11.09.2002 19:17
Letzte Hoffnung Erbsen
Im Museum
moderner Kunst stellt Jason Rhoades die Kunst der Zukunft vor - mit neuen
Materialien
Im Museum moderner Kunst stellt Jason Rhoades die Kunst der
Zukunft vor. Die bekannten Medien haben ausgedient: Schaumgebadet steigt er aus
den Altkunstwerken.
Wien - Letztlich ist jeder Künstler den Möglichkeiten des Mediums
ausgeliefert, dessen er sich nach reiflicher Überlegung oder spontaner Zuneigung
eben bedient. Bisweilen wird das eng. Und dann keimt Unzufriedenheit auf. Das
Medium sei erschöpft, heißt es dann, alles, was sich in Öl darstellen oder
ausdrücken lässt, wäre schon dargestellt und ausgedrückt, alles in Bronze
gegossen, in Kupfer gestochen, aus Ton modelliert. Näher an die Wahrheit ließe
sich mit all dem nicht kommen.
Bisweilen heilt technische Innovation den
ästhetischen Katzenjammer: Die erste leistbare Videokamera provozierte eine neue
Kunstsparte, ebenso die legendäre C-64-Konsole. Selbst das Faxgerät hat (kurz)
Kunstgeschichte geschrieben. Der Fernseher sowieso.
Bietet sich gerade
kein neues Medium an, empfiehlt sich die Methode "Readymade". Oder die
Göttliche: das Beseelen als Akt der Schöpfung. Joseph Beuys hat derart Fett wie
Filz aus der Sphäre des Gemeinen gerissen, Daniel Spoerri die Essensreste und
die Zigarettenstummel, Hermann Nitsch das Blut, Dieter Roth die Salami, die
Schokolade und auch das Vogelfutter.
Was Künstler und Kunstfreunde daran
im ersten ästhetischen Augenblick erfreut, macht den Bewahrern des innovativen
Kulturgutes graue Haare. Längst ist nicht mehr alles Malmaterial, das
mittlerweile im Bilde verwendet wird, im Doerner, im Standardwerk der
Maltechnik, ausführlich dargelegt. Dieter Roth zum Beispiel hat das schon vorweg
diebisch gefreut. Er hat mit den Maden gerechnet, die früher oder später die
Frage nach dem Anspruch eines Kunstwerks auf Ewigkeit aufwerfen und auch gleich
beantworten werden.
Pommes frites und Ketchup kamen durch Paul McCarthy
in die Kunst. Der ist Amerikaner, könnte aber auch Belgier gewesen sein.
Jedenfalls aber hat er Jason Rhoades zunächst als Postgraduate-Lehrer in die
Kunst der Auf- und Zubereitung von Lebensmitteln als messagereiches Medium
eingeführt. Danach war Rhoades lange sein Souschef. Jetzt kocht er selbst. Nicht
italienisch, französisch oder Fusion, eher ironisch: Er kocht sich über Künstler
und andere lustig.
Im Frankfurter Portikus hat er einmal eine ganze
Konservenfabrik aufgebaut: Eine Ausstellung lang wurden dort Zwiebeln in
Olivenöl eingelegt. Für Kevin Kostner. Die Arbeit hieß Kostner
Complex.
Für die Factory im Mumok hat er sich wieder etwas
ganz besonders Köstliches einfallen lassen: PeaRoeFoam: My Special
Purpose. Weil, dachte er sich, nur irgendwelches Material beseelen ist
überhaupt nicht göttlich genug. Dann lieber gleich erschaffen - ein neues
Medium, ein Material, um ganz neue Kunst zu machen: PeaRoeFoam. Das ist
eine Mischung aus Erbsen (pea), Lachseiern (roe) und weißen Styroporkügelchen
(foam). Als Bindemittel dient organischer Klebstoff. Und weil es gerade
das 21. Jahr- hundert hat, spritzt Rhoades daraus natürlich keinen Adam oder
Moses oder Bürgermeister. Er spritzt und tropft damit herum (vergleiche die
Erweiterung der Maltechnik im letzten Jahrhundert durch Jackson "The Dripper"
Pollock), er verpackt das geniale Material (jetzt bitte an Massenkonsum und
Werbung denken), und er nimmt auch noch kritisch Bezug.
Und zwar auf den
1972er-Skandal um das Model Marilyn Chambers. Die wollte natürlich berühmt
werden. Auf dem Weg dorthin warb sie als junge Mutter für die Reinheit des "99,4
% pur"-Waschmittels Ivory Snow. Das frisch gewonnene Image als saubere
amerikanische Mutter nutzte sie aber dann, sehr zum Bedauern des
Waschmittelkonzerns, um ihren Porno Behind The Green Door zu promoten.
Jason Rhoades verpackt den PeaRoeFoam in Replikate der Ivory
Snow-Kartons. Was ihn so konsumgeil macht, dass er die Schachteln auch
gleich wieder aufreißt, um an den Schaum zum Herumspritzen zu kommen. So ist
seine Installation entstanden. Bis 10. November kann man an ihr auch
interesselos Wohlgefallen finden. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.9.2002)