Das Ruhrgebiet feiert Österreichs Schock-Maler Gottfried Helnwein mit einer umfassenden Ausstellung
Der Meister des Schockierenden
Von Gerhard Stadler, Oberhausen
Gottfried Helnwein zählt seit seinen
Anfängen zu den umstrittensten heimischen Malern: Seit 1979 hat der
gebürtige Wiener mit seinen Selbstbildnissen mit Verstümmelung, oder
den Bildern gequälter Kinder und seinen Aktionen gegen die mangelnde
Bewältigung der NS-Vergangenheit verstört.
Gewiss zählt Helnwein aber auch zu den bekanntesten österreichischen
Künstlern. Er hat Einzelausstellungen bis nach Beijing gehabt und seine
Bilder fanden sich auf den auf Titelseiten von Magazinen wie "Time" und
auf Covers von CDs der Gruppe "Scorpion".
In Oberhausen, im Ruhrgebiet, zeigt nun die Galerie Ludwig mit
großformatigen Fotos und Gemälden einen Querschnitt durch das Œuvre des
57-Jährigen.
Schock und Wirkung
"Schockierend, krass, aber verdammt beeindruckend" und "verstörend,
bizarr, nötig" – das sind zwei Eintragungen im Besucherbuch aus den
ersten Ausstellungstagen. Diese Reaktionen sind verständlich. Kaum
jemand, der einmal Helnweins frühe Bilder gesehen hat, wird sie jemals
vergessen können. Es sind Bilder des gequälten Menschen und Symbole für
die Verletzlichkeit besonders von Kindern.
Noch härter sind für den Betrachter die vergrößerten Bilder von
Föten (gemalt nach Präparaten im Wiener anatomischen Institut).
Mildernd wirkt nur das transzendent schimmernde monochrome Licht, in
das die tot Geborenen getaucht scheinen.
Der andere Helnwein
Aber es gibt auch den anderen Helnwein zu sehen: Die Schönheit von
Kindern, klassische Gemälde wie etwa Caspar David Friedrichs "Eismeer"
als Motiv, oder Fotoserien von Berühmtheiten und, aus jüngster Zeit,
Landschaftsgemälde von Irland, wo Helnwein seit 1998 lebt, wenn er
nicht gerade in seinem Atelier in Los Angeles weilt: Natur pur, von
Horizont und Grün beherrscht.
Wie bei den meisten Gemälden Helnweins fällt auch hier die
Verwandtschaft zur Fotografie auf. Es wäre aber zu einfach, seinen Stil
als Fotorealismus zu charakterisieren. Die Fotos mögen zwar der
Ausgangspunkt seiner malerischen Arbeit sein, doch der Tüftler
verfremdet sie, etwa durch Überschärfe.
Auch erreicht er durch den Einsatz verschiedener Maltechniken,
vieler Schichten und unterschiedlicher Farbmittel so etwas wie eine
transzendente Wirkung.
Und immer wieder schimmern die NS-Vergangenheit und ihre mangelnde Bewältigung durch Helnweins Bilder.
Erinnern an die NS-Zeit
Wie etwa 1988: Zum Jahrestag der Reichskristallnacht hängte der
Künstler 100 großformatige Kinderfotos vor dem Kölner Dom auf und gab
der Installation den Titel "Selektion".
Auch das Gemälde "Epiphanie I" gehört zu diesem Schaffenskreis: Es
stellt ein mittelalterliches Tableau mit der Madonna nach: Die Mutter
ist umringt von NS-Schergen, und im Kleinen glaubt man die Züge Hitlers
zu erkennen. Die Frage nach Schuld und Unschuld stellt sich beim
Betrachten von Helnweins Bilder immer wieder neu.
Donnerstag, 08. September 2005