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ie verherrlichten den Krieg, die Ge fahr, die Geschwindigkeit.
Frauen degradierten sie zu Gebärmaschinen von frischem Kanonenfutter,
Männer stilisierten sie zu unverwundbaren Kampfmaschinen hoch, die sich
selbst reproduzieren. Industrie, Technik und Fortschritt stellten sie über
die Seele. Die Ideologie der Futuristen jagt heute Schauer über Körper wie
Geist. Schlagwörter wie Militarismus, Klonen und "Heimchen-am-Herd"
verbinden diese letztendlich im Faschismus aufgegangene italienische
Avantgarde-Kunstrevolution mit dem Heute.
Der drohende Irak-Krieg gibt der Futurismus-Ausstellung
im Wiener BA-CA-Kunstforum die schon fast unangenehm scharfe Aktualität.
200 Exponate - Gemälde, Bücher, Zeichnungen, Skulpturen, Mode-Entwürfe -
hat die Kuratorin Evelyn Benesch in zweijähriger Vorbereitungszeit aus
aller Welt zusammengeführt. Seit dem Jahr 1912, als die Futuristen mit
ihren Werken durch Europa tourten, ist es die erste Präsentation dieser
oft nur mit Scham bedachten Kunstrichtung in Wien. Und doch war es eine
Avantgarde, eine "Vorhut", die durch ihre Radikalität in Stil und Thematik
der jüngeren Kunstgeschichte ihre Wut aufprägte.
Wie ein Projektil traf der Futurismus zu Beginn des
20. Jahrhunderts mitten ins Herz des verschlafenen Italien. Während
in Frankreich der Kubismus die Welt zerlegte und neu zusammensetzte und in
Deutschland der Expressionismus Farben und Formen explodieren ließ,
schwelgte man im Land, wo die Zitronen blühen noch im hehren Ideal und dem
Post-Impressionismus.
Doch es gärte bereits. Schlicht "Zerstörung" schrieb sich
eine Gruppe junger Intellektueller und Maler auf die selbstbewusst
hochgereckten Fahnen - herunter vom Sockel mit der Antike, die Kirchen
niedergebrannt, die gestrenge Akademie in Schutt und Asche gelegt. Doch
mit den Taten hielt man es zu Beginn der Bewegung nicht so. Dafür
überschwemmte eine wahre Flut von Manifesten Straßen und Cafés. Über
vierzig Aufrufe sind allein in den ersten acht Jahren von 1909 bis 1917
dokumentiert.
Der Startschuss zum Aufbruch erfolgte am 20. Februar
1909. Dem Pariser Bürgertum müssen die Hände nur so gezittert haben vor
Erregung, als sie in "ihrer" Tageszeitung "Le Figaro" elf Thesen über den
Futurismus eines gewissen Filippo Tommaso Marinetti überflogen. "Schönheit
gibt es nur noch im Kampf. Ein Werk ohne aggressiven Charakter kann kein
Meisterwerk sein" hieß es da. Und dort: "Wir wollen den Krieg
verherrlichen - diese einzige Hygiene der Welt - den Militarismus, den
Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für
die man stirbt, und die Verachtung des Weibes". Der Triumph der Technik
ist es, der hier hemmungslos euphorisch gefeiert wird: ,,Ein aufheulendes
Rennauto ist schöner als die Nike von Samothrake."
Wer hätte sich diese Aussagen erwartet, vom wohlhabenden
und wohlerzogenen Marinetti, dem intellektuellen Juristensohn, der in
Alexandria aufwuchs und in Paris zur Schule ging. Bis jetzt leistete er
sich ein Leben als nicht einmal ignorierter Literat und Theaterautor. Doch
seine wortgewaltigen Auftritte zogen magnetisch an, sein
Futurismus-Manifest sorgte auch international für Aufsehen. Begeisterung
rief Marinetti auch beim Maler Umberto Boccioni hervor, durch den die
Umbruchstimmung auf die Kunst übergriff.
Gemeinsam mit seinen Freunden Carlo Carrá und Luigi
Russolo verfasste Boccioni das erste "Manifest der futuristischen
Malerei". Hier wurde die Umsetzung der modernen Welt in die der Bilder
proklamiert - das hieß die Dynamik der Industrialisierung, das Einfangen
der neuen Hektik des Alltags. Zum Kern der Gruppe kamen noch der zu dieser
Zeit bereits renommierte Maler und Lehrer Boccionis, Giacomo Balla, hinzu,
sowie Gino Severini.
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Einen Stil hatten sie noch nicht, aber die Themen brachen
aufgestaut nur so heraus. Zuerst orientierte man sich am Divisionismus,
der gerade in Italien modernen Form des Pointillismus. Doch gewaltige
Worte forderten auch einen gewaltig unterschiedlichen Stil: 1911 reisten
Carrá und Boccioni - auf Kosten des reichen Marinettis - nach Paris. Der
Kubismus wurde für die Idee des Futurismus entdeckt, in seiner zerhackten
Momenthaftigkeit. Doch die Stilvielfalt blieb und macht die Werke heute
schwer datierbar.
1912 gelang der internationale Durchbruch bei einer
Ausstellung der Gruppe in der angesehenen Pariser Galerie Bernheim-Jeune.
Danach ging man auf Europa-Tournee, die auch Wien streifte. Wo hier
Station gemacht wurde, ist unbekannt. Unter den Bildern befand sich auch
Gino Severinis monumentales Großformat "Der Pan-Pan-Tanz im Monico" von
1909. Auf skurrile Weise verschwand es bei dieser "Promotion"-Tour. Das
BA-CA Kunstforum zeigt eine Replik des 280 mal 400 cm großen kleinteilig
verschachtelten Gemälde, die Severini selbst 1959 anfertigte.
Absoluter Höhepunkt der Ausstellung ist allerdings
Umberto Boccionis "Entwicklung einer Flasche im Raum" von 1912. Diese
Plastik machte Kunstgeschichte. Nur durch die eigene Bewegung im Raum,
durch das Umschreiten der Bronze, die das Kunsthaus Zürich lieh, winden
sich die Serpentinen und Schlaufen zur Flasche zusammen. Ganz nach einem
Postulat der Futuristen: Im Mittelpunkt des Kunstwerks habe der Betrachter
selbst zu stehen. Gleich neben dem Wort sozusagen, das besonders in den
Zeichnungen und Collagen seine Spiele treibt. Buchstaben setzen sich zu
Treppengeländern zusammen, werden statt des Menschen in den Raum gestellt,
verkünden Krieg und Sieg.
Der Futurismus war ein Lebenskonzept, sollte alles
infiltrieren. Die repräsentativen wuchtigen Architekturentwürfe eines
Antonio Sant'Elia blieben Utopien, die Modeentwürfe von Giacomo Balla
wurden hingegen sonderbare Realität, wie der Auswuchs eines
Futuristen-Gilets beweist. Neben Theaterstücken entstanden auch Film und
Fotografie, doch äußerst spärlich. Denn, man glaubt es nicht, die
Futuristen lehnten die neuen Medien ab! Furcht vor zu dynamischer
Konkurrenz? Nein, offiziell sollte das "Original" behütet werden.
Patriotismus und Kriegsbegeisterung der Gruppe forderten
ihren Tribut: Anführer Boccioni fiel 1916. In der Zwischenkriegszeit
bildet sich der sogenannte "Zweite Futurismus", noch bunter, noch
fantastischer. Doch die Kraft der künstlerischen Erneuerung war
aufgebraucht, und Marinettis Karriere im Faschismus beginnt. Hier endet
die Wiener Ausstellung und entzieht sich so elegant einer politischen
Rechtfertigung. Die Kunst spricht für sich selbst.
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