Schwarz-weiße Kunst im Café
Biennale Venedig. Tobias Rehberger erzeugt ein irritierendes Augen- und Raumerlebnis. Dafür kürt ihn die Jury zum „besten Künstler“.
Marin Behr Venedig (SN). Überall Schwarz-weiß-Linien und ebensolche Flächen, buntes, abgerundetes Sitzmobiliar, dazu Spiegelflächen, die das ohnehin schon irritierende Augenerlebnis weiter steigern: Für seine beim Tramezzini- oder Proseccogenuss erfahrbare Kunst – die Einrichtung und Ausgestaltung einer Cafeteria im „Palazzo delle Esposizioni“ – wurde der deutsche Künstler Tobias Rehberger am Samstag auf der Biennale in Venedig mit dem Goldenen Löwen für den besten Künstler ausgezeichnet.„Razzle Dazzle“ Der 42-jährige Freund des heurigen Biennale-Direktors Daniel Birnbaum ist bekannt für seine Arbeiten im Grenzbereich zum Design. Für das Interieur des gastronomischen Betriebs auf dem Giardini-Gelände ließ sich Tobias Rehberger unter anderem von dem aus dem Ersten Weltkrieg bekannten „Razzle Dazzle“-Tarnmuster beeinflussen. Diese Strategie, Elemente in andere Kontexte zu verschieben und umzuwandeln, ist typisch für den in Esslingen geborenen Künstler, der zwischen Malerei, Bildhauerei, Design, Konzept- und Aktionskunst sowie Architektur pendelt.
Die Titelgebung des preisgekrönten venezianischen Rehberger-Cafés unterstreicht den Humor dieser Rauminstallation: „Was du liebst, bringt dich auch zum Weinen.“ Weitaus nüchterner klingt die Jurybegründung: Durch die Verwandlung des Raums, der Cafeteria, in ein Kunstwerk, werde „soziale Kommunikation zu ästhetischer Praxis“.
Wie das Voting für den deutschen Künstler ist auch die Wahl des US-amerikanischen Pavillons zum besten Länderbeitrag auf der 53. Kunstbiennale umstritten. Altmeister Bruce Nauman bespielt unter dem Motto „Topological Gardens“ die Architektur außen wie innen gediegen, aber nicht nur der vom Künstlerduo Elmgreen & Dragset kuratierte skandinavische Pavillon beeindruckte insgesamt mit einer zeitgemäßeren, weil interaktiven und spartenüberschreitenden Kunstinstallation.
Der 68-jährige, für seine Videos und Skulpturen bekannte Konzeptkünstler Bruce Nauman lässt auf der Fassade des US-Pavillons die einander überlagernden Neonschrift-Begriffe „Stärke“ und „Groll“ abwechselnd aufleuchten. Im Inneren sind ausgewählte Werke aus dem reichen OEuvre zu sehen, unter anderem der „Drei-Köpfe-Springbrunnen“, das Video „Washing Hands Normal“ aus dem Jahr 1996 oder die Skulptur „Fünfzehn Handpaare“.
Als eine der Entdeckungen auf der Biennale darf sich die 31-jährige Schwedin Nathalie Djuberg fühlen. Sie erhielt für ihre von Direktor Daniel Birnbaum im Rahmen der Ausstellung „Making Worlds“ („Weltenmachen“) gezeigte Installation „Experiment“ den Silbernen Löwen als beste Nachwuchskünstlerin.Dunkle Fantasien Die in Berlin lebende Künstlerin erzählt im abgedunkelten Souterrain des „Pallazzo delle Esposizioni“ mit ihren riesigen Blumenskulpturen und gar nicht kindergerechten Trickfilmen Geschichten von dunklen Fantasien, bösen Ahnungen und anderen Bedrohlichkeiten. In diesem eigens für die Biennale entwickelten „surrealistischen Garten Eden“ (Birnbaum) kippt die vorgebliche Harmlosigkeit rasch: Sex, Gewalt und Düsternis statt Pflanzenidylle und Kinderfernsehen.
Die Performance-Künstlerin Yoko Ono und der US-amerikanische Fotograf John Baldessari erhielten „Ehrenlöwen“ für ihre Lebenswerke. Beide sind in Venedig mit Arbeiten vertreten: Yoko Ono mit an die Besucher gerichteten „Handlungsanleitungen“, Baldessari verwandelte, wie berichtet, den „Palazzo delle Esposizioni“ in eine Fototapetenkulisse aus Himmel, Meer und Palmen.