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12.05.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
Die Utopie auf der Tagesordnung
VON ALMUTH SPIEGLER
Ausstellung. Die Generali Foundation würdigt den ewigen Aktivisten Gustav Metzger.

G
ustav Metzger will nicht fotogra fiert werden. Darum bittet er je denfalls bei der Eröffnung seiner Retrospektive in der Generali Foundation. Der 79-jährige Künstler misstraut den Bildern. Den Pressefotos aus den Krisengebieten, der "Nackten" von der Seite drei der "Sun", den historischen Aufnahmen aus den Archiven, mit denen wir in diesem Gedenkjahr dauerberieselt werden. "Fotografien dürfen nicht wie Fast Food konsumiert werden", meint der alte Herr leise. In seinem jüngsten Werkblock, den seit 1995 entstehenden "Historic Photographs", verbarrikadiert Metzger genau diese Zugänglichkeit. Zwischen zwei Stahlplatten hat er ein Foto der Hitlerjugend eingeschweißt. Hinter einem abnehmbaren Bretterverschlag verbirgt sich eine Aufnahme der Liquidierung des Warschauer Ghettos 1943. Für die Lesbarkeit dessen, was sich sonst so massig aufdrängt, muss man plötzlich selbst aktiv werden, sich Zeit nehmen, sich körperlich einbringen.

"Hineingehen!" etwa in den Spalt zwischen Jute-Vorhang und Bild des Massakers am Berg Jerusalem vom 8. November 1990. "Hineinkriechen!" unter die Decke, die über einer sich riesig am Boden ausbreitenden Szene vom "Anschluss Wiens, März 1938" liegt. Je näher man diesen Dokumenten kommt, desto weniger ist erkennbar. Je größer, je "bedeutender" Metzger diese überlieferten "Realitäten" werden lässt, desto unschärfer, abstrakter sind sie, finden nur im Kopf des Betrachters zu einem Ganzen zusammen. "Es geht um das Überwinden von Illusionen", schreibt Metzger in einem Aufsatz für "Camera Austria".

Die "Historic Photographs" gehören zum beeindruckenden Spätwerk eines Künstler-Urgesteins, das sein Schicksal nie ruhen ließ: Als Sohn orthodoxer Juden 1926 in Nürnberg geboren, wurde Metzger mit Hilfe des "Refugee Children Movements" 1939 nach England gebracht. Fast seine ganze Familie, die nach Polen deportiert wurde, kam während des Nazi-Regimes ums Leben. Metzger arbeitet in einer Möbelfabrik, liest kommunistische Literatur, interessiert sich für revolutionäre Politik, Psychoanalyse und zeitgenössische Kunst. Schließlich besucht er eine Bildhauerklasse, nimmt Malerei- und Zeichenunterricht in England, studiert Kunstgeschichte an der Sorbonne in Paris.

Bis 1959 malt er abstrakt - ein unbekannter Abschnitt seines Werks, der in der von Generali-Foundation-Chefin Sabine Breitwieser mit Anspruch auf eine Retrospektive zusammengestellten Ausstellung leider nur im Katalog abgehandelt wird. Bilderlos. Bekannt wird Metzger schließlich erst in den 60er Jahren mit seiner "Auto-Destructive Art": Einer öffentlichen, nicht zum Verkauf bestimmten Kunst für die Industriegesellschaft, steht im ersten Manifest 1959.

Während Jean Tinguely und die Kinetiker Maschinen bauten, die sich selbst zerstören, bestrich der ebenfalls von Dadaist Kurt Schwitters beeinflusste Metzger aufgespanntes Nylon mit Säure, was zur durchaus ästhetischen Selbst-Zerfetzung führt. Mit "Lecture/Demonstrations", bei denen er u. a. mit Lichtprojektionen von Flüssigkristallen ("auto-kreative Kunst") experimentierte und die "chemische Revolution in der Kunst" ausrief, zog er durch die Kunstunis. Und wäre unter den Zuhörern nicht auch ein Kunststudent namens Pete Townsend gesessen, könnten einige Gitarren heute wenigstens noch heulen, die derselbe später bei "The Who" - unter explizitem Bezug auf Metzger - zertrümmerte. Doch das ist eine andere Legende.

Metzgers wohl wichtigster Beitrag zur Kunstgeschichte aber war wohl die Einberufung des "Destruction in Art Symposium" (DIAS) 1966 in London. Eine Veranstaltung, deren Dokumentation ziemlich ungefiltert so etwas wie Zeitgeist spüren lässt: Yoko Ono ließ sich ein weiteres Mal die Kleider vom Körper schneiden, Günter Brus, Hermann Nitsch, Otto Mühl, Peter Weibel, Kurt Kren - im Programm unter "Wiener Gruppe" firmierend - genossen sichtlich einen ihrer ersten internationalen Auftritte.

Gustav Metzger will bis heute Kunst machen, "die die Welt verändert". Die eingreift, nicht unbedingt verbessert. Denn die "Utopie steht nicht mehr auf der Tagesordnung", muss der Pazifist, Umweltschützer und Kapitalismus-Gegner eingestehen. Ein Gegenmodell zum vorherrschenden System hat er aber nicht anzubieten. Die Welt sei zu komplex geworden, als dass man sich zu einer anderen Richtung durchdenken könne, sagt er. Lösungen darf man sich von der Kunst eben nicht erwarten. Das Schöne, gerade an Metzgers Spätwerk, aber ist die Hoffnung, die er heute mehr denn je hegt: Sie manifestiert sich so stark wie naiv in seinem Video einer Londoner Schülerdemonstration am ersten Tag des Irakkriegs im März 2003. Und plötzlich ist sie wieder da, die Utopie. Samt Flower und Power.

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