11.01.2003 00:21
Das Märchen vom Künstler als Pazifisten
"MARS - Kunst und Krieg" zum Auftakt des Kulturhauptstadt-Rummels
Graz - Thematisch konnte eigentlich nichts schief gehen:
Krieg sells. Und also ist die erste große Ausstellung zum Grazer Jubeljahr 2003
Mars gewidmet - der Kunst und dem Krieg. Venus schaut erst später, im April, in
Graz vorbei. Wird sich aber auch von ihrer strengeren Seite zeigen: mit Pelz,
Peitsche und Vertragswerk, Leopold Sacher-Masoch zu Ehren, und dem Lustgewinn
aus Schmerz.
Peter Weibel und Günther Holler-Schuster (G.R.A.M.) haben
den Versuch unternom- men, möglichst repräsentativ quer durch die
Kunstproduktion der Gegenwart zu schneiden, Material zu sichten, das den Krieg
als kulturelles Massenphänomen belegt, zeigt, wie weit Gewalt in die Kunstpraxis
eingedrungen ist, wie selbstverständlich Krieg zum Alltag gehört, die
Krisenherde längst allgegenwärtig geworden, die Kampfzonen längst überall
lokalisierbar sind. Oder: Kultur und Krieg sind untrennbar miteinander
verbunden. Eher als Sigmund Freud, der noch die Hoffnung wagte, dass "alles, was
die Kulturentwicklung fördert, auch gegen den Krieg arbeitet", trifft Walter
Benjamins Feststellung zu, dass jedes Dokument der Kultur zugleich auch eines
der Barbarei sei.
Kein Grund zum Jubeln. Es sei denn hinsichtlich der
Quoten, die exquisite Anschläge wie jener vom 11. September bringen. Was
letztlich die Frage nach der Komplizenschaft von Massenmedien und Gewalt
aufwirft. Und wer sagt, dass alle Künstler - gemäß einem Mythos aus dem 20.
Jahrhundert - Pazifisten sind? Dass nicht zumindest einige sich mit dem Anderen,
dem so genannten Bösen in Allianz befinden? Jedenfalls gilt als Ist-Zustand:
Humanitäre Anliegen allein sind der Kunst als Plattform (wo immer und wie
diskurslastig die auch stattfinden mag) eindeutig zu eng.
James Nachtwey,
Simon Norfolk und Stanley Green sind die Stars der Ausstellung. Ihre Arbeiten
werden in Museen gezeigt, von renommierten Galerien gehandelt. Sie sind keine
Künstler. Sie sind Kriegsreporter. Sie dokumentieren die Gräuel, wo immer die
auch stattfinden. Norfolk etwa sucht nach Trümmern und Relikten in
wildromantischen Lichtstimmungen.
M-ARS - Kunst und Krieg ist in
Kampfzonen gegliedert: Da die Schlachtfelder nicht mehr lokalisierbar, Ort und
Zeitpunkt der Übergriffe nicht mehr vorhersehbar und auch die Wahl des
Tötungsgeräts nicht länger mehr absehbar sind, ist letztlich jedem Lebensraum
auch ein Ausstellungsraum gewidmet: vom Intimbereich über die Arbeitswelt bis in
die trockensten der Wüsten. Krieg ist immer und überall. Weshalb auch alle stets
bereit sind: informiert, uniformiert, nervös, gefasst, gleichgültig. Und hernach
immer wieder verkrüppelt. Tyrannei ist kaum mehr als Ausnahmezustand
festzumachen, die Kunst nur mehr selten von den Bildern der Medien zu
unterscheiden.
Miniaturen zur Gewalt
Chris Burden
hat sich schon 1971 von einem Freund aus einigen Metern Entfernung in den Arm
schießen lassen, Jake und Dinos Chapman fertigen Miniaturen mit Szenen aus den
Cannibal Holocaust, Wolf Vostells 1968er Lippenstift Bomber
erweist sich als ebenso zeitlos wie Günter Ückers Interpretation des
Bombardements der Stadt Köln. Paul Virilios Bunker Archéologie steht
gleichrangig neben Sue de Beers Stills aus einem nie gedrehten
Splatter-Klassiker. Michael Aschenbrenner, ein Vietnam-Veteran, fertigt
anschauliche Modelle aller mög- lichen Knochenbrüche aus Glas und versieht diese
auch gleich mit fronterprobten Behelfsschienen. Alle Dokumente sind gleichwertig
geworden. Vorbei an Leon Golubs realistischer Malerei kommt man zu ersten
Aufnahmen einer Gewehrkugel im Flug.
Nebenan erklärt Damien Hirst, wie
man sich fachgerecht einer Pistole zwecks Selbstmord bedient. Das, erfährt man,
will gelernt sein, bergen doch die landläufig bekannten Methoden des finalen
Kopfschusses ziemliche Risken zu überleben: blind, gelähmt, womöglich völlig
gesichtslos. Nur den Schuss von oben - durch die Schädeldecke in Richtung der
Wirbelsäule - lässt er als todsicher gelten.
118 Bildproduzenten belegen
zumindest eine Eigenschaft, die der Kunst immer zugeschrieben wird: Sie sei ein
Spiegel der Gesellschaft. Nichts Neues. Die Tatsache aber, dass man sich
überhaupt noch auf etwas verlassen kann, beruhigt doch.
Ein umfassendes
Katalogbuch mit Texten von u. a. Michel Foucault, Paul Virilio, Jean
Baudrillard, Florian Rötzer, Peter Sloterdijk, Klaus Theweleit, Tom Holert und
Peter Weibel begleitet die Schau, die bis 26. März in der Neuen Galerie am
Grazer Landesmuseum Joanneum zu sehen ist.
(DER STANDARD, Printausgabe,
10.1.2003)