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14.06.2003 - Kultur News
Biennale in Venedig: Diktat des Blickes? Anarchie der Kunst!
In zehn Teile zerstückelte Biennale-Direktor Bonami die Jubiläums-Schau "Dreams and Conflicts. The Dictatorship of the Viewer".
VON ALMUTH SPIEGLER


Mit einer "Ausstellung von Aus stellungen" wollte Francesco Bonami die 50. Biennale zu einem Höhepunkt führen. Die größte Schau sollte es sein, jedenfalls hat sie eindeutig die meisten Kuratoren. Zehn Gruppenausstellungen, die fast 300 Künstler aufsaugen. Bespielt werden das Museo Correr, der Italienische Pavillon in den Giardini, das Arsenal. Und alles soll sich unter dem Motto "Dreams and Conflicts. The Dictatorship of the Viewer" zusammenfügen. Das Gegenteil passiert: Die Raumfluchten des Arsenals, 2001 spektakuläre Spielwiese für Harald Szeemann, zerfleddern in unzusammenhängende, einander konkurrierende Einzelteile. Schon der Eingang ist derart beiläufig an eine Seitenfront verlegt worden, dass man wie zufällig in eine angeblich interaktive Installation stolpert.

Undankbarer Auftakt der Abteilung "Clandestine", in der Bonami seine "Geheimtipps" zeigt: So uncharmante, fast muffige Präsentation untergräbt jede Euphorie des Entdeckens. Kojen wurden eingezogen, Trennwände unmotiviert in die eindrucksvolle dreischiffige Backstein-Halle geschoben. Profitiert hat von dieser Kleinteiligkeit der optisch vorgetäuschte Korridor der Polin Monika Sosnowska, der so mit einem alten Trick noch überraschen konnte.

Im Gedächtnis bleiben auch ein Kleinkind, das mit einem anthropomorphen Mantel zum Zwitter Mensch-Frosch mutiert (Hannah Greely), und die nüchternen bestickten Großformate des Italieners Enrico David, die geschickt zwischen Kunst und Handwerk pendeln. Und schon die nächste Teilausstellung: "Fault Lines", zeitgenössische Afrikanische Kunst, Kurator Gilane Tawadros. Hier kommt endlich ein wenig Leidenschaft auf. Eine Schaufensterpuppe steht vor einem roten Automaten und überlegt sich, ob sie sich einen US-Pass oder doch eine goldene Visa-Karte ziehen soll. Ins Zentrum hat der Ägypter Wael Shawky eine düstere Miniaturstadt aus Asphalt gebaut, sinnlich umlagert von der Fotoserie "Kommunion" von Rotimi Fani Kayode.

Aus mit Sinnlichkeit, her mit Ordnung: Igor Zabel spürte Künstler mit "individuellen Systemen" auf. Darunter zwei Österreicher: Josef Dabernig mit seinen rationalen Utopien und Florian Pumhösl, der Analyst von Moderne und Design. Eine strenge Schau, die praktisch ohne Farbe auskommt und doch unterhält. So hat der Kroate Mladen Stilinovic ein englisches Wörterbuch auf Ausdrücke untersucht, die ihn schmerzen. PAIN schreibt er neben sie, von Aa über art bis zucchini. Alle anderen Wörter übertüncht er weiß und bezieht sich auf Wittgenstein. Sehr nett, nur gleich danach dröhnt der schwellende Overkill, der Höhepunkt im Arsenal: die "Zone of Urgency". Ein brechend voller, chaotischer Ort, ein Jahrmarkt hauptsächlich asiatischer Kunst.

Vor lauter Schauen merkt man gar nicht die inszenierten Wege, denen man folgt, eine Rampe hinauf, in ein Zwischengeschoß, hinunter in ein Dickicht lebhafter Seitengassen. Ein riesiges Kuh-Totem versperrt den Weg, daneben ein silbernes Geländeauto, die Persiflage eines klassischen Ehrendenkmals, dann sitzt man in einem bieder-verstaubten Wohnzimmer vor einem Fernseher, auf dem einem ein Dokumentarfilm einreden will, dass Österreich einmal eine Kolonie von Malaysien war! Eine sarkastisch-fantastische Installation von Wong Hoy Cheong. Irgendwo düdelt nervig der Donauwalzer, Marschmusik dröhnt, und in der "Zone" fallen auch ein paar Schüsse.

Indessen warten Franz West, Markus Schinwald und Florian Pumhösl in der "Utopia Station", wo 160 Künstler auf engstem Raum Plakate, Projekte, Design zeigen. Hier zerfranst sich jedes Konzept, aber es ist lustig wie ein Jungscharlager, Bastel-Atmosphäre, Hüttchen, gezimmerte Kojen, überladene Tische, alles zugekleistert. Der Betrachter will hier endgültig nicht mehr Diktator sein: Er ist gestürzt, der Kurator auch, und die Kunst feiert wieder Anarchie.



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