Die kleinen Berichte sind mit einer Fülle von Klischees angereichert, die aus Kinoschnulzen der sechziger Jahre bekannt sind.

Obwohl die Anekdoten und Visualisierung von Daniel Rose sofort als Klischee und Fiktion entlarvt und rezipiert werden können, verspürt man Mitleid mit Daniel Rose und seinem unerfüllten Begehren. Doch warum identifiziert man sich hier mit einer Figur, die offensichtlich fiktiv ist und sich klischeehaft verhält?

Oliver Hangls Arbeiten sind zunächst unterhaltend, kippen jedoch in einem bestimmten Moment in eine tiefer greifende Verunsicherung der Betrachter und Betrachterinnen. Wird hier die vermeintliche Erkennung von altbekannten Gefühlsausdrücken subversiv?

Für Gilles Deleuze sind Klischees eine notwendige äussere Hülle, die das Bild möglich machen, es aber nicht konstituieren. Hangls Arbeit an Klischees zeigt sich in deren Überakzentuierung, die jedoch von Störfaktoren nur so strotzt, wie beispielsweise den zeitlupenähnlichen Verzerrungen oder der eigentümlichen Sprache von Daniel Rose. Dieser spricht Englisch jedoch mit einem unüberhörbaren Wiener Akzent, was ebenso ungeschickt wie charmant wirkt. Unter dem mächtigen Einfluss des Fehlerhaften werden für Deleuze im ‹Bewegungs-Bild› alle Bilder zu Klischees, weil entweder das Ungeschickte aufgezeigt oder die scheinbare Perfektion denunziert wird. So entsprechen den äusseren – visuellen und akustischen – Klischees die inneren oder psychischen. Der schwülstige seventiesstyle des Protagonisten korreliert mit dessen romantisch-kitschig wirkenden Vorstellungen und dem metaphorischen Sprachgebrauch. Jedes dieser Details fordert zwar Perfektion, liegt aber immer ein wenig daneben. Somit scheint es auch unmöglich zu sein, dass die geäusserten Sehnsüchte der Figur in Erfüllung gehen. Das Scheitern gehört zum Konzept des ‹glücklichen Daniel Rose›.

Still In der mehrteiligen Arbeit ‹Still›, 1996/97, kommt der Aspekt des Bild-Klischees in verschiedenen Medien zum Tragen. Zunächst gibt es themenorientierte Bücher, wie ein Kuss-Buch, Umarmungs-Buch, Schiess-Buch, Telefonier-Buch, die jeweils Filmstills aus Fernsehprogrammen mit entsprechenden Szenen beinhalten. Beim langsamen Anschauen dieser Bücher werden die standardisierten Haltungen und Gesichtsausdrücke der Schauspieler und Schauspielerinnen in bestimmten Szenen sichtbar, beim schnellen Durchblättern mutieren diese Handlungen zum Daumenkino mit einem Film über das Küssen, Umarmen oder Schiessen. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man dazu den Soundtrack aus dem Walkman hört, den Hangl zu den jeweiligen Themen von verschiedenen Musikern und DJ’s wie Werner Möbius, N.I.C.J.O.B. oder Gerwald Rockenschaub in Auftrag gegeben hatte. Diese haben wiederum versucht, den klischeehaften Handlungen aus Filmen auf der akustischen Ebene zu entsprechen beziehungsweise zu widersprechen.

Hangls ‹Still› setzte sich in einem Video fort, in welchem die Themen der Bücher nun von zwei Schauspielern in einen Kuss-Clip, einen Umarmungs-Clip... übersetzt wurden. Vor allem in einem Medium mit bewegten Bildern erwartet man einen narrativen Zusammenhang. Oliver Hangl konzentriert sich jedoch auf einzelne unverbundene Handlungen, um diese in verschiedenen Ausformungen durchspielen zu lassen.

Identitäten ‹Ich habe nur eine Sprache und sie ist nicht meine› äusserte Jacques Derrida, als er sich auf sein Französischsprechen in Algerien bezieht. Eine von vielen Faktoren beeinflusste Identität und Sprache weist auch die Figur Daniel Rose in ‹Daniel Rose from A – Z›, 1997, auf. In dieser Arbeit hat Hangl verschiedene Personen um Assoziationen zu den Buchstaben des Alphabets gebeten und die Aussagen danach als Roses Gedanken ausgegeben. Die Figur hat somit verschiedene Stimmen und ist von Vorstellungen unterschiedlicher Menschen geprägt. Daniel Rose wird zu einem Lehrbeispiel für Identitätsbildung, die immer in Bewegung ist und sich nie festmachen lässt. Auch die kreative Seite dieser Figur wurde von sehr unterschiedlichen Vorstellungswelten beeinflusst. In ‹The Daniel Rose Museum› lud Hangl 1997 in London mehrere Künstlerinnen und Künstler ein, die Identität von Daniel Rose als Projektionsfläche zu benützen. Die Arbeiten wurden dann im ‹Daniel Rose Museum› gezeigt, wodurch es wiederum unmöglich wurde, die Identität dieser – wenn auch fiktiven – Person festzumachen.

Auch der sichtbar verkörperte Daniel Rose ist nicht auf ein Erscheinungsbild fixiert, wird nicht immer von derselben Person repräsentiert: einmal von Michael Krassnitzer, der stark an Elvis erinnert, einmal von Oliver Hangl, der gleichzeitig meint, es könnte genausogut auch eine Frau sein. Manchmal schlüpft Hangl sogar in seinem ‹Privatleben› in die Kunstfigur, indem er ‹Daniel Rose›- Visitenkarten mit seiner Privatadresse verteilt oder eine Jacke trägt, auf dessen Rücken das Wort Daniel appliziert ist.

In die Rolle eines anderen zu schlüpfen, praktizierte Hangl bereits auf der Bühne, wo er in Österreich als Robin in der im Fernsehen ausgestrahlten ‹Nette Leit Show› als Hermes Phettbergs heiss begehrter Assistent berühmt wurde. Die Arbeit des Schauspielers vermischt sich mit der des Regisseurs. Eine eindeutige Funktionszuschreibung Hangls künstlerischer Praxis ist ebenso unmöglich wie die Definition der Identität von Daniel Rose.

Songs Ein weiteres Feld innerhalb von Hangls Arbeitsbereich ist die Musik. Zusammen mit der britischen Künstlerin Georgina Starr und dem britischen Künstler Sean Dower gründete er 1997 eine Pop-Performance-Band. In den akustisch-visuellen Liveauftritten von ‹Dick Donkeys Dawn› wird eine Geschichte erzählt, wie in einem Musical. Jeder Song des 30-minütigen Auftritts schliesst inhaltlich am Vorangehenden an, in dem von einem Mädchen erzählt wird, das sich nach dem brutalen Tod ihrer Katze in eine Mörderin verwandelt. Die 1998 gegründete Band ‹Pony› (Starr und Hangl) knüpft konzeptuell zwar an ‹Dick Donkeys Dawn› an, führt aber die Idee in verschiedene Richtungen weiter. Im Unterschied zur ersten Gruppe sind nun die beiden Bandmitglieder auch die visuellen Protagonisten der Story, die vor dem Hintergrund einer lebensgrossen Videoprojektion mit dieser verschmelzen und das Popvideo live vorführen.

Szenen eines Films Aus drei Szenen von imaginären Filmausschnitten bestand die Arbeit ‹Monday, Jan. 13th›, die zusammen mit der ungarischen Künstlerin Andrea Gergely 1996 während der Gruppenausstellung ‹Willkommen, bienvenue, welcome› an drei verschiedenen Orten in Wien realisiert wurde. Filmkulissen aus aufkaschierten Fotografien sowie den Protagonisten aus Pappe bestimmten das Ambiente und waren den Besucherinnen und Besuchern in den Öffnungszeiten zugänglich. Zu bestimmten Terminen wurde die Szenerie durch Daniel Rose & La Petite Rouge (Hangl & Gergely) in einer Performance, in der die imaginierten Filmszenen tatsächlich gespielt wurden, belebt.

Die Geschichten bestanden aus klischeehaften Szenen wie einem gemeinsamen Tanz in der Küche zu Elvismusik, einem Tête-à-tête, bei dem sie mit Champagner am Boden neben dem Kaminfeuer im Wohnzimmer sitzen und sich langsam einander annähern, und einer Szene im Schlafzimmer, in der sich die beiden in Nachtgarderobe über Intrigen des vorangegangen Abends unterhalten, sie Liebesbeweise sucht, und er mit Eifersucht reagiert. Auch hier werden die überaus romantisch anmutenden Szenen gestört. Die Annäherungsphase im Wohnzimmer wird plötzlich aus dem off von der Stimme des Regisseurs unterbrochen, der die Szene noch einmal gespielt haben will. In der Schlafzimmer-Szene wird das Publikum insofern von der Geschichte abgelenkt, als direkt neben der aufgebauten Szenerie zwei Synchronisatoren stehen, die den Text statt des Schauspielers und der Schauspielerin sprechen. So wird auch hier der Illusion trotz des stimmungsvollen Ambientes kein Raum gelassen. Die gespielten Szenen wurden dann verfilmt, wobei der Film als eigene Arbeit zu sehen ist, die über die Dokumentation der Performances hinausführt. Obwohl die Mini-Geschichten in ihrem Setting, unabhängig von den Nebenfaktoren (wie beispielsweise den Synchronisatoren) gefilmt wurden, bleibt auch hier die Künstlichkeit der Situationen erhalten. Sie erinnern zwar an Filmszenen Hollywoods, sind aber ihres illusorischen Potentials beraubt. Auch hier werden Klischees freigesetzt und Möglichkeiten angeboten, diese zu reflektieren.

Anfang

 

Links

Ausgabe: 10 / 1999
Ausstellung: ( - )
Institution: Kunsthalle Exnergasse (Wien)
Autor/in: Doris Berger
Künstler/in: Oliver Hangl

 

© 1997 - 2001 by www.kunstbulletin.ch