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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
20. Juni 2005
13:10 MESZ
Foto: Katalog
Symbolik bis heute ungeklärt: Hugo Simberg, "Der verwundete Engel", aus dem Jahre 1903.

Kunstlichter des Nordens
Finnland-Ausstellung im Oberen Belvedere

Wien - 1901 erwarb die Wiener "Moderne Galerie", der Vorläufer der Galerie Belvedere, ein Bild des finnischen Malers Akseli Galén-Kallela. Ein guter Kauf. Akseli Galén-Kallela galt zu Lebzeiten (1865-1931) und gilt noch heute als zentrale Figur für Finnlands Aufbruch in die Moderne (etwa 1890-1920).

Was genau man sich aber unter Finnlands Aufbruch in die Moderne vorstellen muss, welche Persönlichkeiten dabei hervortraten, liegt außerhalb Finnlands weit gehend im Dunklen. Die Kontakte aus der Secessions-Zeit sind rasch abgeklungen, und neben Wodka gelten bloß finnisches Nachkriegsdesign und die Architektur als überragende Errungenschaften.

Ansonsten taucht Finnland eher als Mutter aller Länder mit Handy-Netz und dominierende Nation bei nordischen Sportarten im außerfinnischen Bewusstsein auf. Die Kunst der Finnen kennt keiner. Umso bemerkenswerter ist daher diese Ausstellung. Nordlicht - Finnlands Aufbruch zur Moderne widmet der Kunst "Namenloser" ein Format, wie es sonst nur aufgeboten wird, mit Picasso & Co in die Quotenschlacht zu ziehen.

Höchst aufwändig produziert und mit umfassendem Sekundärmaterial bis hin zum eigens gedrehten Dokumentarfilm ausgestattet, weist Nordlicht zugleich auf eine Lücke im Standardwissen um die Kunst hin - und vermag sie zu schließen. Sicher lassen sich die Entwicklungen im Werk von Künstlern wie Galén-Kallela, Albert Edelfelt, Väinö Blomstedt, Magnus Enkell, Ellen Thesleff oder Tyko Sallinen auch rein formal beurteilen, werden Stärken oder Schwächen im Europa-Vergleich offenbar.

Allein dieser Versuch einer Bewertung im Nachhinein bleibt oberflächlich. Letztlich wird man beim Begriff einer allen gemeinsamen forcierten Eigenwilligkeit hängen bleiben. Um den zu klären, ist es unabdingbar, die historische Entwicklung Finnlands mitzudenken. Das Gebiet stand etwa 700 Jahre lang unter schwedischer Herrschaft und etwa ein Jahrhundert lang unter russischem Protektorat.

"Fremde" Bilder

Der Kunst der Jahrhundertwende kam eine tragende Rolle als Identitätsstifter zu. Daneben tat die einzigartige Landschaft das ihre, uns "fremde" Bilder zu beeinflussen. Das finnische Nationalepos Kalevala entstand als Sammlung von Sagen und Volksliedern erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Autor Elias Lönnrot lieferte nicht nur die Grundlage nationaler Identität, sondern auch die Grundlage des Finnischen als Schriftsprache.

Und die Künstler griffen die unzähligen "Bilder" auf, die Lönnrots wüstes und blutrünstiges Durcheinander von katholischen wie heidnischen Mythen lieferte. Galén-Kallela etwa schuf einen vierteiligen Freskenzyklus zum Kalevala für Finnlands Pavillons auf der Pariser Weltausstellung 1900. Das Kalevala war zum Kult geworden. Und löste unter den Künstlern Helsinkis, die gewohnt waren, in Hotelbars der Hauptstadt (Gallén-Kallela, Symposion, 1894) bis zur Besinnungslosigkeit zu zechen, eine ungeheure Stadtflucht aus. Alle wollten an Waldseen, mitten untern den Helden des Epos leben. (Markus Mittringer/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20. 6. 2005)


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