Walton
Ford geht nicht in den Zoo. „Da schlafen die Tiere immer. Damit kann
ich nichts anfangen.“ Wenn die Tiere aber tot sind, dann kann er schon
mehr damit anfangen: „Ich gehe oft ins Naturhistorische Museum in New
York zu den ausgestopften Tieren.“ Der US-Künstler braucht keine
lebenden Modelle. In seinem Atelier wurden sogar schon
Plastiktiger gesichtet.
Das
passt auch zum artifiziellen Charakter von Fords Kunst: Seine Arbeiten
wirken nämlich auf den ersten Blick wie historische Dokumente, wie
Ausrisse aus naturhistorischen Folianten. Also, wenn da nicht das
Format wäre: Die Tierbilder sind nämlich lebensgroß. Die
Alterserscheinungen auf dem Papier stellen sich bald als hingemalt
heraus. Und schließlich ist da immer etwas, das den so harmlos
wirkenden Aquarellen einen manchmal ironischen, manchmal brutalen Dreh
gibt. Denn
jedes Mal steht eine Geschichte hinter den Bildern.
Tödliche Liebe.
Wie zum Beispiel jene vom Gorilla in „Sanctuary“, der im Begriff ist,
mit einem Totenschädel zu flüchten. Diese Geschichte führt wieder
zurück ins Naturhistorische Museum von New York. Bei den ausgestopften
Gorillas hat Ford (50) schon als Kind viel Zeit verbracht. Irgendwann
hat er sich dann auch mit der
Biografie ihres Schöpfers, Carl
Akeley, beschäftigt. Akeley gilt als der Erfinder der modernen
Taxidermie, erst seine revolutionären „Tierskulpturen“ fingen die
authentische Körperhaltung ein, weil er das Skelett auch verwendete.
Der
Jäger Akeley starb 1926 ausgerechnet an einer Durchfallerkrankung und
wurde in jener Landschaft nahe Ruanda begraben, die auch das New Yorker
Museum zeigt. Abgesehen davon, dass Ford schon diese Ironie Freude
bereitet, wurde Jahre nach Akeleys Tod auch festgestellt, dass sein
Grab geplündert worden war. Wahrscheinlich waren es Menschen, im Zug
der Kriege in der Gegend. In Walton Fords Version aber zieht Akeleys
Lieblingsgorilla mit dem Schädel von dannen: „Er hat sie gesammelt, und
sie haben ihn gesammelt.“
Man sieht schon, ein bisschen
Hintergrundwissen schadet nicht beim Genuss von Walton Fords Kunst. Ein
anderer amerikanischer Forscher, mit dem Ford eine Art Hassliebe
verbindet, ist der Ornithologe und Zeichner John James
Audubon.
Nicht umsonst wurde Ford vom „New York Magazine“ als „Audubon auf
Viagra“ bezeichnet. Auch der begleitet den Amerikaner seit der
Kindheit, mit Audubon-Vogelbild-Imitaten begann Fords Zeichnerkarriere:
„Die Zeichnungen sahen genau wie die von Audubon aus, aber irgendetwas
musste immer verkehrt sein. Ich habe da etwa einen Buntfalken
gezeichnet, der auf einem Riesenhaufen toter Buntfalken saß, die er
alle getötet hatte.“ Die Grobheit, mit der Audubon zu seinen Bildern
kam, fasziniert Ford: „Er hat die Vögel erschossen oder erstochen und
sie dann auf einem Brett angebunden. Er hat viele Tiere einfach so
umgebracht, die er gar nicht gebraucht hat.“ Und dann der Nachsatz:
„Aber die Bilder sind wunderschön.“
Ford entscheidet sich
immer zwischen zwei Perspektiven. Jener des Tieres, wie in dem Bild, in
dem junge Bären auf der Flucht vor einem wütenden Audubon auf einem
Baum sitzen. Oder der Perspektive von grausamen Entdeckern wie Audubon
oder Akeley: „Das sind die verstörendsten Bilder.“ Eigentlich
interessieren Ford die Tiere selbst nicht: „Tiere in der Wildnis sind
langweilig. Es wird doch erst spannend, wenn der Mensch dazukommt.
Bevor Fay Wray auf Skull Island auftaucht, tut King Kong gar nichts. Es
gibt vorher noch keine Story.“
Prominente Sammler.
Mit seinen altmodisch anmutenden Aquarellen sticht Ford fast
irritierend auf dem Kunstmarkt hervor. Aber kaufmännisch gesehen ist er
kein Außenseiter. Seine Aquarelle kosten bis zu 400.000 Dollar. Es gibt
Wartelisten, auf die sich seine prominenten Fans nicht eintragen
müssen. Die da wären Mick Jagger oder Designer Tom Ford (er soll gleich
zehn der Riesenbilder gekauft haben). Er selbst erzählt: „Zu Beginn
wurde meine Arbeit sehr argwöhnisch betrachtet. Ich habe
Künstlerkollegen getroffen, die schienen überrascht, dass ich
intelligent bin. Die dachten wohl, sie treffen jetzt einen Schwachkopf,
der einfach hoffnungslos uncool ist.“
Jetzt also die Albertina,
apropos: Er wäre nicht Walton Ford, wenn er nicht auch eine
Dürer-Episode malerisch erzählen könnte. Er hat jenes Rhinozeros, das
Dürer nach Berichten „wie ein Krustentiermonster“ (Ford) auf einem
Holzschnitt verewigt hat, noch einmal gezeichnet. Und zwar in dem
Moment, als es mit dem Schiff, das es zu Papst Leo X. bringen sollte,
unterging: „Da wurde es sozusagen wirklich zu einem Krustentier. Und
Dürer hat das wahrscheinlich nicht einmal erfahren.“
Nicht alle
Tierarten interessieren den Amerikaner übrigens gleich: „Blauwale sind
Langweiler“, sagte er dem „New Yorker“. „Was essen die, Krill? Die
haben ja gar keine Zähne! Ich mag Tiere, die beißen.“