Salzburger Nachrichten am 5. Dezember 2005 - Bereich: Kultur
Kunst aus dem Kalkül des Quadrats Ein neues Museum in der
Nähe Stuttgarts ist in Form und Inhalt dem gleichseitigen Viereck gewidmet
WOLFGANG MINATY
Wolfgang Minaty Stuttgart (SN). Erstaunlich sind diese
Privatinitiativen. Ein Museumsneubau nach dem andern. Erst wurde das
Burda-Museum von Richard Meier in Baden-Baden eröffnet (im Herbst 2004),
dann das Marta-Museum von Frank Gehry in Herford (im Mai 2005). Diesmal
ist Waldenbuch bei Stuttgart dran. In dem neuen Gebäude, quadratisch im
Grundriss, sind nur Kunstwerke, die sich mit dem Quadrat befassen. Auf die
Idee kam die Enkelin des Firmengründers der Schokolade "Ritter Sport". Und
diese Schoko ist bekanntlich quadratisch. Am schönsten ist das Museum dort, wo man es gar nicht bemerkt. Nämlich
dazwischen. Dort, wo es viel Platz hat, wo es nichts von dem zeigt, was es
eigentlich zeigen soll. Wo nur Luft ist, links eine hohe Wand, rechts eine
hohe Wand und oben ein Dach überm Kopf. Wenn man das Museum betritt, ist
man noch lange nicht drin. Auf der gegenüberliegenden Seite geht der Blick
wie durch einen Hangar schon wieder hinaus ins Freie. Wir befinden uns in einem Korridor zwischen Kunst und Konfekt.
Tatsächlich ist das Museum Ritter dreigeteilt: in der Mitte ein Vestibül
aus Licht, Luft und guter Laune. Im linken Flügel geht's zur Kunst, und
rechts dreht sich alles um die süße Lust der Schokolade, Marke Ritter. Wem's gefällt, der bleibt eine Weile. Denn er befindet sich in einem
von Deutschlands schönsten Museumsneubauten. Sein Schöpfer: der Schweizer
Architekt Max Dudler. Dass er Schüler des dem Rechteck verpflichteten
Kölner Architekten Ungers ist, kann nicht geleugnet werden. Es war auch
eine der Vorgaben von Marli Hoppe-Ritter, der Enkelin des
Schokoladen-Fabrikanten und Gründerin der jetzigen Stiftung, dass
nebendran, wo die "Ritter Sport" produziert wird, also auf Firmengelände,
ein kubischer Quadrat-Koloss entsteht, der ihre Sammlung aufnimmt. 600
Werke hat sie in den letzten zwölf Jahren zusammengekauft, alle dem
Quadrat zugeneigt - oder ihm widersprechend. Davon sind jetzt in der
Eröffnungsausstellung Hundert Werke zu sehen. Das Quadrat ein Modell. Es muss nicht gleich das einer besseren Welt
sein. Aber das Quadrat steht - wie der Kreis - für Harmonie. Doch anders
als der Kreis kommt es in der Natur nicht vor. Das Quadrat ist ein Kalkül.
Das hat auch Kasimir Malewitsch gewusst. Deshalb beginnt die Chronologie
bei ihm und einer kleinen Zeichnung von 1915. Die Reihe kommt schnell in Fahrt. Neben den Suprematisten seines
Schlages sind es die Stijlisten aus Holland (wie Theo van Doesburg) oder
die Konkreten aus Zürich (wie Max Bill) - bis hin zum "Hologramm" (2002)
von Beat Zoderer, der mit reliefartig verschraubten, quadratrisch bunten
Bilderrahmen spielt und dabei nicht vergisst, auch einmal ein Rechteck
einzuschmuggeln. Auch Architekt Dudler, der nicht zwanghaft harmonistisch
geplant hat, bricht das imaginäre Schachbrett auf und erweist anderen
Formen, etwa dem Dreieck oder dem Trapez, seine Reverenz.
Eröffnungsausstellung bis 26. Ferbruar 2006. Pro Jahr soll es drei bis
vier Sonderausstellungen geben. Dienstag bis Sonntag 11-18 Uhr,
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