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Kunstberichte
20er Haus: Hausherr Belvedere muss noch rund zehn Millionen Euro für die Komplettierung sammeln

Ein Kraftakt für die Maulwürfe

20er Haus: Unterirdischer Schauraum des Kulturministeriums im Rohbau. Foto: Hans Haider

20er Haus: Unterirdischer Schauraum des Kulturministeriums im Rohbau. Foto: Hans Haider

Von Hans Haider

Aufzählung Ende Juni wird der Rohbau dem künftigen Nutzer Belvedere zum Innenausbau übergeben.
Aufzählung Finanzierung ungewiss.

Wien. Das "20er Haus neu" im Wiener Schweizergarten, schon mehr zehn Jahre im Dornröschenschlaf, ist seit Wochen in Kunststofffolien eingepackt. Freilich nicht so apart, wie Christo auf den Berliner Reichstag neugierig machte. Hier werden im Schutz der Baustellenabdeckung Glaswände eingesetzt.

Davor, an der Arsenalstraße, wartet ein sechsstöckiges Betonskelett auf den Ausbau als Büroturm. Ab Sommer steht die Baustelle still. Die Beamten der Burghauptmannschaft ziehen sich zurück. Sie haben ihre Aufträge abgearbeitet und das Budget verbraucht.

Das Finanzierungskonzept ist geplatzt. Denn die von Agnes Husslein, Belvedere-Direktorin seit 2007, angelockten Sponsoren aus dem Bankfach, wie die Constantia Privatbank, kamen in die Krise. Für ein Schaudepot für den Skulpturen-Nachlass von Fritz Wotruba zahlt wohl die Wotruba-Stiftung einen Zuschuss von 1,5 Millionen Euro. Das Kulturministerium bestellte sich extra einen zweigeschoßigen Keller für die eigene Kunstsammlung ("Artothek") samt Ausstellungsbetrieb – und bezahlt auch dafür.

Doch rund zehn Millionen Euro muss der Hausherr, das Belvedere, für die Komplettierung sammeln, damit in den von Karl Schwanzer für die Expo 1957 in Brüssel gebauten Stahlpavillon "Österreichische Kunst nach 1945 im internationalen Kontext" einziehen kann.

De facto wurde ein neues Museum gebaut – wobei das alte denkmalgeschützt und kostentreibend im Wege stand. Nur mehr unter der Erde, wo man besonders teuer baut, war Platz für Erweiterungen. 2003, als nach den Wünschen von Gerbert Frodl, damaliger Direktor der Österreichischen Galerie Belvedere, ein internationaler Architekten-Wettbewerb ausgeschrieben wurde, ging es nur um die denkmalgerechte bauliche Sanierung. Als die Detailplanungen anstanden, lizitierten sich Kunsthüter und Kulturbeamte mit Sonderwünschen hoch.

Luftdichte Treppenhäuser wegen Rauchmelder

Adolf Krischanitz, Wettbewerbssieger von 2003, zeichnete, was immer als neuer Wunsch auf ihn zukam. Welcher Architekt will bremsen, wenn die Bausumme anschwillt? Die Kunsthalle verlor ihre beiden frei aufgehängten Treppen und ihre Durchblicke zwischen Erd- und Obergeschoß. Warum? Weil Rauchmelder an der Decke Laut gäben, sobald eben erdig Partys gefeiert werden, bestand die Museumsdirektion (trotz des bekannten Rauchverbots in öffentlichen Gebäuden) auf zwei getrennten Feuermeldekreisen. Darum mussten luft-

dichte Treppenhäuser gebaut werden – und ist das Baudenkmal halb kaputt.

In der (in einem aufgelassenen Postamt in Hetzendorf) untergebrachten Artothek lagern Staatsankäufe, die sich kein Amt an der Wand wünschte. Sie sind digitalisiert und im Netz abrufbar. Niemand braucht einen Schauraum beim Hauptbahnhof. Vom Turm an der Arsenalstraße wollte Gerbert Frodl auch nicht abrücken, als bekannt wurde, dass nach dem Abriss des Südbahnhofs gegenüber dem Museum eine 35 bis 60 Meter hohe Straßenwand seinen Museumsturm auf das optische Maß eines pimpfige Stumpfs reduzieren wird. Der künftige Stadtraum gebot, den Pavillon vom neuen Hochhausagglomerat abzurücken, im Wiesengrün freizustellen. Das Gegenteil geschah. Der Begleitturm werde "nicht höher als das 20er Haus", versicherte Krischanitz noch 2003 im APA-Interview. Tatsächlich ist er um acht Meter gewachsen.

Für einen Gutteil der kunstsinnigen Wiener Generation 50 plus war das 20er Haus der erste großzügige Begegnungsraum mit Neuem und Internationalem. 1962 wurdedieses Museum des 20. Jahrhunderts eröffnet. Mit einem Festakt, mit dem sich auch das offizielle Österreich zu seiner Avantgarde bekannte.

Die Direktoren Werner Hoffmann und Alfred Schmeller halfen mit Qualitätssinn die Ausgrenzung der westlichen Moderne rückgängig zu machen, die für die NS-Kunstpolitik Programm war. Die Moderne, von daheim und anderswo, durfte sich dort entfalten – bis die Museumspolitik des Bundes mit den Dominanzwünschen des deutschen Sammler-Ehepaars Ludwig synchronisiert wurde. Schmeller wollte sein Haus nicht als Wien-Depot für Ludwig hergeben. Der Ministerin Hertha Firnberg missfiel der proletarische Ungehorsam des ruppigen Künstlerfreunds (er rettete als Denkmalamtschef im Burgenland bäuerliche Bausubstanz und gab mit Otto Breicha das Kunstjahrbuch "Protokolle" heraus).

Erweiterung nach Baukastensystem

Die Neue Kunst geriet ans Gängelband eines mit den Ludwigs verbundenen Professors der Kunstgeschichte, das feudale Gartenpalais Liechtenstein wurde für die Leihgaben aus Aachen teuer als Moderne-Museum adaptiert und der Sozialdemokrat Schmeller 1979 vorzeitig in Pension geschickt. Das Barockschloss Liechtenstein erwies sich rasch als ungeeignet und der Neubau des Mumok im Museumsquartier als zu klein. Das alternative Konzept, das Firnberg damals verwarf, wäre auch 30 Jahre später dem Kraftakt der Maulwürfe im Schweizergarten vorzuziehen gewesen: Die Erweiterung nach dem Baukastensystem durch vorerst einen weiteren Pavillon in den Park hinein, mit sachter Anbindung an Schwanzers Stahlgerüst. Das bedeckt eine Grundfläche von nicht einmal 1000 Quadratmeter. Dreimal so viel Fläche wurde nun unter dem Straßenniveau verbaut. Dazu kam der unterirdisch mit dem Haupthaus verbundene sechsgeschoßige Turm, wo Treppenhaus und Lift nur eine mäßige Nutzfläche übrig lassen.

Bis die "Generalsanierung" des 20er Hauses – vielleicht zum 50-Jahr-Jubiläum 2012 – fertig ist, werden 40 Millionen Euro verbaut sein. Das deutlich größere neue "Lentos" am Linzer Donauufer wurde 2003 mit 33 Millionen abgerechnet.

Printausgabe vom Dienstag, 27. April 2010
Online seit: Montag, 26. April 2010 16:47:00

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