Mode trifftKunst
Zärtlich streicht er über seine cremeweißen schlichten „Ceramics“. Schalen sind es, Gefäße, die an Tiergestalten erinnern. Ein Vogel, ein Ziegenbock, ein Stier oder sich auftürmende Insektengebilde. Er hat sich von Masken aus Mali inspirieren lassen und von der Tierwelt in seinem Garten. Und wer die Hände vorsichtig über seine Objekte gleiten lässt, spürt die Fingerabdrücke des Künstlers auf der Oberfläche. Von Weitem bilden diese Unebenheiten eine spezielle Struktur, die Lust macht, diese Gefäße anzufassen.
Der Künstler heißt Dirk van Saene, und die Präsentation seiner Werke in der Wiener Galerie Song Song ist für ihn eine Premiere. Eigentlich ist er Modedesigner und auf den internationalen Laufstegen daheim. Mit seinen selbstbemalten, fotografierten und dann geprinteten Kleiderstoffen gehört er wie Martin Margiela, Walter Van Beirendonck, Dries van Noten, Ann Demeulemeester und Dirk Bikkembergs zu den „Antwerp Six“, den Designer-Kometen der Avantgarde der 80er-Jahre.
Dirk van Saene bewegt sich zwischen Zeitlosigkeit, exzessiver Kreativität, Alltagstauglichkeit und Marktabhängigkeit. Doch nach 20 Jahren ist ihm Mode nicht mehr genug. „Da bleibt die kreative Phase auf einen kurzen Zeitraum beschränkt, man macht die Zeichnungen, dann beginnt der lange Weg über Organisation und Produktion in den Verkauf. Damit am Ende ein Kleid entsteht, bin ich von vielen Menschen abhängig“, sagt Van Saene. Also studierte er noch einmal sieben Jahre an der Royal Academy of Arts in Antwerpen Kunst. „Ich wollte für mich etwas schaffen, mit mir allein, unabhängig von anderen und allen Zwängen. Etwas, das mit meinen Händen entsteht“, sagt er und zupft an seiner kniekurzen Lederhose, offenbar eine Hommage an Österreich. Seine blauen Augen blitzen vor Begeisterung.
Nun ist Dirk van Saene nicht der einzige Designer, den es in benachbarte Kunstwelten drängt. Tom Ford zum Beispiel hat die Schere mit dem Regiestuhl vertauscht und mit seinem ästhetischen Streifen „A single man“ bei den Filmfestspielen in Venedig sogar einen Preis (für Hauptdarsteller Colin Firth) eingeheimst. Wolfgang Joop wiederum landete mit den „Momentaufnahmen“ seiner Kunst – Engelskulpturen, Zeichnungen und eine raumfüllende textile Installation – „Eternal love“ (so auch der Titel der Ausstellung) im Frühsommer im Museum Rostock.
„Die Kunst ist eben heute viel heißer als die Mode“, erklärte er in einem Interview mit der „Zeit“. Martin Margiela ist in diesem Sommer gleich mit seinen surreal anmutenden Kleiderobjekten ins Münchner „Haus der Kunst“ eingezogen. Und Hedi Slimane, ehemals Chefdesigner von Dior Homme, kuratiert heute Ausstellungen in Topgalerien.
Der Flirt der Modestars mit der Kunst mag eine Antwort auf die Schnelllebigkeit der Fashionprodukte sein, die heute geschaffen und morgen vergessen sind, auch wenn ihre Schöpfer sie längst als große Inszenierung oder Installation in Fabriken oder anderswo präsentieren.
„Es gibt ein Bedürfnis nach gelebter Geschichte, vor allem in der Fashionwelt. Die verbraucht sich in einer Saison“, sagt Wolfgang Joop und bestätigt die Angst der Designer vor der Leere nach der Show. Mittlerweile scheint das gesamte Koordinatensystem, das Kunst von Design unterscheidet, zu wanken: „Designer entdecken mit ihrem Kunstanspruch auch die Autonomie. Sie sehnen sich nach Befreiung von kommerziellen Zwängen“, meint der Künstler und Kunsttheoretiker Peter Weibel. „Bei Künstlern ist das Gegenteil der Fall. Sie drängen nach Limitierung, nach Gebrauchsfähigkeit ihrer Werke und begeben sich in die Auftragszone.“
Vor allem seit der Kunstmarkt boomt, Museen mit Designshops und Eventkultur glitzern und Superstars zu Sammlern werden, holt sich die Glamourbranche immer häufiger Künstler direkt ins Haus. So kommt es, dass die Stararchitektin Zaha Hadid gerade Schuhe für das Schuhhaus Salamander entworfen hat. Dass Enfant terrible Damien Hirst im Vorjahr für Levis-Jeans Jacken und T-Shirts bunt bemalte. Die Kollektion wurde stilgerecht in einer New Yorker Galerie vorgestellt.
Und die freche Schwedin Nathalie Djurberg hielt in der Mailänder Zentrale von Miuccia Prada Einzug. Dort stellte sie einen gewaltigen Frauentorso auf. Im Inneren des massigen Körpers war ein drastischer Djuberg- Film zu sehen, darin tummeln sich Gestalten aus Plastilin, die meist Dinge tun, die tabu sind. Die Szenen obszöner Fantasien wurden aber nur für Besucher sichtbar, die durch das Loch im Hintern der Figur lugten. Besonders konsequent macht das Traditionshaus Louis Vuitton Kunstschaffende zur Trademark seiner Produkte. Vanessa Beecroft hat aus nackten, hellen und dunkelhäutigen Frauenkörpern das Logo der Firma nachgebildet. Olafur Eliasson (Wasserfälle in New York) übernahm 2006 die Weihnachtsdekoration für die Schaufenster von 350 Louis-Vuitton-Stores. Anstelle von Accessoires in den Schaufenstern strahlte die Passanten ein fantastisches Lichtauge an. Das Kunstwerk trug den Namen: „Eye See You.“ Im vergangenen Jahr ließ Chedesigner Marc Jacobs auch noch die Taschenkollektion von Richard Prince, der mit Werbefotografien berühmt geworden war, gestalten.
Was aber versteckt sich hinter der Liaison zwischen Kunst und Mode? Hat sich das klassische Vokabular der Moderne ebenso wie der Mode erschöpft, wie Weibel meint, oder handelt sich um eingegrenzte eruptive Kreativität? Oder gilt für heute einfach, was Hans Hollein vor 40 Jahren für Architektur behauptet hat: „Alles ist Design.“?
Sicher ist, dass die Künstler dieses Jahrhunderts Medien für ein Massenpublikum suchen. Mit Erfolg, wie sich zeigt. So hat der deutsche Künstler Tobias Rehberger für seine bunte popartig gestaltete Cafeteria der Biennale Venezia nicht nur den Goldenen Löwen erhalten, sondern dazu die Gewissheit, dass sein Gebrauchskunstwerk stehen bleibt.
Diesen Zug der Zeit hat auch Udo Kittelmann, Direktor der Berliner Nationalgalerie, erkannt und durch Schriftzug und Titel im neuen Logo unverblümte Assoziationen zu Supermärkten wie Aldi hergestellt: „Kunst ist super.“ Dabei ist es kaum zehn Jahre her, dass Kunstschaffende noch anarchistisch-kritisch mit Marken und Logos spielten – Tom Sachs zum Beispiel baute aus Prada-Schachteln Konzentrationslager. Heute stylen sie sich selbst zur Marke in der Warenwelt.
Gegen die Ausweitung der Spielzone ist nichts zu sagen, solange die Kunst sich treu bleibt. „Große Künstler seit Baudelaire waren mit der Mode im Komplott“, meinte schon Theodor W. Adorno. Beide Bereiche seien sich einig „in der Aversion gegen Provinzialismus, gegen jenes Subalterne, das von sich fern zu halten den einzigen menschenwürdigen Begriff künstlerischen Niveaus abgibt.“