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06.03.2003 - Ausstellung
Die Wut im stählernen Herzen
Den Futurismus als Fortschritt will das Wiener BA-CA Kunstforum zeigen. 200 Exponate aus den Jahren 1910 bis 1930 sparen die Zeit aus, als diese radikale Kunstbewegung völlig im Faschismus aufging.
VON ALMUTH SPIEGLER


S
ie verherrlichten den Krieg, die Ge fahr, die Geschwindigkeit. Frauen degradierten sie zu Gebärmaschinen von frischem Kanonenfutter, Männer stilisierten sie zu unverwundbaren Kampfmaschinen hoch, die sich selbst reproduzieren. Industrie, Technik und Fortschritt stellten sie über die Seele. Die Ideologie der Futuristen jagt heute Schauer über Körper wie Geist. Schlagwörter wie Militarismus, Klonen und "Heimchen-am-Herd" verbinden diese letztendlich im Faschismus aufgegangene italienische Avantgarde-Kunstrevolution mit dem Heute.

Der drohende Irak-Krieg gibt der Futurismus-Ausstellung im Wiener BA-CA-Kunstforum die schon fast unangenehm scharfe Aktualität. 200 Exponate - Gemälde, Bücher, Zeichnungen, Skulpturen, Mode-Entwürfe - hat die Kuratorin Evelyn Benesch in zweijähriger Vorbereitungszeit aus aller Welt zusammengeführt. Seit dem Jahr 1912, als die Futuristen mit ihren Werken durch Europa tourten, ist es die erste Präsentation dieser oft nur mit Scham bedachten Kunstrichtung in Wien. Und doch war es eine Avantgarde, eine "Vorhut", die durch ihre Radikalität in Stil und Thematik der jüngeren Kunstgeschichte ihre Wut aufprägte.

Wie ein Projektil traf der Futurismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts mitten ins Herz des verschlafenen Italien. Während in Frankreich der Kubismus die Welt zerlegte und neu zusammensetzte und in Deutschland der Expressionismus Farben und Formen explodieren ließ, schwelgte man im Land, wo die Zitronen blühen noch im hehren Ideal und dem Post-Impressionismus.

Doch es gärte bereits. Schlicht "Zerstörung" schrieb sich eine Gruppe junger Intellektueller und Maler auf die selbstbewusst hochgereckten Fahnen - herunter vom Sockel mit der Antike, die Kirchen niedergebrannt, die gestrenge Akademie in Schutt und Asche gelegt. Doch mit den Taten hielt man es zu Beginn der Bewegung nicht so. Dafür überschwemmte eine wahre Flut von Manifesten Straßen und Cafés. Über vierzig Aufrufe sind allein in den ersten acht Jahren von 1909 bis 1917 dokumentiert.

Der Startschuss zum Aufbruch erfolgte am 20. Februar 1909. Dem Pariser Bürgertum müssen die Hände nur so gezittert haben vor Erregung, als sie in "ihrer" Tageszeitung "Le Figaro" elf Thesen über den Futurismus eines gewissen Filippo Tommaso Marinetti überflogen. "Schönheit gibt es nur noch im Kampf. Ein Werk ohne aggressiven Charakter kann kein Meisterwerk sein" hieß es da. Und dort: "Wir wollen den Krieg verherrlichen - diese einzige Hygiene der Welt - den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes". Der Triumph der Technik ist es, der hier hemmungslos euphorisch gefeiert wird: ,,Ein aufheulendes Rennauto ist schöner als die Nike von Samothrake."

Wer hätte sich diese Aussagen erwartet, vom wohlhabenden und wohlerzogenen Marinetti, dem intellektuellen Juristensohn, der in Alexandria aufwuchs und in Paris zur Schule ging. Bis jetzt leistete er sich ein Leben als nicht einmal ignorierter Literat und Theaterautor. Doch seine wortgewaltigen Auftritte zogen magnetisch an, sein Futurismus-Manifest sorgte auch international für Aufsehen. Begeisterung rief Marinetti auch beim Maler Umberto Boccioni hervor, durch den die Umbruchstimmung auf die Kunst übergriff.

Gemeinsam mit seinen Freunden Carlo Carrá und Luigi Russolo verfasste Boccioni das erste "Manifest der futuristischen Malerei". Hier wurde die Umsetzung der modernen Welt in die der Bilder proklamiert - das hieß die Dynamik der Industrialisierung, das Einfangen der neuen Hektik des Alltags. Zum Kern der Gruppe kamen noch der zu dieser Zeit bereits renommierte Maler und Lehrer Boccionis, Giacomo Balla, hinzu, sowie Gino Severini.

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Einen Stil hatten sie noch nicht, aber die Themen brachen aufgestaut nur so heraus. Zuerst orientierte man sich am Divisionismus, der gerade in Italien modernen Form des Pointillismus. Doch gewaltige Worte forderten auch einen gewaltig unterschiedlichen Stil: 1911 reisten Carrá und Boccioni - auf Kosten des reichen Marinettis - nach Paris. Der Kubismus wurde für die Idee des Futurismus entdeckt, in seiner zerhackten Momenthaftigkeit. Doch die Stilvielfalt blieb und macht die Werke heute schwer datierbar.

1912 gelang der internationale Durchbruch bei einer Ausstellung der Gruppe in der angesehenen Pariser Galerie Bernheim-Jeune. Danach ging man auf Europa-Tournee, die auch Wien streifte. Wo hier Station gemacht wurde, ist unbekannt. Unter den Bildern befand sich auch Gino Severinis monumentales Großformat "Der Pan-Pan-Tanz im Monico" von 1909. Auf skurrile Weise verschwand es bei dieser "Promotion"-Tour. Das BA-CA Kunstforum zeigt eine Replik des 280 mal 400 cm großen kleinteilig verschachtelten Gemälde, die Severini selbst 1959 anfertigte.

Absoluter Höhepunkt der Ausstellung ist allerdings Umberto Boccionis "Entwicklung einer Flasche im Raum" von 1912. Diese Plastik machte Kunstgeschichte. Nur durch die eigene Bewegung im Raum, durch das Umschreiten der Bronze, die das Kunsthaus Zürich lieh, winden sich die Serpentinen und Schlaufen zur Flasche zusammen. Ganz nach einem Postulat der Futuristen: Im Mittelpunkt des Kunstwerks habe der Betrachter selbst zu stehen. Gleich neben dem Wort sozusagen, das besonders in den Zeichnungen und Collagen seine Spiele treibt. Buchstaben setzen sich zu Treppengeländern zusammen, werden statt des Menschen in den Raum gestellt, verkünden Krieg und Sieg.

Der Futurismus war ein Lebenskonzept, sollte alles infiltrieren. Die repräsentativen wuchtigen Architekturentwürfe eines Antonio Sant'Elia blieben Utopien, die Modeentwürfe von Giacomo Balla wurden hingegen sonderbare Realität, wie der Auswuchs eines Futuristen-Gilets beweist. Neben Theaterstücken entstanden auch Film und Fotografie, doch äußerst spärlich. Denn, man glaubt es nicht, die Futuristen lehnten die neuen Medien ab! Furcht vor zu dynamischer Konkurrenz? Nein, offiziell sollte das "Original" behütet werden.

Patriotismus und Kriegsbegeisterung der Gruppe forderten ihren Tribut: Anführer Boccioni fiel 1916. In der Zwischenkriegszeit bildet sich der sogenannte "Zweite Futurismus", noch bunter, noch fantastischer. Doch die Kraft der künstlerischen Erneuerung war aufgebraucht, und Marinettis Karriere im Faschismus beginnt. Hier endet die Wiener Ausstellung und entzieht sich so elegant einer politischen Rechtfertigung. Die Kunst spricht für sich selbst.



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