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13.09.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
Böse Köpfe und kleine Prinzen
VON JOHANNA HOFLEITNER
Sammlung Essl. Eine überraschend frische Personale zu Franz Ringels 65. Geburtstag.

D
er kuratorische Kniff ist simpel, aber gut: Die Franz Ringel zu sei nem 65. Geburtstag ausgerichtete, streng linear aufgebaute Quasi-Retrospektive der Sammlung Essl folgt nicht, wie zu erwarten wäre, der Logik der Chronologie, sondern rollt sein Schaffen antizyklisch auf. Die wichtigen, Ringel fest in der österreichischen Kunstgeschichte verankernden Frühwerke aus den 1960er und 1970er Jahren - also der Phase, die Otto Breicha anlässlich einer Gruppenschau in der Secession mit dem Schlagwort "Wirklichkeiten" umschrieb - finden sich somit ganz am Ende der Saalfolge, während die neuesten Arbeiten am Beginn stehen.

Das tut nicht nur der Malerei Ringels gut, weil es sie atmen lässt. Diese Durchlüftung kommt auch der "Stationen einer Reise" betitelten, zu zwei Dritteln aus Sammlungsbeständen bestückten Schau sowie dem Ort an sich zugute. Denn dass die lang gestreckte Ausstellungsgalerie des Esslschen Kunsthauses mit den zu hohen Sesselleisten. einem eigentümlichen Rondeau in der Mitte und jeder Menge Zwischenwände nicht einfach zu bespielen ist, hat vor kurzem die Maria-Lassnig-Personale vor Augen geführt.

Da ist der Grazer, über den übrigens Wolfgang Bauer für den Katalog seinen letzten Text geschrieben hat, pflegeleichter, zumal er in seinen neuen, gleich im Eingangsbereich präsentierten farbstarken Großformaten aus den letzten vier Jahren auch viel Weiß zulässt, was die ganze Bildserie eine schöne Symbiose mit dem Raum eingehen lässt. "Ich habe das Gefühl", wird er denn auch passend mittels Klebebuchstaben zitiert, "meine Malerei ist freier, sie ist offener und genauer geworden. Differenzierter." Nachdem Ringel, was der nachfolgende Parcours bestätigt, bis heute nicht vom Motiv der Köpfe abgelassen hat, umgibt das frei machende Weiß diese wie konzentrische Farbknäuel daherkommenden Köpfe mit den großen Augenhöhlen fast wie eine Gloriole. Eine spekulative Erhöhung, die aber auch schon der einzige Hinweis auf ein etwaiges Alterswerk ist. Ansonsten eignet Ringels Bildern eine überraschende Frische.

"Köpfe" und "Angst": Wie ein Motto lassen zwei kleinformatige Arbeiten die Hauptthemen dieser Schau anklingen. Und die spitzen sich mit jedem Bild, jeder Station dieser Maler-Reise mehr zu. Die Angst scheint immer größer, die Köpfe wirken zunehmend verschreckter, verängstigter, verrückter. Die Stelle des Weiß beansprucht ein paar Jahre vorher noch mindestens ebenbürtig das Schwarz, auch wenn Ringel es weniger als Fläche organisiert denn als eine Verdichtung, die Randzonen ebenso markiert wie sie Gesichter auszulöschen trachtet. Besonders zum Sprechen bringt Ringel das Schwarz in der "Artaud"-Serie. Ein melancholischer Ausreißer sind die Bilder zum "Kleinen Prinzen" aus 1995: Da zieht Ringel ums Leitmotiv Kopf eine blaue Schleife, entrückt so beide wie einen fernen Planeten.

Je weiter es zurückgeht, umso bedrohlicher, düsterer, böser werden die Bilder. Die Köpfe bekommen immer öfter ihre Leiber, und die wiederum haben Busen, Prothesen, schlauchartige, nach außen wachsende Gedärme. Vor dem großen Finale mit den "Bedrohlichen Musen" aus den Siebzigern, den silhouettenhaft zugeschnittenen hölzernen Bildtafeln und den zwischen Surrealismus, Art Brut und manchmal auch Max Weiler angesiedelten "Figuren"-Bildern der späten Sechziger, die Ringels künstlerischen Weg vom "Kasperl zum Hermaphroditen" anbahnen, liegt allerdings eine große Peinlichkeit: Das sind die "Porträts" und "Denkmäler" aus 1980/81. Welcher Teufel ihn da wohl geritten haben mag, als er Wolfgang Ambros malerisch verewigte? Und Boeckl, Wotruba, Klimt Kitsch-Denkmäler zu setzen? War es der Druck der damals schon nachdrängenden "Jungen Wilden"? Hier lassen sie ihn alt aussehen.

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