10.01.2003 20:28
Bewusst anachronistisch
Walter
Navratil 1950-2003: Sohn des Gründers des Gugginger "Hauses der Künstler", Leo
Navratil starb an Krebs
Wien - Verteidigung des bildhaften Denkens heißt
eines seiner programmatischen Bilder, in ihrer konkreten Rätselhaftigkeit wie
Gedichte zu lesen. Walter Navratil, dessen letzte große Präsentation 1998 die
neuen Räume der Wiener Bawag Foundation einweihte, scherte sich wenig um
aktuelle Malereidiskussionen und schon gar nicht um die (Wiener)
Kunstbetriebsamkeit, um die Bewertung von Kunst über ihren Marktwert: "Ich habe
eine sehr anachronistische, totemistische Imagination."
Navratil
fertigte, nahezu unbemerkt von der "großen Szene", seit den 70er-Jahren eine
stilistisch wenig veränderte Malerei, die die einen als "magischen Realismus"
einstuften, andere wiederum als "altmeisterlich ausufernden Surrealismus". Bis
zum Alter von 17 Jahren hat der 1950 in Klosterneuburg geborene Sohn des
Psychiaters Leo Navratil, des Gugginger "Haus der Künstler"-Erfinders, mit den
Patienten seines Vaters gemalt und musste bei manchen Präsentationen als
Beispiel der Vermischung von In- und Outsiderkunst herhalten.
Die naive
"Art brut"-Komponente findet sich zwar auf den Porträts, Landschaften und
nüchternen Stillleben, doch nur im Malerischen, nicht im Inhalt. Narratives wird
in den dichten Denkbildern mit Karikaturelementen verbunden. Zuweilen kippt die
Komik ins Grotes- ke, Geheimnisvolle, Absurde, Schwarze. Nicht umsonst hat der
Künstler auch mit den Gruppenmitgliedern der fantastisch-bunten "Wirklichkeiten"
ausgestellt, sein Freund Kurt Kocherscheidt taucht verrätselt auf. Anspielungen
auf Kultur- wie Malereigeschichte finden sich laufend, etwa auf die ägyptische
Kunst, auf Rousseau, Degas oder Georg Baselitz.
Walter Navratil, diese
singuläre sympathische Künstlerpersönlichkeit, ist diese Woche 52-jährig einem
Krebsleiden erlegen. (dok/DER STANDARD, Printausgabe, 11./12.1.2003)