Ein Quoten-Häusel am Canal
Kunstbiennale. Österreich-Kunst in Venedig: Markus Schinwald überzeugt durch Filme, Gelatin sowie Franz West durch Kauzigkeit.
MARTIN BEHR VENEDIG (SN). Ein Händchen für Quotenerfolge kann man ihm nicht absprechen. Das aus den Tiefen der Alpenrepublik in den lauschigen Garten des Palazzo Franchetti transferierte schmalpickte Elternhaus des Künstlers Erwin Wurm geht auf die Kuratorenschaft des Ex-MAK-Chefs Peter Noever zurück. Noever ist einer der Kuratoren das Projektes „Glasstress 2011“, welches zu den „Collateral Events“ der 54. Kunstbiennale von Venedig zählt. Die Wurm’sche, nur 1,38 Meter breite Behausung inklusive gestauchtem Interieur konfrontiert knallhart venezianisches Ornament mit obersteirischem Häuselbauercharme. Klar doch: ein Lieblingsfotomotiv für Touristen und Kunstinteressierte.Fulminante Schinwald-Filme Es sei eine besondere Biennale für Österreich, erklärte Kulturministerin Claudia Schmied (SPÖ) am Donnerstag bei der Eröffnung des von Markus Schinwald gestalteten Österreich-Pavillons. Gemeint waren der Goldene Löwe für das Lebenswerk von Franz West sowie die „fulminante Einzelschau“ des 38-jährigen Künstlers Schinwald. Doch der mit einem labyrinthischen Irrweg und Kunstwerken bestückte Österreich-Pavillon löst die hoch gesteckten Erwartungen – Biennale-Kommissärin spricht von einer „Manipulation von Raum, Zeit, Licht und Schatten“ – nur teilweise ein. Fulminant sind jedenfalls die perfekt produzierten Filme „Orient“, in denen Markus Schinwald in atemberaubender Kulisse zwanghaft-abstruse Performances, die mit dem Ungenügen der Körperlichkeit zu tun haben, visualisiert. Irgendwo zwischen Slapstick und Modern Dance, zwischen Jacques Tati und David Lynch angesiedelt, treiben die bewegten Bilder die von Schinwald angestrebte psychologische Auseinandersetzung mit Raum und Körper, mit Unbehagen und subjektiven Defiziten konsequent weiter. Die vom Künstler in den stilisierten Irrgarten gesetzten, mit markanten Retouchen versehenen Gemälde (die zuvor auf Auktionen oder auf Flohmärkten gekauft wurden) unterstreichen das Anliegen. Menschliche Gesichter, gemalt im 19. Jh., bekommen seltsame Mundklammern, verlieren ihre Gesichter, werden durch nachträgliche Beifügungen malträtiert. Schinwalds drittes Element im dekonstruierten Pavillon, zarte Tischbeinobjekte, sind an unerwarteten Orten postiert. Fazit: Die Einzelteile sind um vieles stimmiger und aufwühlender als das dominante Raumkonzept, für das 14 Tonnen Baumaterial eingesetzt wurden.Gelatin als Glasschmelzer Spaziert man vom Giardini-Gelände ins Arsenale, trifft man im Gartenbereich auf den wohl unkonventionellsten Beitrag aus Österreich bei der Biennale. Die Künstlergruppe Gelatin lässt einen Schmelzofen mit Holzscheiten befeuern und eine Tonne Glas flüssig werden. Künstlerfreunde spielen dazu Musik, ein eigentümliches Gondelgefährt mit Rädern amüsiert, Weinflaschen werden geleert (man braucht ja Rohstoff). Während in der Wiese allmählich eine nicht unbeträchtliche Glaspfütze entsteht, darf man sich fragen, ob dies nun eine Skulptur ist. Oder firmiert „Some Like It Hot“, so der Titel der sinnlichen Materialumwandlung, nicht doch als postmodernes Happening? Dämpfe, Rauch, Punk, Krachen, Energie: Kunst soll, darf, muss auch Spaß machen, lautet die Lehre aus dem hitzigen Biennale-Event.
Sympathisch kauzig auch der Para-Pavillon, den Franz West in das Arsenale gebaut hat: Eine Rekonstruktion seiner Wiener Küche, anders als bei Wurm stimmen aber die Relationen. An den Außenwänden sind zahlreiche Arbeiten aus dem Privatbesitz von West postiert. Diese Künstler kommen quasi über die Hintertüre zu einer Biennale-Präsenz. Und: Privatheit wird öffentlich.