diepresse.com/Archiv
zurück  |  drucken
26.04.2002 - U-Musik
Von Abigor bis Zawinul
Seit 1993 wird Popmusik in Wien archiviert und dokumentiert. Das SR-Archiv für österreichische Popularmusik – eine Informationsdrehscheibe für Musiker, Journalisten, Musikwissenschaftler und Veranstalter.
Von Stefan Koroschetz


Es wird wohl jedem schon einmal so ergangen sein: Da setzt sich irgendein alter Austro-Hadern in den Gehörgängen fest und man weiß wieder mal nicht, von wem der Ohrwurm stammt! Wann er entstanden ist, ob und wo man ihn kaufen kann, etcetera, etcetera. Wem solches widerfährt, dem kann geholfen werden – völlig kostenlos noch dazu.

Ursprünglich gar nicht als Service-Einrichtung geplant, gehört nämlich die Bearbeitung von Anfragen Wissensdurstiger derweil zu einem erklecklichen Teil der Arbeit des SR-Archivs. Ins Leben gerufen wurde die „Musik-Sammelstelle“ von Johannes Dibon, Informatiker und Ex-Musiker sowie Wolfgang „Fadi“ Dorninger, der auch heute noch in unzählige Musikprojekte involviert ist. Nach dem Aufbau der elektronischen Datenbank und der Etablierung der elementaren Infrastruktur wandten sich die beiden wieder verstärkt anderen Tätigkeiten zu, und überließen das Tagesgeschäft anderen, nicht minder kompetenten Mitarbeitern. Im Vorstand des als Verein statuierten Forschungsarchivs sind sie aber noch immer vertreten.

Online-Musikdatenbank

Das Konzept der SR-Tätigkeit besteht im wesentlichen aus drei Elementen. Erstens die modular aufgebaute Datenbank mit Online-Zugang, mit der alle relevanten Daten wie Interpreten, Personen, Firmen, Tonträger, Film und Video, Plakate, Flyer etc. verwaltet werden. Dieses Informations-Eldorado ist bereits seit 1995 kostenfrei online zugänglich, womit SR einer der ersten Online-Content-Provider mit strukturiertem Informationsangebot überhaupt war.

In der Datenbank finden Sie mit Sicherheit auch jede noch so obskure Single B-Seite vom singenden Schwager, der diese seinerzeit in Eigenproduktion (Auflage: 100 Stück!) aufgenommen hat. Zumindest dann, wenn dieser (der Schwager) das Archiv mit seinen Daten „gefüttert“ hat. Zu diesem Zweck gibt es sogenannte „Feed-Us“ Formulare, womit man selbst Einträge in das Datenbanksystem vornehmen kann. Also: Ein Mindestmaß an Eitelkeit und man ist dabei!

Das zweite Element des Archivs ist die physische Dokumentation. Den Gründervätern war es ein Anliegen, Schallplatten, CDs, Videos, Werbemittel und Informationsmaterial  zu archivieren und der Öffentlichkeit frei zugänglich zu machen. Operiert wird dabei mit einem sehr umfassenden Begriff von Popularmusik. Ins Archiv aufgenommen wird von elektronischer Musik jeglicher Art bis zum Grenzbereich des gepflegten Schlagers so ziemlich alles.

Austro-Pop und Jazz sowieso, Volks- und klassische Musik kommen nicht in die Tüte – werden diese Genres schließlich schon von anderen Institutionen aufgearbeitet. Unterstützt wurde der Aufbau des Archivs vom Musikmanager Walter Gröbchen, der SR den Österreichanteil seiner Plattensammlung – immerhin nicht weniger als 4000 Tonträger – als Leihgabe zur Verfügung gestellt hat. Interessierte haben dabei zu Bürozeiten gratis Zugang, verliehen wird nicht.

Informationsfluß

Damit den Mitarbeitern die Decke nicht auf den Kopf fällt, bedarf es noch einer dritten, architektonischen Stütze, dem Informationsbüro. Diese Kompetenz hat sich nach und nach eher ungewollt entwickelt, sind doch die Diskothekare mit der Erledigung und Sichtung des Materials mehr als ausgelastet. Zumal auch noch die geplante Aufarbeitung der Popularmusik seit 1945 der Durchführung harrt. Der Informationsfluß zum und vom Büro wird großteils via E-Mail abgewickelt und beansprucht mittlerweile einen Gutteil der Geschäftstätigkeit. Dabei werden Kontakte zwischen Musikern, Veranstaltern, Plattenfirmen, Journalisten und Konsumenten geknüpft.

Besondere Attraktivität genießt das österreichische Pop-Gedächtnis bei jungen, noch nicht so bekannten Bands, können diese doch ohne viel Aufwand den erfolgreichen Internetauftritt von SR für ihre Zwecke nützen und damit eine breite Öffentlichkeit erreichen. Die Page-Visits haben sich auf den beachtlichen Wert von 4000 bis 5000 pro Monat eingependelt, mehr als die Hälfte kommen nicht aus Österreich. Mitverantwortlich dafür ist die hervorragende Verlinkungsdichte, durch die man bei fast jeder Internetsuche im Zusammenhang mit österreichischer Popmusik auf der SR-Website landet.

Gegenwärtig noch im Hinterhof des MICA-Hauses (Music Information Center Austria) am Spittelberg untergebracht, wird die Pop-Forschungsabteilung SR ihre Zelte ab Mitte 2002 im nur wenige Steinwürfe entfernten Kultur- und Medienzentrum Museumsquartier aufschlagen. Geplant ist ein Music-Space unter Beteiligung von SR, dem Musik- und Kunstlabel Sabotage, Laton records, t-ton tonstudio sowie einem Plattenladen namens bounce. Das Ganze wird dann zusammen auf den klingenden Namen „Spoiler“ hören.



© Die Presse | Wien