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29.12.2005 - Kultur&Medien / Medien
"Gruppensex-Fantasien" zum EU-Vorsitz
VON FRIEDERIKE LEIBL UND ANNE-CATHERINE SIMON
Nackte Staatschefs in pornografischen Posen, ein weiblicher Unterleib mit EU-Slip: Aufregung nach Beginn der Kunst-Plakataktion "Europart" anlässlich der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft.

Jacques Chirac, Queen Elizabeth und George W. Bush, splitternackt und in verwerflicher Pose, außerdem der Unterleib einer nur mit blauem Slip mit EU-Sternen bekleideten Frau: Ohne diese Sujets wäre die anlässlich der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft seit Dienstag in Wien zu sehende Plakatserie "Europart - Aktuelle Kunst in Europa" wohl ziemlich unbeachtet geblieben, eine eher randständige Auseinandersetzung von 75 jungen europäischen Künstlern mit dem Thema Europa. Doch die sexuellen Motive auf zwei der insgesamt 150 Bilder haben am Mittwoch eine Lawine moralischer Entrüstung ausgelöst.

"EU-Vorsitz mit wüsten Sex-Plakaten eröffnet", titelte die "Kronen Zeitung". Österreich habe sich mit den "Porno-Plakaten" und "wüsten Sex-Szenen" eine "grobe Entgleisung" geleistet. Für FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache sind die fraglichen "Gruppensexfantasien" nicht nur Teil eines "Kultur- und Sittenverfalls", sie würden auch "einmal mehr das Sittenbild dieser österreichischen schwarz-orangen Bundesregierung" zeigen. Es stelle sich die Frage, ob diese Art der Begrüßung der EU-Präsidentschaft geeignet sei, die anstehenden Probleme zu lösen, zweifelte etwas gemäßigter SP-Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos. Und der Wiener Katholische Familienverband verlangte die sofortige Einstellung der "EU-Sexplakate".

Die Bilder, die noch bis Ende Jänner wienweit auf beleuchteten Werbeflächen, so genannten "Rolling Boards", gezeigt werden, gehören zur Projektreihe "25 Peaces" (Leitung Wolfgang Lorenz und Bundestheater-Holding-Chef Georg Springer). Sie begleitete schon das Jubiläumsjahr - etwa mit Kühen vor dem Belvedere und Gemüsegärten auf dem Heldenplatz. Der abschließende Europaschwerpunkt umfasst außer der Kunstkampagne noch etliche weitere Projekte und wird mit rund einer Million Euro vom Bundeskanzleramt subventioniert. Die Plakataktion sei ein "unabhängiges Kunstprojekt", dieses werde ganz sicher nicht mit Steuergeld subventioniert, erklärte dennoch am Mittwoch eine Sprecherin von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Außerdem habe der Bundeskanzler die Motive zuvor nicht gekannt. Die inhaltliche Verantwortung liege allein beim Projektteam, verlautet auch von "25 Peaces". Eine inhaltliche Zuständigkeit der Regierung anzunehmen "käme der Unterstellung einer Zensur gleich".

In der letzten Jännerwoche hätten die Plakate auch in Salzburg, begleitend zur EU-Konferenz "Sound Of Europe", zu sehen sein sollen. Doch Salzburgs Landeshauptfrau Gabi Burgstaller stößt sich nun ebenfalls an den beanstandeten Motiven. Die Darstellung des weiblichen Unterleibs mit EU-Slip sei "eine widerliche, sexistische Entgleisung, die dem Europagedanken nur schaden kann", sagte sie am Mittwoch zur "Presse". "Wir in Salzburg verzichten gerne auf so eine Europawerbung." Als "extrem frauenfeindlich" kritisierte auch SPÖ-Bundesfrauengeschäftsführerin Bettina Stadlbauer die Plakate, desgleichen SPÖ-Kommunikationschef Josef Kalina: Es sei "absolut frauenfeindlich, Frauen in derartigen Posen im öffentlichen Raum bei einer politischen Aktion so darzustellen". Bürgermeister Michael Häupl habe dafür gesorgt, dass die EU-Treffen in Wien nicht durch Baustellen gestört würden, erinnerte Kalina im Gespräch mit der "Presse". "Und nun werden die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrer Fahrt durch Wien mit Pornoszenen begrüßt, auf denen sie selber zu sehen sind."

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