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Wien Museum Karlsplatz: Die dreckige Stadt

11.03.2009 | 18:22 | NORBERT MAYER (Die Presse)

„Big City“ zeigt 150 Fotografien von 18 ausgezeichneten Künstlern aus New York – eine ungeschminkte Dokumentation der Metropole.

Auf den ersten Blick sind es Idyllen vom Land. Ein Liebespaar räkelt sich freizügig, der Welt enthoben im hohen Gras, drei Hühner stelzen in einem desolaten Hof herum, junge Leute tollen am Strand. Auf den zweiten Blick herrscht hier ein anderer Beat: Wir sind in der Stadt an sich, im Big Apple, im Central Park, in Brooklyn, auf Coney Island. „The Times They Are a-Changing“.

150 aufregende Meister-Fotos aus New York sind im Wien Museum Karlsplatz zu sehen: „Street Photography“ nennt sich das Genre, das in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Magazine mit Alltagsszenen eroberte, über stilbildende Blätter wie „Vogue“, „Life“ oder „Harper's Bazaar“ die Ästhetik der Mode veränderte; Schnappschüsse aus einer pulsierenden, dreckigen, bösen Metropole zeigen das wirkliche Leben im Hochglanz-Ambiente. Erschöpfte Gesichter, böse Visagen, nur dann und wann ist ein kleines Lächeln zu sehen, oder gar Lebenslust, in der Großstadt, die wie eine expressionistische Kulisse wirkt.

Von den aufstrebenden Vierziger- bis zu den spekulativen Achtzigerjahren reicht das Spektrum der Aufnahmen, die Gilles Mora, ein ausgewiesener Experte für US-Fotografie, ausgesucht hat. Der Kurator bediente sich vor allem bei New Yorker Sammlungen, aber auch in der Schweiz und bei der Albertina. Die könnte vielleicht selbst einmal mit ihren großen Beständen eine Leistungsschau dieser in Wien noch immer unterschätzten Kunstsparte wagen.

 

Wie ein Stalker durch die City

Ikonen von Walker Evans (1903–1975), Diane Arbus (1923–1971), Robert Frank (*1924) sind zu sehen, insgesamt Arbeiten von 18 Künstlern. Frappant ist der Wandel innerhalb weniger Jahrzehnte. Die ersten Aufnahmen von Evans oder Sid Grossman (1913–1955) und Ted Croner (1922–2005) wirken noch wie ein Nachklang der Depression der Dreißigerjahre. Unbarmherzig jagte „Weegee“ Arthur Fellig (1899–1968), ein Pressefotograf, seine Motive, immer wollte er der Erste sein, wenn es brannte oder knallte, gefährlich nah war der dran. Wie ein Stalker lebte Garry Winogrand (1928–1984), besessen fotografierte er Frauen, folgte ihnen durch die Straßen, schoss mit seiner Kleinbildkamera sozusagen aus der Hüfte. Bemerkenswerte Schnappschüsse sind das, 300 seiner Fotos sind als Diashow zu sehen.

Andere arbeiteten so raffiniert mit Reflexionen, dass die Bilder durchkomponiert scheinen, Lee Friedlander (*1934) etwa oder Charles Harbutt (*1935). Die Ausstellung ist eine große Enthüllungsstory, geschrieben von Leuten wie Faurer, Klein, Levinstein, Levitt oder Papageorge. New York zeigt sich bei ihnen ganz intim. Die Lady hat sich nicht herausgeputzt, sondern sie wurde ganz einfach überrascht, noch ehe sie sich zumindest frisieren konnte.


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