Salzburger Nachrichten am 16. März 2005 - Bereich: kultur
Ein Lebenswerk in stiller Virtuosität Die Pinakothek der
Moderne in München zeigt Grafiken und Skulpturen von Joannis Avramidis
karl harbMünchen (SN). Im bunten Mix aus Kunst, Architektur und Design
in der Pinakothek der Moderne in München nimmt die Staatliche Graphische
Sammlung mit ihren Ausstellungen eine besondere Stellung ein. Die beiden
dafür vorgesehenen Räume sind immer wieder Oasen des Schauens, wobei
Direktor Michael Semff die ganze Spannweite von Zeichnung und Druckgrafik
vom Barock bis in die Gegenwart berücksichtigt. Inszeniert sind die
Präsentationen stets wie feine, intime Kammerspiele. In diesem Sinn sind derzeit bis 24. April Zeichnungen des 1922
geborenen, griechischstämmigen langjährigen Wiener Akademielehrers Joannis
Avramidis zu einem brillanten Ensemble vereinigt und punktuell mit
sorgfältig ausgewählten Skulpturen abgestützt. Avramidis' Formensprache schöpft aus der mediterranen Kultur. Das
Menschenbild ist permanentes Thema und Quelle der Inspiration. Für seine
Akte, Torsi und Figuren wählt Avramidis nicht ein naturhaftes Abbilden,
sondern einen konstruktiven Zugang "von innen heraus". In Schichten und
Scheiben "konstruiert" der Zeichner und Skulpteur die Form des
menschlichen Kopfes oder Körpers zu blockhaft kompakter Intensität. In der
Sprache bleibt Avramidis dabei der großen Tradition bildnerischen
Gestaltens verpflichtet, im Inhalt aber findet er mit Konsequenz und ohne
modische Erscheinungsform den unverwechselbar eigenen Ausdruck. In der Sammlung der Zeichnungen seit den vierziger Jahren lassen sich
Weg und Konstanz dieses Schaffens spannend verfolgen. Eine ganz eigene
Faszination übt die Souveränität aus, mit der Avramidis das Zeichenblatt
beschreibt und besetzt. Quasi architektonischen, blockhaften
Körper-Entwürfen, die wie Konstruktionszeichnungen anmuten, stehen
wunderbar filigran ausgesparte Blätter gegenüber, in denen etwa ein
Porträt nur angedeutet, wie hingehaucht wirkt. Der Leerraum als Aura für das konkret Gesagte: Darin zeigt Avramidis
eine faszinierende zeichnerische Meisterschaft. Vom Konkreten zum
Abstrakten: Auch das ist eine wesentliche Schiene auf dem künstlerischen
Weg von Avramidis, etwa wenn er Körper zu Bändern auflöst. Die
unabdingbare Wechselwirkung zur Skulptur wird in der exquisiten Schau
punktuell mit brillanter Präzision herausgearbeitet; die Durchblicke von
der dreidimensionalen Form zur "Fläche" der Zeichnung ergeben feine
Korrespondenzen und erfordern eine synästhetische Qualität des
"erkennenden" Betrachtens. Der Anlass für die nur in München gezeigte, qualitätvolle Retrospektive
ist die lange Beschäftigung von Michael Semff mit dem Werk von Avramidis,
die nach langer Vorbereitung in eine prachtvolle Monografie über den
Künstler geführt hat. Das Erscheinen des opulenten, 330 Seiten starken
großformatigen (und flüssig lesbaren) Kunstbandes im Hirmer Verlag war die
äußere Vorgabe zur exklusiven Ausstellung, die die Beharrlichkeit eines
großen Lebenswerkes in jener "stillen" Virtuosität präsentiert, die
unaufdringlich, aber umso intensiver schauen lehrt: ein Kunst-Stück der
besonderen Art. Informationen: www.pinakothek.de |