12.01.2003 21:03
Geborgen hinter Gittern
Mit Vito
Acconcis Mur-Insel ist Graz um einen weiteren In-Treffpunkt reicher
Graz - Bisweilen ist Graz recht zweigeteilt. Oder eher
noch unentschlossen. Zum einen kann man mit Richard Kriesches Marienlift ein
Stück in den Himmel über Graz fahren, zum anderen den Lift hinunter zum Mur-Ufer
nehmen - einem künstlichen Eiland entgegen. Lässt sich die Himmelfahrt als
spätes demokratisches Aufbegehren verstehen, als selbstbewusster Akt der frisch
gebackenen Kulturhauptstädter, ihr Graz ebenso mütterlich von oben zu
betrachten, von der Ebene der obersten Urheber aus für sein Wohlergehen zu
beten, so legt die Mur-Insel praktisch ein gegenteiliges Verhalten
offen.
Wer hinabfährt an die Uferbänke oder sich von der Innenstadt bzw.
vom Gries her kommend über einen der beiden Stege knapp über den Mur-Spiegel
begibt, dem muss der Uhrturm noch viel höher erscheinen, der stellt sich noch
tiefer unter die Fuchtel des Wahrzeichens.
Und kann dort, auf der Insel,
die Robert Punkenhofer erdacht und Vito Acconci dann entworfen hat, künftig
Kaffee trinken oder von den geschwungenen Stufen des Miniaturamphitheaters aus
künstlerischen Darbietungen lauschen, oder auch nur dem Spiel der dunklen
Wellen. Mit heftigem Seegang ist nicht zu rechnen, eine edelstählerne
Doppelreling verhindert aber dennoch unliebsame Ausrutscher ins
Fließwasser.
Der Amerikaner Acconci, der einst das Wiener Museum für
angewandte Kunst (MAK) "verdoppelte", um den Klon genial mit dem Original zu
verschneiden, muss irgendwie an Fabergé gedacht haben - und dessen Eier. Zwei
kunstvoll miteinander verschnittene Halbschalen bilden das artifizielle Eiland,
deren eine sich verglast schützend über das künftige Café wölbt, die andere den
Himmel zeigt und den Stadtteil Gries hinter Gittern. Geborgen ist man dort,
fernab und doch zentral. Man hockt in einer Schüssel und erinnert sich der
Kurkonzerte, die in vergleichbaren Pavillons zu ertragen man immer doppelt
Schlagobers bestellte.
Natürlich ist es eine Neuinterpretation des
traditionsreichen Müßigganges. Wie alles in Graz weitaus schicker. Es passt gut
zu den edlen Wartehäuschen am Hauptplatz, zur neuen Trafik aus edlem Stahl und
hartem Glas ebendort. Und es passt auch gut zum neuen Kunsthaus, das in
Sichtweite entsteht und dort schon erste Noppen in den Grazer Himmel reckt. Man
spürt schon: Die Insel wird "in" werden, ein Platz für die schönen Grazer, die
schon alt genug sind, samstags mit edlen Papiertüten voll von frisch erworbenem
Konsumgut dort auszuspannen, aber noch jung genug, nicht ob der Kombination aus
Stahl und Feuchtigkeit dem Rheumatismus anheimzufallen.
Die Plattform für
Bergziegencarpaccio an einer Cuvée allerjungfräulichster Olivenöle nebst
gehobener Kleinkunst wird dankbar angenommen werden. Es ist ein guter Ort:
einsichtig, "schräg", aber elegant. Ein weiteres Lokal, sich "kulturell" zu
fühlen. (DER STANDARD, Printausgabe, 11./12.1.2003)