26.03.2002 20:11:00 MEZ
Der Meister des Furniers
"Skulpturen fürs Auge und eine Malerei zum Anfassen": Das Wiener Museum für angewandte Kunst zeigt Richard Artschwager.

Mit Skulpturen, Malereien und Zeichnungen des vielseitigen Minimalisten sind Belege aus allen Phasen des bislang 40-jährigen Werks vertreten.


Wien - Er hat Gedankengänge in Form gebracht. Und es ist ihm dabei gelungen, die Form selbst völlig stilfrei zu halten. Das sind immer Objekte und zugleich Abbilder dieser Objekte. Sie sagen nichts über sich selbst aus, sondern gemahnen an die Konventionen im Umgang mit zum Beispiel Möbeln - und weit darüber hinaus im Umgang mit Raum.

Seine Blbs - erstmals in den frühen Siebzigern bei Konrad Fischer in Düsseldorf dezentral angebrachte, längs gespaltene "Großtabletten" - funktionieren allein durch ihre bloße Anwesenheit. Über die schlichte Tatsache ihres Hierseins vermerken, öffnen sie Wahrnehmungsfelder, weisen von sich weg, auf ihr Rundum, ihre Umgebung. Eine Umgebung, die im Wiener Museum für angewandte Kunst derzeit aus - leider - etwas zu viel Artschwager besteht.

Die Retrospektive, die in Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Museum für Kunst und Design in Nürnberg und der Londoner Serpentine Gallery entstanden ist, akkumuliert Artschwagers wichtigste Werkphasen zu einer Best-of-Box, die zumindest auch alle B-Seiten berücksichtigt.

Minimales en masse

Richard Artschwager verweist so ungeplant immer wieder auf Richard Artschwager, seine mehrmals von der Decke abgehängten Rufzeichen verlieren in der Lagersituation an Nachdruck, deuten bloß ein Noch-Mehr an einschlägigen Artefakten an - Skulpturen, Malerei, Zeichnungen bis hin zur soundanimierten, ansonsten aber selbstverständlich reglos im Stockwerk verharrenden Liftkabine.

Raumerfahrung ist zeitlos, gutes Resopal - sein Lieblingsmaterial zur assoziationsabweisenden Objektbeschichtung - auch. "Mit Furnier hat alles angefangen. Furnier, das großartig hässliche Material, der Schrecken des Zeitalters, ein Material, das ich plötzlich anfing zu mögen, weil ich es satt hatte, all das schöne Holz anzuschauen." Wenn man so will, kann man Artschwager ebenso in die Nähe von Minimalismus bringen wie zum Kubismus, oder zur Renaissancemalerei. Artschwager lenkt von sich ab.

So wie das "Blib" beim Radar ja auch nicht auf sich, sondern auf die Position eines Flugzeuges im Raum verweist - und dadurch erst den Raum selbst beschreib-, vermess-, erfahrbar macht. Und diverse von Artschwagers Lese-, Beicht- und Predigthilfen ja auch die darin verkündeten Geheim- bzw. Erkenntnisse unangetastet lassen, stattdessen "nur" an die Denkwürdigkeit gemahnen, dass zu deren Empfang offensichtlich immer ganz bestimmte körperliche Positionen eingenommen werden. Es sind extrem konzentrierte Raumerfahrungen von allgemeiner, von zeitloser Bedeutung. Was natürlich bedingt, dass Richard Artschwager immer wieder gerne vereinnahmt wurde und wird. Und ebenso oft entflieht er immer wieder diversen weit geöffneten Schubladen: Minimalismus, Konzeptkunst, New Sculpture, alle haben um seine Patenschaft angefragt, alle holten sich letztlich eine Abfuhr. Niemals geht es um die Beschreibung eines sozialen Raumes (Feldes). Niemals um Befindlichkeit. Niemals um Kritik. Sein Denken kreist allein um das Physische.

Der Ursprung seiner Kunst liegt im Umgang mit Material, in seiner Arbeit als Handwerker. Die wurde ihm letztlich dadurch verleidet, dass Kapitalerwerb und Unikateproduktion im Tischlergewerbe nicht in Deckung zu bringen waren. In der Kunst, der Aufmerksamkeit für die Variante sei Dank, geht das. Im MAK sind der Varianten etwas zu viele. So wie es sich in einer Bibliothek ja auch schlecht liest, weil all die Bücher ablenken.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27. 3. 2002)


Quelle: © derStandard.at