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Maler Walton Ford: Tierhandlung

18.06.2010 | 13:25 | von Christina Böck (Die Presse)

Der amerikanische Künstler Walton Ford erzählt in seinen historisch anmutenden Aquarellen Geschichten von Tieren. Und Menschen: Denn ohne die sind die Tiere nicht interessant, sagt er.

Walton Ford geht nicht in den Zoo. „Da schlafen die Tiere immer. Damit kann ich nichts anfangen.“ Wenn die Tiere aber tot sind, dann kann er schon mehr damit anfangen: „Ich gehe oft ins Naturhistorische Museum in New York zu den ausgestopften Tieren.“ Der US-Künstler braucht keine lebenden Modelle. In seinem Atelier wurden sogar schon
Plastiktiger gesichtet.

Das passt auch zum artifiziellen Charakter von Fords Kunst: Seine Arbeiten wirken nämlich auf den ersten Blick wie historische Dokumente, wie Ausrisse aus naturhistorischen Folianten. Also, wenn da nicht das Format wäre: Die Tierbilder sind nämlich lebensgroß. Die Alterserscheinungen auf dem Papier stellen sich bald als hingemalt heraus. Und schließlich ist da immer etwas, das den so harmlos wirkenden Aquarellen einen manchmal ironischen, manchmal brutalen Dreh gibt. Denn
jedes Mal steht eine Geschichte hinter den Bildern.

Tödliche Liebe. Wie zum Beispiel jene vom Gorilla in „Sanctuary“, der im Begriff ist, mit einem Totenschädel zu flüchten. Diese Geschichte führt wieder zurück ins Naturhistorische Museum von New York. Bei den ausgestopften Gorillas hat Ford (50) schon als Kind viel Zeit verbracht. Irgendwann hat er sich dann auch mit der
Biografie ihres Schöpfers, Carl Akeley, beschäftigt. Akeley gilt als der Erfinder der modernen Taxidermie, erst seine revolutionären „Tierskulpturen“ fingen die authentische Körperhaltung ein, weil er das Skelett auch verwendete.

Der Jäger Akeley starb 1926 ausgerechnet an einer Durchfallerkrankung und wurde in jener Landschaft nahe Ruanda begraben, die auch das New Yorker Museum zeigt. Abgesehen davon, dass Ford schon diese Ironie Freude bereitet, wurde Jahre nach Akeleys Tod auch festgestellt, dass sein Grab geplündert worden war. Wahrscheinlich waren es Menschen, im Zug der Kriege in der Gegend. In Walton Fords Version aber zieht Akeleys Lieblingsgorilla mit dem Schädel von dannen: „Er hat sie gesammelt, und sie haben ihn gesammelt.“

Man sieht schon, ein bisschen Hintergrundwissen schadet nicht beim Genuss von Walton Fords Kunst. Ein anderer amerikanischer Forscher, mit dem Ford eine Art Hassliebe verbindet, ist der Ornithologe und Zeichner John James
Audubon. Nicht umsonst wurde Ford vom „New York Magazine“ als „Audubon auf Viagra“ bezeichnet. Auch der begleitet den Amerikaner seit der Kindheit, mit Audubon-Vogelbild-Imitaten begann Fords Zeichnerkarriere: „Die Zeichnungen sahen genau wie die von Audubon aus, aber irgendetwas musste immer verkehrt sein. Ich habe da etwa einen Buntfalken gezeichnet, der auf einem Riesenhaufen toter Buntfalken saß, die er alle getötet hatte.“ Die Grobheit, mit der Audubon zu seinen Bildern kam, fasziniert Ford: „Er hat die Vögel erschossen oder erstochen und sie dann auf einem Brett angebunden. Er hat viele Tiere einfach so umgebracht, die er gar nicht gebraucht hat.“ Und dann der Nachsatz: „Aber die Bilder sind wunderschön.“

Ford entscheidet sich immer zwischen zwei Perspektiven. Jener des Tieres, wie in dem Bild, in dem junge Bären auf der Flucht vor einem wütenden Audubon auf einem Baum sitzen. Oder der Perspektive von grausamen Entdeckern wie Audubon oder Akeley: „Das sind die verstörendsten Bilder.“ Eigentlich interessieren Ford die Tiere selbst nicht: „Tiere in der Wildnis sind langweilig. Es wird doch erst spannend, wenn der Mensch dazukommt. Bevor Fay Wray auf Skull Island auftaucht, tut King Kong gar nichts. Es gibt vorher noch keine Story.“

Prominente Sammler. Mit seinen altmodisch anmutenden Aquarellen sticht Ford fast irritierend auf dem Kunstmarkt hervor. Aber kaufmännisch gesehen ist er kein Außenseiter. Seine Aquarelle kosten bis zu 400.000 Dollar. Es gibt Wartelisten, auf die sich seine prominenten Fans nicht eintragen müssen. Die da wären Mick Jagger oder Designer Tom Ford (er soll gleich zehn der Riesenbilder gekauft haben). Er selbst erzählt: „Zu Beginn wurde meine Arbeit sehr argwöhnisch betrachtet. Ich habe Künstlerkollegen getroffen, die schienen überrascht, dass ich intelligent bin. Die dachten wohl, sie treffen jetzt einen Schwachkopf, der einfach hoffnungslos uncool ist.“

Jetzt also die Albertina, apropos: Er wäre nicht Walton Ford, wenn er nicht auch eine Dürer-Episode malerisch erzählen könnte. Er hat jenes Rhinozeros, das Dürer nach Berichten „wie ein Krustentiermonster“ (Ford) auf einem Holzschnitt verewigt hat, noch einmal gezeichnet. Und zwar in dem Moment, als es mit dem Schiff, das es zu Papst Leo X. bringen sollte, unterging: „Da wurde es sozusagen wirklich zu einem Krustentier. Und Dürer hat das wahrscheinlich nicht einmal erfahren.“
Nicht alle Tierarten interessieren den Amerikaner übrigens gleich: „Blauwale sind Langweiler“, sagte er dem „New Yorker“. „Was essen die, Krill? Die haben ja gar keine Zähne! Ich mag Tiere, die beißen.“


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