Salzburger Nachrichten am 8. Oktober 2005 - Bereich: Kultur
Aus der Hüfte schießen

Neues Haus, neue Strukturen: SN-Gespräch über die Zukunft der ARGEkultur mit den neuen künstlerischen Leitern Marcus Hank und Markus Grüner.

BERNHARD FLIEHERCLEMENS PANAGL INTERVIEW Am Donnerstagabend eröffnete die ARGEkultur ihren Neubau in Salzburg-Nonntal. Mehr als 2200 Quadratmeter stehen dem autonomen Kulturzentrum künftig zur Verfügung. Für das Programm wurden erstmals zwei künstlerische Leiter bestimmt: der Münchener Regisseur und Autor Marcus Hank ist für die Bereiche Tanz/Theater, Medienkultur und diskursive Veranstaltungen verantwortlich, Markus Grüner (ehemals ARGE-Öffentlichkeitsarbeit) für Musik, Kabarett/Kleinkunst und Kulturvermittlung.Die ARGE eröffnet mit dem neuen Haus auch programmatisch eine neue Ära. Erstmals gibt es zwei künstlerische Leiter. Warum?Grüner: Wir haben vor einigen Jahren begonnen, darüber nachzudenken, wo die ARGE hin will. Am Ende stand die Frage, wie wir unsere Ziele strukturell am besten in den Griff bekommen. Das Bekenntnis zum Mehrspartenhaus und die Erkenntnis, dass wir zwei Richtungen unterscheiden müssen, hat ergeben, dass es zwei Leiter geben soll. Hank: Die ARGE wird verstärkt ein Ort für Eigenproduktionen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie man die Kundschaft, die man aufgebaut hat, ins neue Haus mitnimmt und erweitert. Es geht um "product leadership" und "customer intimacy". Also einerseits die Kundenbetreuung und andererseits das Ziel, Produkte mit Ecken und Kanten herzustellen, die sonst keiner hat, um das auch einmal in dieser betriebswirtschaftlichen Sprache zu formulieren...Grüner: ... also ich will Freunde, er kann auch Feinde aushalten ...Marktwirtschaftliches Denken in einem "alternativen" Kulturbetrieb -- ist das auch etwas, was die moderne Kulturwerkstatt unterscheidet von dem, was die ARGE vor 15 Jahren war? Grüner: Das ist ganz einfach eine Notwendigkeit in allen kulturellen Bereichen. Je besser der Customer-Intimacy-Bereich funktioniert, desto mehr Geld kann in die eigenen Produktionen gesteckt werden.Sie haben in München viel politisches Theater gemacht. Wo werden Ihre Schwerpunkte in Salzburg liegen? Hank: Ich erwarte mir eine Repolitisierung. Da ist viel verloren gegangen. In vielen Salzburger Institutionen, die einmal einen Auftrag hatten, geht es nicht mehr um den Inhalt, sondern nur mehr um den Existenzkampf. Das spiegelt auch die Entwicklung der Gesellschaft wider. Jeder ist mit seinem Überlebenskampf so beschäftigt, dass es nicht mehr um die Gesamtfrage geht oder um Visionen und Ideen.Wie sieht das im Musikbereich aus? Muss da ein Haus mit einem Saal für 500 Personen nicht vor allem mit zugkräftigen Namen gefüllt werden? Grüner: Unser Einzugsgebiet wird deutlich größer. Wir wachsen von einem städtischen zu einem regionalen Kulturzentrum. Die neue Hausgröße ermöglicht uns, mit größeren Besucherzahlen zu kalkulieren und bei den Künstlern in Gagendimensionen zu gehen, die wir vorher nicht machen konnten.

Muss sich im doppelt so großen Haus die Programmdichte erhöhen? Grüner: Wir werden sicher nicht 60 Prozent mehr Programm machen, das wär' absurd. Wir stellen die Qualität in den Vordergrund. Hank: Wir müssen von einer gewissen Beliebigkeit wegkommen. Die alte ARGE war ein bisschen ein Markt der Möglichkeiten, wo alles Platz hatte. Grüner: Und da ist es auch Aufgabe, ganz bewusst Dinge abzulehnen. Auch, wenn die Begehrlichkeiten auf das neue Haus sehr groß sind.Gibt es Genres, die in der neuen ARGE definitiv nicht mehr stattfinden werden, auch, weil sie im Rockhouse oder Jazzit längst abgedeckt sind? Oder sehen Sie da eine Konkurrenz? Grüner: Wir werden keinen Traditionalismus pflegen. Es reicht auch nicht, wenn eine Band ein Demo schickt, wo "Pop" drauf steht. Nur ein Genre zu bedienen, ist zu langweilig. Da muss schon noch ein anderer Zugang da sein. Von Leuten, für die die ARGE eine Bühne sein soll, verlangen wir inhaltliche Konzepte. Aber natürlich gibt es ein Konkurrenzverhältnis zu anderen Kulturstätten. Dieses "Ich tu' dir nicht weh, damit du mir nicht weh tust" produziert für den Kulturkonsumenten Langeweile. Indem wir spartenübergreifend agieren, können wir dem Kulturklima der Stadt eine andere Dynamik verleihen.Wie sieht das im Theater aus? Hank: Ich habe nicht die Ambition, ein weiteres Theater für Salzburg aufzumachen. Also wird sich viel interdisziplinär abspielen. Die wichtigste Frage ist für mich die nach dem Inhalt: Was muss in Salzburg nach unserem Erachten gesagt werden? Die ästhetischen Mittel dafür sind dann vielfältig. Wie schwierig ist es, das Publikum für politische Zugänge zu erwärmen? Hank: Es geht darum, der Politik wieder Eigenschaften wie frech, rotzig oder spaßig zuzuordnen. Wir brauchen keine Gedenkveranstaltungen, wir brauchen Events. Das widerspricht sich nicht mit politischen Inhalten. Da muss man im Denken ein bisschen freier werden. Und manchmal bereit sein, aus der Hüfte zu schießen. Wir müssen einfach viel ausprobieren.Die Politik sieht in der ARGE gern den "Stachel im Fleisch der Stadt". Ist ein solches Zugeständnis nicht schon wieder eine Hypothek für ein autonomes Kulturzentrum? Hank: Die Erwartungshaltung ist ein riesiges Problem. Uns wird dieser Raum zur Kritik zugestanden. Damit ist ihre politische Wirkung schon tot. Wir müssen dieser Erwartung widersprechen, sie aber auf einer anderen Ebene erfüllen, wo es den Leuten wieder nicht passt. Grüner: Für mich waren da die 90er Jahre erstaunlich, wo Festspielintendant Gerard Mortier Dinge auf den Punkt gebracht hat, die viele politisch engagierte Künstler fast neidisch machten. Wo eine Institution, von der man das am Allerwenigsten erwartet hat, vormachte, was für ein Potenzial vorhanden ist und welchen Diskurs das auslösen kann. Das ist ja ein unglaubliches Privileg dieser Stadt, dass über Kunst und Kultur so heftig gestritten wird. Wie viel Zeit und wie viele Ressourcen haben Sie zum Ausprobieren? Grüner: Unser Programm beginnt im Jänner 2006. Für mich ist 2006 das Jahr des Klarmachens, ob mein Teil der customer-intimacy-Veranstaltungen funktioniert. Hank: Für mich ist das Ziel, dass wir uns bis 2006 positioniert haben, sichtbar sind und wahrgenommen werden. Ist die ARGE dann angekommen? Hat sie was bewegt?