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Sex, Lügen & Videos
KUNST Das Werk von Valie Export ist zurzeit präsenter als je zuvor: eine späte Anerkennung für die Feministin und Bilderstürmerin, die heuer 65 wird und die jüngere Kunstgeschichte entscheidend beeinflusst hat. MATTHIAS DUSINI

Falter 05   Originaltext aus Falter 05/05 vom 02.02.2005

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Die steril-elegante Einrichtung lässt auf ein teures Hotelzimmer schließen. Ein Mann und eine Frau liegen auf dem Bett und machen Sex. So richtig Freude kommt dabei nicht auf, weder bei dem verkrampft wirkenden Pärchen noch beim Zuschauer, der das Geschehen aus der Vogelperspektive einer Videokamera verfolgt. Kein Stöhnen, keine Zooms, kein Cumshot: Dem tonlosen Video fehlen die typischen Merkmale eines Pornofilms. Und dennoch handelt es sich um Sexarbeit – allerdings ziemlich gut bezahlte. Das Angebot lag zwar nicht bei einer Million Dollar, die Robert Redford in „Ein unmoralisches Angebot“ für eine Nacht mit Demi Moore bot, aber immerhin bei 20.000 Dollar – für eine Stunde im Hotel. Wobei sich die Frage stellt, welche Frau im wirklichen Leben so viel verlangen kann und wer dafür so viel bezahlt.
  Die Lösung: Es handelt sich hier um Kunst. Das Video hat den lakonischen Titel „Untitled“ (2003), ist eines der umstrittensten Kunstwerke der letzten Jahre und stammt von der amerikanischen Künstlerin Andrea Fraser. Sie hatte ihren New Yorker Galeristen beauftragt, einen Sammler zu suchen, der für Sex mit ihr zu zahlen bereit war. Fraser wollte darstellen, was in ihren Augen zwischen Sammlern und Künstlern ohnehin unausgesprochen stattfindet: Prostitution.
  Als Vorbild nannte Fraser die österreichische Künstlerin Valie Export, die vor 65 Jahren als Valie Lehner in Linz geboren wurde und heute Stockinger heißt. Ihr Werk wird derzeit in der Sammlung Essl und im Atelier Augarten gezeigt. Den in Großbuchstaben zu schreibenden Künstlernamen Export legte sie sich 1967 zu. „Ich habe mich entschieden, meine Ideen aus mir heraus zu exportieren“, so Export im Interview. Das Werbesujet hatte die Raucherin der Zigarettensorte Smart Export gewissermaßen in der Hand. Das Foto der rauchenden Künstlerin, die die Zigarettenpackung mit ihrem Konterfei und der Aufschrift VALIE EXPORT in die Kamera hält, ist längst zu einer Ikone der jüngeren Kunstgeschichte geworden.
  Noch eindringlicher sind die Selbstporträts, die im Zuge der Performance „Genitalpanik“ (1969) in einem Münchner Kino entstanden. Die Mutter aller Bad Girls (und Mitbegründerin der Filmavantgardegruppe Austrian Filmmakers Cooperative) trat da mit wild zerzaustem Haar und in Jeans auf, in der im Schritt ein großes Loch klaffte: „Ich wollte die Genitalpanik als Filmaktion machen, das Thema Filmbild ist aber nicht auf der Leinwand, auch nicht auf dem Zelluloid, sondern real im Kinoraum.“ Die voyeuristisch glotzenden Konsumenten wurden ein andermal mit politradikalen Sprüchen provoziert und mit einer Peitsche malträtiert: Export stürmte das Kino als Ort des passiven Illusionskonsums.
  Zu einer Zeit, als Abtreibungsverbot und Scheidungsrecht Frauen an den Herd und das Ehebett fesselten, sahen Künstlerinnen wie Export, Carolee Schneemann und Joan Jonas im Kino eine Propagandamaschine gegen ein verlogenes Bild der Wirklichkeit. Der Kampf um das Recht auf den eigenen Körper war eins mit dem Kampf ums eigene Abbild. Denn das war die ganze Kunstgeschichte des Abendlandes hindurch fest in Männerhand gewesen. Warum sich Export im Anschluss an ihre Kinoaktionen den elektronischen Medien verschrieb, lässt sich ebenfalls aus ihrem feministischen Engagement heraus erklären. Die Malerei war in den Nachkriegsjahren eine Domäne genialischer Malermeister. Und die demonstrierten ihre Männlichkeit mit dem Pinsel, nicht mit Worten. Export las sehr früh die maßgeblichen Theoretiker und Theoretikerinnen ihrer Zeit, von Michel Foucault bis Julia Kristeva, bezog sich auf die Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts, die künstlerischen Verfahren der französischen Situationisten. Auf vielen ihrer Planskizzen für Videoinstallationen finden sich Theoriezitate. „Ich arbeite mit Theorie, bin aber keine Theoretikerin. Ich mache auch vieles aus dem Bauch heraus.“
  Diese brisante Mischung aus Kopf und Körper macht Export bis heute zur Identifikationsfigur. „Sie hat eine Schneise geschlagen“, erklärt die Wienerin Carola Dertnig, die gerade an einem Buch über vergessene Performerinnen arbeitet. Dertnig erinnert an die wichtige kuratorische Arbeit Exports, die zum Beispiel 1975 in der Galerie nächst St. Stephan eine Ausstellung und ein Symposium mit dem Titel „Magna. Feminismus: Kunst und Kreativität“ gestaltete, in denen zum ersten Mal feministische Künstlerinnen, Aktivistinnen und Theoretikerinnen zusammenfanden. Export beschreibt die Vorbereitung dafür allerdings als mühsam und unergiebig. „Die Linken hatten keinen besonderen Zugang zur Kunst. Die Ausstellung wurde als Ausdruck bürgerlicher Ideologie abgelehnt. Meine Haltung war, die Kunst kann auch etwas zum Feminismus beitragen.“
  Die eingangs erwähnte Andrea Fraser nennt Exports Aktion „Tapp- und Tastkino“, in der diese die Passanten in der Münchner Fußgängerzone aufforderte, ihre durch ein Kinomodell aus Karton verdeckten nackten Brüste anzufassen, als Modell für ihre Körperaktion. Export wiederum findet Frasers Aktion stark, kritisch und auch humorvoll. Als negatives Beispiel aktueller Körperkunst nennt sie dagegen die Performances der italienischen Künstlerin Vanessa Beecroft, die Dutzende nackte Frauen in starrer Position posieren lässt. „Massen von Frauen zu zeigen, die einem Massengeschmack entsprechen, finde ich affirmativ.“ Im Gegensatz zu Beecroft trat sie in ihren Performances auch meist selbst auf. „Der voyeuristische Blick wird in solchen Inszenierungen anders gelenkt.“
  Lange Zeit hatte Export als Epigonin des Wiener Aktionismus gegolten. Dabei erkannte sie im Gegensatz zu Hermann Nitsch oder Otto Muehl sehr früh die Bedeutung von Fotografie und Film für aktionistische Kunst. Und in Geschlechtsfragen war sie ihnen ohnehin um Lichtjahre voraus. Die Frauen waren im Wiener Aktionismus nicht mehr als bemalte Anhängsel.
  Wenn die Wiener Künstlerin Elke Krystufek heute öffentlich masturbiert, mag das exhibitionistisch wirken. Ein Stück Export’sche Aufklärung ist dennoch dabei. Was Export allerdings von den jungen Kolleginnen unterscheidet: Sie bekommt den Lohn für ihre künstlerische Pionierarbeit erst Jahrzehnte später. Denn für eine Künstlerin, die sich für neue Medien, Theorie und Feminismus interessiert, gab es hierzulande bis in die Neunzigerjahre keinen Platz. Noch immer ist Export verärgert, wenn sie von zwei erfolglosen Bewerbungen an heimischen Akademien erzählt. In den Achtzigerjahren unterrichtete sie in den USA, heute lebt sie in Wien und fliegt jede Woche nach Köln, wo sie an der Kunsthochschule für Medien unterrichtet. Sie selbst studierte auf keiner Akademie, sondern absolvierte nach einer früh geschiedenen Ehe in Linz die Höhere Bundeslehr- und Versuchsanstalt für Textilindustrie.

Auch ihre Anerkennung im lokalen Ausstellungsbetrieb setzte erst spät ein. „Außer zwei, drei frühen Aktionen war hier nichts bekannt.“ Aufgrund zweier breit kolportierter Prozesse galt Export als notorische Skandalkünstlerin. Gemeinsam mit Peter Weibel wurde sie wegen der Publikation pornografischer Fotos der Aktionisten für den Verstoß gegen das Jugendschutzgesetz verurteilt, aufgrund dessen ihr schließlich auch das Sorgerecht für ihre Tochter entzogen wurde. Ein zweites Mal wurde sie der Tierquälerei für schuldig gesprochen, nachdem sie in einer Aktion einen Vogel mit Wachs übergossen hatte.
  Lange Zeit verhinderte das Label Körperkünstlerin einen Blick auf das Gesamtwerk der Künstlerin. Was sie sonst noch machte, lagerte unbeachtet im Schrank. Das Atelier Augarten zeigt derzeit einen Überblick über Exports konzeptuelle Fotografie aus den frühen Siebzigerjahren. Ähnlich wie in den Kinoaktionen untersuchte sie dabei die Grundelemente eines Mediums: Welche Bilder entstehen, wenn man dasselbe Haus mit verschiedenen Zoomeinstellungen fotografiert? Was passiert, wenn man aus einem fahrenden Auto fotografiert? Und wieder zeigt sich Exports Misstrauen gegenüber der medial erzeugten Wirklichkeit.
  Die Kunsthistorikerin Silvia Eiblmayr, Leiterin der Innsbrucker Galerie im Taxispalais, attestiert Export ein „sehr frühes, kritisches Sensorium für kommende Entwicklungen“. In der im ORF 1971 gezeigten TV-Aktion „Facing a Family“ beobachtet eine Kamera eine Familie in der Küche, die ihrerseits wiederum eine Familie beim Fernsehen beobachtet. Die Urszene des Reality-TV war damit skizziert.
  Als erste Institution begann Mitte der Neunzigerjahre die Firmensammlung der Generali Versicherung Exports Werke systematisch zu sammeln, indem sie deren filmisches Werk ankaufte. 1997 gab es im Museum moderner Kunst eine erste Retrospektive. Doch auch international ist die Nachfrage nach Export – wie generell nach Kunst der Sechziger- und Siebzigerjahre – so groß wie noch nie. 2003 zeigte die Neue Gesellschaft der bildenden Kunst in Berlin eine große Werkschau; und im letzten Jahr begann jene Werkschau zu touren, die in Paris, Sevilla, Genf und London Station machte und nun auch in der Sammlung Essl zu sehen ist. Selbst der Kunsthandel interessiert sich erst jetzt für eine Künstlerin, die wie viele aus ihrer Generation „nie in Galerien und Museen konnte und wollte“ (Export). „Fast jede Woche ruft ein Museum an, das ein Anbot gelegt haben möchte“, freut sich Exports Wiener Galeristin Miriam Charim. In ihrer Kritik an der Ware Kunst waren die Neoavantgardisten allerdings auch die Speerspitze einer allgemeinen ökonomischen Entwicklung: Statt handfester Produkte sollten Ideen und Dienstleistungen auch in der Kunst zu den wichtigen Gütern der postindustriellen Zeit avancieren; an die Stelle der bemalten Leinwand trat der Schaltplan für eine Videoinstallation.

Ganz ohne Hader geht die späte Kommerzialisierung der frühen Antikunst aber nicht über die Bühne. Ähnlich wie bei den Werken der Wiener Aktionisten muss erst die Frage nach dem Copyright abgeklärt werden. Liegt es beim Fotografen, bei der Künstlerin oder beim Model? Darf die Künstlerin neue Abzüge von Bildern machen, deren Erstabzüge bereits an eine Institution verkauft wurden? Der 6500 Euro teure Abzug eines Negativs aus dem Jahre 1968 zeigt die Künstlerin, die einen Mann an einem Halsband über eine Straßenkreuzung führt. Es ist eine starke und auch sehr komische Aktion, die nur einen Schönheitsfehler hat: Der Mann, der hinter Export herdackelt, ist ihr damaliger Lebensgefährte, der Künstler und Theoretiker Peter Weibel, mit dem sie schon einige Sträuße in Sachen Autorenschaft ausgefochten hat.
  Werkangaben lauten dann wie im Falle des Spielfilms „Unsichtbare Gegner“ (1976) „Drehbuch: Peter Weibel unter Mitarbeit von Valie Export, von der auch die Idee stammt. Regie: Valie Export, Mitarbeit: Peter Weibel.“ „Das hat alles Peter geschrieben“, ruft eine dritte Person aus dieser jahrzehntealten Beziehungskiste. Die Schauspielerin Susanne Widl spielte die Hauptrolle im ersten Spielfilm Exports, einer Low-Budget-Produktion mit einem ziemlich kruden Plot. Eine Fotografin leidet an einer Persönlichkeitsspaltung und fühlt sich von Außerirdischen und den mieselsüchtigen Wiener Mitbürgern bedroht. Auch mit ihrem Mann, gespielt von Peter Weibel, hat sie Zoff.
  Widl betreibt heute das Wiener Café Korb, war zuerst im Film, dann auch außerhalb des Films Weibels Lebensgefährtin und sieht ihre Mitarbeit heute von Export zu wenig gewürdigt. Im nächsten Film durfte Peter dann nicht mehr zu Susanne sagen: „Komm, mach Landeplatz für Bussi.“ Drehbuchautor Weibel hatte diesmal nämlich den Protagonisten Weibel – zum Missfallen Exports – nicht nur mit einer Ehefrau, sondern zusätzlich mit drei Freundinnen ausgestattet. Die anspruchsvolle Rolle übernahm an Weibels statt schließlich der spätere Hoteldirektor der TV-Serie „Schlosshotel Orth“, Klaus Wildbolz.
  Es gibt wohl nur wenige Zuschauer, die Exports Film „... Remote ... Remote“ (1972) wirklich gesehen und nie weggeschaut haben. Darin schneidet sich die Künstlerin mit einem Stanley-Messer in die Nagelbetten und lässt das Blut in eine Milchschüssel tropfen. Ihr Gesicht bleibt unbewegt. Schmerz ohne Schrei, die Stille ist unerträglich laut. Dagegen fallen viele Aktionen, die nun im Zuge von Exports Musealisierung ausgegraben werden, eher unter die Kategorie „Kalauer mit hohem theoretischem Anspruch“: Da wird mit der Schere statt am Schneidetisch geschnitten; Passanten werden aufgefordert, sich ein Stück von einem Brotlaib abzuschneiden, den sich die Künstlerin auf den Bauch gebunden hat – um den Zusammenhang zwischen dem „Brot als Lebensquell“ und einer Schwangerschaft zu begreifen. Auch wenn viele der Medieninstallationen der letzten beiden Jahrzehnte getrost in den Depots eines Medienkunstfestivals endgelagert werden könnten, steht eines fest: Valie Exports Beitrag zur neueren Kunstgeschichte ist unbezahlbar.

Valie Export: Serien. Bis 20.2. im Atelier Augarten (2., Scherzergasse 1a).
Information: www.atelier-augarten.at

Valie Export: Eine Werkschau. Vom 11.2. bis 6.3. Eröffnung: 10.2. um 19.30 Uhr in der Sammlung Essl (3400 Klosterneuburg, An der Donau-Au 1).
Information: www.sammlung-essl.at

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Jänner 2005 © FALTER
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