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Kurt Kladler: Darf ich Sie mal
kurz unterbrechen.
Samuel Herzog: Eigentlich lese ich
gerade.
KK: Diese Ausstellung verführt ja geradewegs zum Lesen.
Trotzdem, ich schau mir die Sache mal so an, als wären hier nur Bilder
ausgestellt.
SH: Und was sagen Ihnen diese Bilder?
KK: Na
ja, die Bilder sagen zunächst wenig, weil mir das Russisch im Ohr klingt,
das aus Kopfhörern tönt. Vielleicht soll ich ja gerade dadurch zum Lesen
angehalten werden?
SH: Es wird ja auch kein Gespräch ausgestellt,
wie es im Titel der Ausstellung heisst, sondern ein Text, die
Transkription eines Dialogs vielleicht. Das Verhältnis zwischen Text und
Gespräch aber ist doch etwa so kompliziert wie jenes zwischen einem Bild
und dem Gegenstand, den es darstellt. Allerdings könnte man sagen, dass
diese Schau von dem Moment an doch zum Gespräch wird, wo ich als Besucher
lese, nachdenke, innerlich vielleicht auch Kommentare abgebe. Das gilt
allerdings genauso für Bilder – und dann sagen die eben auch
etwas.
KK: Und was sagen sie?
SH: Interessant scheint mir,
dass die gerahmten Bilder von Kabakov unter dem Textband und die direkt
auf die Mauer gepinselten Zeichnungen von Pepperstein darüber ja in ganz
unterschiedlichen Verhältnissen zum Geschriebenen stehen. Pepperstein
greift einzelne Worte aus dem Text heraus und setzt sie relativ direkt in
Bilder um: Ist von ‹Jurassic Parc› die Rede, dann malt er einen
Dinosaurier, geht es um ‹Scheinschwangerschaft›, dann guckt eine Frau mit
dickem Bauch in den Mond. Komplexer sind seine Zeichnungen allerdings da,
wo er ganze Räume bespielt, wo beispielsweise ein Fötus von Farbkugeln
umkreist wird, die Entwicklungsmöglichkeiten eines ungeborenen Wesens
zeigen. Bei den Bildern von Kabakov ist das Verhältnis zum Text noch
schwieriger – man weiss nie sicher, was gemeint ist. Vielleicht sind die
Bilder deshalb auch gerahmt – weil sie eigene Welten sein wollen.
Eigentlich bräuchte es zu den Bildern von Kabakov fast schon wieder
erklärende Texte, die darlegen, inwiefern sie mit dem Geschriebenen
darüber in Verbindung stehen.
KK: Irgendwie misstraue ich dem
Ganzen. Sicher, Bilder gibt’s da verschiedene. Sie erscheinen mir wie
Fussnoten zum Geschriebenen, mal bedeutungsvoll im Rahmen, mal gekonnt an
die Wand gemalt. Ganz so, als wären es Beweise dafür, dass es in dieser
Ausstellung tatsächlich um Kunst geht. Allerdings verfolge ich eine Spur.
Dieses ‹Künstlersein›, selbst für einen Autor wie Groys, hat scheinbar
eine be- sondere Bedeutung.
SH: Man könnte das aber auch
umgekehrt sehen. Texte bringen ja oft eine Art Beweis dafür, dass es sich
bei einem Kunstwerk auch tatsächlich um ein solches handelt. Und auch bei
diesen Texten gibt es solche, die nur illustrieren oder erklären – und
andere, die eigene Welten sein wollen, die einen Rahmen um sich
schliessen, deren Verhältnis zur künstlerischen Arbeit selbst wieder
erklärungsbedürftig ist. Deshalb glaube ich, dass es hier um die
Verhältnisse zwischen Kunst und Kommentar, zwischen Künstler und
Kommentator geht. Um die Frage, wer eigentlich welche Art von Sinn
produziert – vielleicht auch von Unsinn.
KK: Gut, aber muss ich das
wirklich so ernst nehmen? Ich meine, sehen Sie doch mal hin. Die sitzen da
und erzählen uns was auf Russisch. Ein Gespräch unter Freunden. Ich fühl
mich irgendwie ausgeschlossen und denke auch, dass dieses Gefühl mit den
Absichten der drei Freunde zu tun hat. Das Gespräch selbst erhält einen
überhöhten Status. Es ist gleichsam von Aussen anzusehen wie eine Skulptur
oder ein Bild. Das lebendige Gespräch wird dadurch gleichsam beschützt,
nicht gleich unseren Erwiderungen zugänglich gemacht, wir müssen sie
weiter reden lassen und uns durch die Textschleifen und die Übersetzung
zwingen.
SH: Das Gespräch im Rahmen? Wahrscheinlich ist es immer
interessanter, Kunst oder eine Ausstellung zu machen als sie anzuschauen,
zu konsumieren. Tatsächlich ist die Atmosphäre, die dieses Gespräch
zwischen den dreien wohl hatte, hier irgendwie heruntergekühlt. In den
wenigen Minuten, die wir nun miteinander sprechen, hat die Atmosphäre
unseres eigenen Dialogs die geruchlichen Sedimente des hier ausgestellten
Gesprächs längst überdeckt. Vielleicht geht es auch um eine Entscheidung:
Sollen wir unser eigenes Gespräch den vorgegebenen Parametern
unterwerfen oder eigene definieren? Wie viel lässt man sich von Kunst
vorschreiben? Wie geht man mit dieser Aussenseiterposition um, die man ja
als Betrachter von Kunst fast immer hat – gegenüber dem Werk, dem Betrieb.
Vielleicht kann Kunst heute überhaupt nicht mehr von Aussen angeschaut
werden, sondern nur produziert, im kleinen Kreis der Beteiligten
diskutiert oder durch Galerien, Theoretiker, Kuratoren kunstbetrieblich
verarbeitet werden.
KK: So habe ich das noch nicht gesehen, aber es
stimmt, die schreiben uns ja wirklich etwas vor mit diesen Textbahnen,
machen dann noch kleine Pfeile dran, dass wir ja wissen wie wir’s zu lesen
haben. Ein paar Bilder sollen dann für die Lesemühe entschädigen, während
die da munter weiterplaudern, ungestört wohlgemerkt. Folgen wir dem
Ariadnefaden der Textbänder von Raum zu Raum, kommen wir schliesslich in
das obere Stockwerk wo uns die Drei dann stumm anblicken, nichts sagen,
nur schaun. Übergrosse Köpfe blicken da auf uns nieder. Die haben ihre
Sache gesagt und wir, wir sind zur gewissenhaften Selbsterforschung
aufgefordert, nachdem wir am Text in Versuchung geführt wurden. Aber das
ist Berechnung und Vorsatz, die wollen das so. Und wissen Sie
warum?
SH: Nein, Verweigerung?
KK: Inszenierte Trauerarbeit!
Drei Freunde kommen nach längerer Zeit wieder zusammen und wollen den Raum
gemeinsamer geistiger Höhenflüge neu erfinden, aber, der inspirierte
Gedankenaustausch kann nicht mehr das sein, was er einmal war. Die
historischen Gegebenheiten haben sich geändert, der kleine Kreis der
russischen Intelligenzia ist verstreut, die Verbindlichkeit des Diskurses
ist nur noch bei vereinzelten Treffen im privaten Kreise gegeben. Sie
benutzen die Form der Ausstellung, um dem ein Denkmal zu setzen und
verwenden dabei eine List. Als Kunstwerk kann dies alles noch behauptet
und gegebe-nenfalls ironisch gebrochen werden. Sie sprechen in ihrer
vertrauten Sprache, Russisch, und zitieren die Atmosphäre beherzter
Gespräche. Uns wird zwar verunmöglicht, gleich die Hebel der der Gegenrede
anzusetzen, wir werden dadurch jedoch auf unser eigenes Sprechen über
Kunst verwiesen.
SH: Vielleicht entsteht ja gerade dadurch
etwas, das sich als direktes Vorhaben nicht mehr verwirklichen lässt,
ein Gespräch, das auch verdient, so genannt zu werden.
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