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Christoph Blase 4000 Quadratmeter neuer Ausstellungsraum, Harald Szeemann als alleiniger künstlerischer Leiter der Hauptausstellung, bereits im Vorfeld eine professionellere Pressearbeit, plötzlich sogar Schilder und Toilettenwagen auf dem Ausstellungsgelände, dazu eine kleine eigene Vaporetto-Linie, kurzum: die diesjährige Biennale ist für positive Überraschungen gut.
Neue Frische

Die Biennale von Venedig

links: Vesna Vesic · Wash me and I Will Be Whiter than Snow, 1998
rechts: Doug Aitken · Electric Earth, 1999 Videoinstallation mit 8 Laserdisks, Grösse variabel, 4er Edition, Raumgrösse 4 x 36 x 6 m, Courtesy Fondazione Sandretto Re Rebaudengo per l’Arte, Turin, und 303 Gallery, New York

Es gibt Zeiten und Situationen, da müssen sich grosse Institutionen erneuern, sonst gleiten sie langsam aber sicher in die Bedeutungslosigkeit ab. Für die Biennale in Venedig war dieser Punkt spätestens1995 gekommen, als der damalige konservative Biennale-Leiter Jean Clair den bis dahin lebendigsten Teil, die Aperto, abschaffte, damit störungsfrei, aber auch höchst langweilig, dem Blick auf ein figuratives Menschenbild gehuldigt werden konnte. Aber auch die einfache Re-Installation der Aperto als das grosse Spielfeld der unter 35jährigen Künstler brachte 1997 gerade einmal die Rückkehr zum Stand der späten 80er Jahre. Vor zwei Jahren fiel dieser Mangel jedoch weniger auf, da es sich mit Biennale, documenta und den Skulpturenprojekten Münster um eines jener Mammutjahre der Kunstszene handelte, die nur alle Dekaden anstehen. Doch diesen Sommer ist die Biennale das einzige Mega-Ereignis, ein Weiterschlingern wie bisher hätte die schwelende Diskussion um Sinn und Zweck der Biennale explosiv entfacht.

Doch es kam alles ganz anders. Kaum jemand meckerte, tausende von neuen Gesichtern tauchten auf, hunderte von alten wurden nicht mehr gesehen. Plötzlich erschienen neue Strukturen und neue Orte. Mit einem Mal ging es nicht mehr darum, die zahllosen Ärgernisse zu umschiffen, sondern die Zeit wurde knapp, um wenigstens halbwegs alles Interessante zu rezipieren. In Venedig ist 1999 die Kunst aufregender geworden als die Parties.

dAPERTutto So wie Harald Szeemann 1980 die Aperto erfand, so machte er nun 1999 als künstlerischer Leiter nicht nur dieser, sondern auch der nächsten Biennale etwas völlig anderes daraus. Die Schau heisst dAPERTutto, APERTO über ALL, offen für alle. Nur noch der Name erinnert an die alte Idee einer Youngster-Veranstaltung, in Wirklichkeit hat Szeemann das Prinzip umgedreht: die Kunst muss jung sein, der Produzent kann es, muss es aber nicht unbedingt sein. Szeemann, 66, jener der grossen Kuratoren seit den 60er Jahren, der die Kunst am meisten liebt und nicht die Karriere, stellte in den wenigen Monaten seit Anfang dieses Jahres – denn vorher war gar nicht so klar, dass diese Biennale so stattfindet – einen Parcours mit 102 Künstlerinnen und Künstlern auf, der einiges erfüllt, was bisher nicht gegeben war: a) die Werke haben Raum, teilweise regelrecht unverschämt viel Raum, b) die Menge der hervorragenden Arbeiten ist vergleichsweise hoch, wobei c) jede Position zumindest diskutabel ist, und d) gibt es, zwar nicht überall, aber doch über weite Strecken, eine sinnvolle Inszenierung.

Immer wieder stösst man auf subtile Verschränkungen, kleine Anspielungen auch zur Situation der Kunst und der Biennale. So lässt am Beginn des langen Corderie-Schlauches Jimmie Durham einen alten Kühlschrank mit Pflastersteinen bewerfen, am Ende steht ein mit bunten Kleiderballen beladener Lastwagen von Soo-Ja Kim in Richtung einer Spiegelwand, in der Mitte legte Paola Pivi ein wahrhaftiges Jagdflugzeug auf den Rücken.

Bedrohliches Brummen Es ist das grösste Flugzeug der Biennale, aber nicht die einzige Arbeit, die sich mit Flugzeugen, dem Fliegen, dem Bombenabwerfen und damit der durch den Kosovo-Krieg bewusst oder unbewusst aktuellen Thematik ‹Gefahr aus der Luft› beschäftigt. Bereits 1997 malte Simone Aaberg Kaern ihre Porträtgalerie der Bomberpilotinnen aller Nationen aus dem Zweiten Weltkrieg. Eine nach der anderen erscheinen sie in einem Rundbogen gehängt, eindrucksvolle Gesichter starker Frauen, darunter ein paar trockene Zeilen ihrer Biografie und dazu das penetrante Geräusch anfliegender Bomber. Dieses bedrohliche Brummen bleibt im Ohr, wenn man aus der Kurve des Ganges herauskommt und direkt so in die fragilen Brückenkonstruktionen von Chris Burden läuft, als gelte es, sie unter Beschuss zu nehmen, um sie zu zerstören. Der Film davon würde mit Sicherheit eine herrliche Explosionsszene ergeben, so wie man sie zuhauf in der Installation von Costa Vece sieht, einem begehbaren Haus aus Pappkartons, dazwischen Monitore mit den schönsten Explosionen der Filmgeschichte.

Es könnten Zerstörungen sein, wie sie Roman Signer sehr streng, sehr formal im Schweizer Pavillon inszeniert hat. 117 Eisenkugeln hingen an dünnen Seilen von der Decke, exakt darunter jeweils ein kleiner Block aus Ton. Die Schnüre wurden mit einer gleichzeitigen Zündung durchgebrannt, die Kugeln stürzten herab und wie geplant grub sich jede in ihren Tonblock ein. Nun sitzen die Kugeln, die Bomben, satt in ihrem Ziel und langsam trocknet der Ton die Spuren ihrer Zerstörung fest. In einer weiteren Arbeit rollte ein blaues Fass in ein Feld dünner Holzstäbe und walzte sie platt. Wie ein Blindgänger nach einem verirrten Angriff liegt die Tonne nun dort, getarnt von den noch stehenden Stäben, aber immer noch gefährlich genug, um vielleicht jeden Moment zu explodieren.
Die Flugzeuge aller möglichen Airlines, ganz grosse und etwas kleinere, parken in zwei Reihen auf der Landebahn des ‹Flugplatzes Welt› von Thomas Hirschhorn. Sie alle haben sich zivilen und ökonomischen Zielen verschrieben, sie sind die Transportkapazitäten, um den Weltmarkt, das globale Geschäft zu bedienen. Jeder kriegerische Konflikt, jede Krisenregion der Erde – und davon handelt das Informationsmaterial, das in kaum zu bewältigender Fülle an den Wandtafeln rund um die Landebahn hängt – stört ihr Geschäft. Sie alle wollen auch wieder nach Belgrad fliegen. Zum Wiederaufbau eines modernen Jugoslawien mit neuen Häusern, Brükken und Kommunikationssystemen. Sie werden auch Papiertaschentücher bringen, um jene Träne zu trocknen, die in dem schwarz-weissen Video von Vesna Vesic´ aus Belgrad immer wieder über das Gesicht rollt.

Filme durchwandern Die einsame Träne gehört zu den einfachen einprägsamen Videoprojektionen, genauso wie die Architektursequenzen von Luisa Lambri. Man sieht nichts als klare, leere und irgendwie nackt erscheinende Räume, zu datieren ungefähr in die 60er Jahren. Die Räume wirken programmatisch, hier geschah einmal etwas, ein rationaler aufklärischer Geist ist spürbar und gleichzeitig beschleicht einen das Gefühl, dass dies zwar gebaut wurde, aber alles andere theoretisch blieb.

Zu den aufwendigen Produktionen mit Schauspielern und Filmteam zählt dagegen der neueste Film von Eija-Liisa Ahtila, die Geschichte einer Trennung, die im Frühjahr spielt, dann, wenn in Finnland das Eis auf den Seen schon brüchig wird. Der Film springt über zwei Projektionsebenen zwischen den Landschaftsaufnahmen und den Beziehungsproblemen hin und her und verdoppelt sich noch einmal durch die Reflektionen in den schwarzen Scheiben des Raumes. In diesem Schwarz scheinen alle zu versinken, wenn zum Schluss die Gruppe der Streitenden ins Eis einbricht und minutenlang ertrinkt.

Wie erzähle ich einen Film, linear und gleichzeitig doch nonlinear, nicht auf einer Leinwand, sondern auf acht Leinwänden, die sich zu einem 36 Meter langen Parcours verschränken? Doug Aitken hat diese Aufgabe mit der faszinierendsten Videoinstallation von Venedig gelöst. Man sieht zuerst einen Mann, der aufwacht, die Fernbedienung noch in der Hand, um sodann das Haus zu verlassen und in die Nacht hinaus zu starten. Von nun an ist der Mann ständig unterwegs, er schlendert, er tanzt, sein Herz vibriert rasend schnell, die Finger seiner Hände geben rythmische Zeichen, zum Schluss versucht er durch einen Tunnel zu entschwinden, der nie zu enden scheint. Der Betrachter ist ständig von Projektionen umgeben, die Raumfolge zieht ihn von einer zur nächsten, so als würde er einen Film durchwandern. In dieser ambientvideo-Atmosphäre kann man verweilen oder schneller hindurchgehen, sie funktioniert immer.

Wenn man Doug Aitkens Arbeit mit einer Club-Situation vergleicht, dann wäre für Rosemarie Trockel im deutschen Pavillon die Seminar-Situation der passende Vergleich. Auch hier beziehen sich die Videoprojektionen aufeinander. Das Mittelstück bildet ein riesiges Auge, dessen Pupille ruhig hin und her wandert. Im linken Saal läuft ein kleines Video von einem Platz, auf dem Kinder in Spielzeugautos umherfahren. Wie ein modernes Milieugemälde wirkt die Szene. Während die Kinder spielen, tauchen am Rand allerhand Gestalten auf, gewissermassen die Realität ausserhalb des behüteten Hortes. Im rechten Saal läuft dagegen eine riesige Doppelprojektion, die eine utopische Situation zeigt, in der Menschen in aufblasbaren Plastikanzügen schlafen. Die Kinder spielen, die Menschen träumen und das grosse Auge des Unbewussten behält alles im Blick.

Schillernde Kugeln Bedächtig und ein wenig gedankenschwer wirkt der deutsche Pavillon. So etwas könnte bei Jason Rhoades nicht vorkommen. Nach dem Motto ‹Ich will Spass mit Kunst› ist er gleich mit zwei riesigen Installationen vertreten, einmal zusammen mit Peter Bonde im dänischen Pavillon und dann noch grösser in Kooperation mit Paul McCarthy in der dAPERTutto. Einmal geht es um Autorennen, das andere Mal um das schöne Leben an der amerikanische Westküste zwischen Fastfood, Film und Sex. Die fein komponierten Szenerien aus tausenden von Objekten sind erneut reich an Assoziationen, so reich, dass man sich gerne kurz davon erschlagen lässt, um sodann weiter zu eilen zu jenen Werken, die auch noch gewinnbringend betrachtet werden müssen.

So steigt man mit Katarzyna Kozyra in ihre Videorotunde mit Material aus einem Budapester Männerbad. Man ist umgeben von wie gemalt erscheinenden Bildern, lauter Adams im Bade. Mittendrin sitzt ein schmächtiger Jüngling, die Künstlerin, kostümbildnerisch hergerichtet als Mann. Er/sie ist schüchtern, manchmal unsicher. Nach einigen Minuten spürt man, dass irgendetwas nicht stimmt, die anderen bewegen sich freier. Doch der/die Jüngling hält durch und wird nicht entlarvt.
Dem Sänger in der Arbeit von Shirin Neshat geht es dagegen schlechter. Er singt vor Publikum, das nur aus Männern besteht, die Frau gegenüber vor einem leeren Saal, er wortreich, sie in wortlosen Tonfolgen. Sie wird immer stärker und singt ihn und sein Publikum regelrecht gegen die Wand. Zum Schluss schweigt er, während sie noch singt.

An einem der schönsten neu hinzugekommenen Orte des Biennalegeländes, in einer Nische am überdachten Hafenbecken, kurz bevor der Blick nach der nächsten Ecke auf die offene See fällt, steht eine blecherne Maschine, die angeblich ‹Nothing› produziert, dies dafür jedoch alle drei Minuten. Es ist die Seifenblasenmaschine von Pipilotti Rist. Wasserballgross und zwischen viel Rauch kommen die schillernden Kugeln heraus. Sie sind fast so unglaublich, wie die Tatsache, dass diese Biennale gelungen ist.

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Ausgabe: 07 / 1999
Ausstellung: ( - )
Institution: Giardini (Venezia)
Autor/in: Christoph Blase
Homepage: www.biennale.com

 

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