Salzburger Nachrichten am 15. November 2006 - Bereich: Kultur
Jude, Russe, Weltkünstler Das BA-CA Kunstforum
zeigt sensationelle Meisterwerke von Marc Chagall
ERNST P. STROBL WIEN (SN). Im jüdischen Getto der weißrussischen Stadt
Witebsk kam 1887 Moissje Segal zur Welt, der unter dem Namen Marc Chagall
weltberühmt wurde. Im BA-CA Kunstforum auf der Freyung sind bis 18.
Februar Zeichnungen, Radierungen und Gemälde von Chagall aus den
biografisch ereignisreichen, für die künstlerische Entwicklung so
wichtigen Jahren zwischen 1908 und 1922 ausgestellt. Zu sehen sind
weltbekannte Sujets und auch Hauptwerke wie etwa die Wandgemälde für das
Jüdische Theater in Moskau aus dem Jahr 1920. Neben den selten gezeigten
Bildern aus der Tretjakow-Galerie in Moskau wird auch die gesamte
Chagall-Sammlung des Staatlichen Russischen Museums in St. Petersburg
präsentiert. So ist der - empfehlenswerte - Rundgang durch die Ausstellung
eine einmalige Gelegenheit, die Bestände der russischen Sammlungen
gemeinsam zu sehen. Ein Blick auf das Frühwerk und darüber hinaus auf die Kunstgeschichte
zeigt eines: Vor Chagall gab es keinen Chagall, der Künstler entwickelte
sich auf der Basis seiner Herkunft. Für den russischen Juden bildet das
"Stetl" die Inspirationsquelle und zudem die russische Volkskunst. Beim
ersten Aufenthalt in Paris 1910 schließt Chagall Kontakte zu anderen
jüdischen Künstlern und wird mit der Avantgarde vertraut, vom auslaufenden
Kubismus bis zum aufkommenden Futurismus. Bei allen Einflüssen bleibt
Chagall dennoch sich und seiner figurativen Malerei treu, er malt
weiterhin in typischer russisch-jüdischer Fabulierkunst. Rationalität und
Schwerkraft scheinen aufgehoben, selbst wenn er bäuerliches Interieur
malt, scheint vieles in Schwebe zu sein. Wie Picasso entwickelt Marc Chagall eine Zuneigung zum Theater, rund um
das acht Meter breite Wandgemälde "Einführung in das Jüdische Theater"
gruppieren sich Großformate wie "Liebe auf der Bühne", "Literatur" oder
"Musik" mit dem berühmten grünen, schwebenden Geiger. So ein Fiedler ist
auf mehreren Bildern zu finden, das jüdische Leben wird ebenso
dokumentiert wie die Beziehung zu Bella, die seine Frau werden sollte.
Schwebende Engel oder auch das Bild "Kalvarienberg" verweisen auf
Verschmelzung von christlicher und jüdischer Tradition. Es sind lauter
suggestive Arbeiten, vor denen man nur bewundernd stehen kann. Der "Rote
Jude" bringt eine tragische Note ins Spiel, er erinnert an die Vertreibung
von 200.000 Juden aus Litauen, die nach Witebsk, der Heimat Chagalls,
kamen.Information: www.ba-ca-kunstforum.at |