Wer rempelt schon Kunst an?
Von Claudia Aigner
Wenn jemand nicht umhin kann, den Bilderrahmen der Mona Lisa
zu kopieren, nur um sich den leeren Rahmen dann an die Wand zu hängen, so
muss er damit rechnen, dass man ihn, gelinde gesagt, für exzentrisch
erklären lässt. Didier Vermeiren hat dereinst Ähnliches mit Rodins "Kuss"
oder dessen "Bürgern von Calais" veranstaltet und hat, statt die
Skulpturen zu fälschen, lediglich ihren Sockel "ausspioniert", um dieses
bisherige bloße "Untertatzerl" selbst als Skulptur hinzustellen.
(Wahrscheinlich ist Vermeiren auch so einer, der den Leuten immer zuerst
auf die Schuhe schaut.) Auch wenn man Rodins "Pärchen beim
Speicheltransfer" (bekannt unter dem Namen "Der Kuss") eh schon auswendig
kennt und es deshalb vielleicht sowieso auf dem Sockel hätte
herumspeicheln sehen können (wenn man sich nur genug angestrengt hätte),
ist es unbestreitbar, dass Vermeiren ein spezielles Verhältnis zur
Skulptur hat. Wen wundert' s, dass nächst St. Stephan (Grünangergasse 1)
noch bis 13. Oktober ein Exemplar so mobil ist wie ein Einkaufswagerl
(sofern man es anrempelt oder einfach mit ihm davonfährt). Das Mittelding
zwischen einem brauchbaren Kleiderständer mit Rollen und einem
"lebensuntüchtigen" Kunstwerk mag nicht besonders attraktiv sein, seine
"labile Standhaftigkeit" ist aber interessant. Eine Fotografie friert
normalerweise die Realität in einem bestimmten Zustand ein. So gesehen
macht auf Vermeirens geisterhaften Fotos das Tiefkühlgericht (die
Skulptur) "Spompanadeln" im Gefrierfach, scheint nämlich nicht stillhalten
zu können. (Was aber nur an den Mehrfachbelichtungen liegt.) Meine
Favoriten: die gut durchgekneteten Porzellanklumpen voller potentieller
Formen. Als wäre jemand gerade dabei gewesen, das Waschbecken zu erfinden,
wäre mit dem Ergebnis unzufrieden gewesen und hätte alles wieder
zusammengepappt und ins Eck geschleudert. Und Vermeiren hätte es zufällig
gefunden, sich gedacht: "Schaut geil aus" und hätte das Ganze emailliert.
Vermeiren schafft es, die Skulptur als etwas vorzuführen, das auf
endgültige Weise vorläufig oder auf vorläufige Weise endgültig ist.
Bewegungsenergie ist auch bei Jakob Gasteiger unübersehbar: Seine
Bilder kommen ihm erst an die Wand, wenn sie gestriegelt sind. Er fährt
nämlich mit einer Art Kamm durch die dicke, monochrome Farbschicht, aber
nicht, ohne sich kleine "Ausrutscher" zu erlauben. Und neuerdings lässt er
- für seine Verhältnisse - "die Sau raus" und spritzt bunte, expressive
Farbkleckse in die minimalistischen "Frisuren" hinein. Reizvoll. Kann
eine Rose einen Herzinfarkt haben? Und wirkt regelmäßiges Gießen womöglich
so gut wie ein Herzschrittmacher? Wenn man sich das allen Ernstes zu
fragen beginnt, steht man wahrscheinlich gerade in der Galerie Atrium ed
Arte (Lerchenfelderstraße 31). Die "Knospen", die bis morgen hier zu sehen
sind, sind jedenfalls im Besitz einer rechten und linken Herzkammer (weil
Hannes Fladerer in seinen Plastiken das menschliche Herz geschickt in eine
Blume umoperiert hat, deren Stängel zweifellos im früheren Leben eine
Aorta gewesen ist). Fladerer hat nicht nur die "Pumpe" in die Botanik
verpflanzt: In sauber gearbeiteten Gebilden, wo Metall und Holz sinnlich
aufeinander treffen, hat er dem Muskel im Zentrum unseres Kreislaufsystems
formvollendete Denkmäler gesetzt. Betörende Metaphern für das Prinzip
Leben.
Erschienen am: 06.10.2000 |
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