10.09.2002 17:40
Internet-Kaffeehaussterben
Cyber-Kolonialismus versus Eigenständigkeit am Beispiel Afrikas, mehr
oder weniger abgehandelt in "Globalisierungskunst"
Cyber-Kolonialismus versus Eigenständigkeit am Beispiel Afrikas,
das Politische in der Kunst sowie Ausgeschlossenheit im Sinne von Zensur: Themen
beim Symposion der Ars Electronica, mehr oder weniger abgehandelt in
"Globalisierungskunst".
Der Bürgermeister von Timbuktu grinst in die Kamera. Es ist ein
offizielles Pressefoto und zeigt das Oberhaupt beim Versenden einer E-Mail. Das
rührende Dokument könnte fast als Karikatur, auch zum Ars-Thema "Unplugged"
verstanden werden. Birama Diallo aus Mali stellte dies ans Ende seines Vortrages
über das - auch von der Unesco unterstützte - Timbuktu Telecenter, das in seinen
vier Bestandsjahren 180.000 Besucher verzeichnete. Wir schreiben Tag zwei des
Symposions, an dem Afrika zwischen Cyber-Kolonialismus und Eigenständigkeit in
prototypischen Modellen besprochen wurde.
Diallo erklärte freudig, dass
man im Telecenter, das billig Trainer ausbilde, auch viele Frauen in die neue
Technologie eingeführt habe. Und gab zugleich zu, dass dort bloß 17 Prozent
aller Frauen in die Schule gingen, also lesen und schreiben lernten. Eine
Marktfrau verkauft Gewürze via Internet, welch Fortschritt!
Ein
Paradebeispiel eines "neuen Kolonialismus" demonstrierte Michel Mavros,
technischer Leiter des ersten, 1996 gegründeten senegalesischen Internetcafés
und Providers Metissacana. In den kurzen Jahren sei das Internet auch dort zum
Massenmedium geworden. Durch das Monopol von France Télécom schrumpfte die
Speicherkapazität seines Cafés - und damit stieg die Zahl der frustrierten
Kunden. Im Vorjahr gab das Café mit Frontfrau Omou Sy auf. Mavros über die
jetzige Situation in Senegal: "Der Profit geht zurück nach Frankreich, ganz
wenig wird im Lande wieder investiert."
Auf der Stromverbrauchs-
Weltkarte ist Afrika ein dunkler Fleck. Eckdaten über den
800-Millionen-Kontinent lieferte der Südafrikaner Michael Jensen,
Technologieberater in rund 30 afrikanischen Ländern. Die Zahl von 0,4 Prozent
Internetusern spräche Bände, obwohl dies ja auch noch gar nichts über die
Qualität der Nutzung sage.
Wo bleibt die Kunst? Eine Frage, die immer
brisanter wird auf diesem Festival. Sie bot einen mehr oder weniger geglückten
"Schauplatz globaler Konflikte". Peter Fends materialintensive, in seiner Fülle
zur Dekoration verkommende, an sich kluge Landkarteninstallation, die
Einzugsgebiete von Flüssen zeigt, war bereits Aushängeschild einer ähnlichen
(Globalisierungs-)Geschichte gewesen, im Einzugsgebiet von Inklusion: Exklusion,
steirischer herbst 1996.
Unplugged kann auch Ausgeschlossenheit im Sinne
von Zensur heißen. Über die Situation in Asien spricht heute, Mittwoch, der aus
China gebürtige und seit 1990 in Paris lebende Kunsttheoretiker und Kurator Hou
Hanru, in Wien durch die beachtliche Secession-Ausstellung Cities on the Move
1997 hervorgetreten. Er bestätigt im STANDARD-Gespräch diesen "hohen Grad an
Überwachung bei Medien und Internet" in China.
Gleichzeitig entstünden,
so Hou, viele alternative Orte, parallele Systeme, die unterschiedliche
Wirtschaftsmodelle propagieren. Wer hat Zugang (access)? Die Antwort ist, so
Hou, "die Piratenversion von allem, der einzige Weg für viele Länder". "Wir sind
am Redefinieren, was der Mainstream der Gesellschaft ist", sagt Hou, und "diese
neuen Verhältnisse schaffen auch für die Kunst neue Konfusionen." Zu diesem
Thema gab es ein gutes, allerdings höchst unprofessionell schlapp präsentiertes
Netz-Projekt, KOP - Kingdom of Piracy, das sich in der Electrolobby
übte.
Viele freuten sich, so der Theoretiker: je gefinkelter und
komplizierter die Technologie desto besser die Sache. "Die Kunst ist aber der
genaue Gegensatz zu dieser präzisen Definition, und daran sollten wir arbeiten."
(DER STANDARD, Printausgabe, 11.9.2002)