Videonale 9

 

 

 

 

Vera Tollmann

 

 

Kunstverein, Künstlerforum
Bonn
28.4.2001 - 6.5.2001

 

Zwei junge, folkloristisch gekleidete Frauen üben in einer bühnenhaften Raumecke einen traditionellen Tanz ein. Dann, in der zweiten Einstellung, laufen sie über einen weiten schneebedeckten Platz und winken der Kamera zu. Clipartig eingefügt sieht man die zunehmend professioneller Tanzenden. Durch die abrupte Kontrastierung beider Situationen entsteht ein ironisierendes Moment den dargestellten Ritualen gegenüber – metaphorisch kommentieren die estnischen Künstlerinnen Killu Sukmit und Mari Laanemets ihre postsowjetischen Heimat, deren Gesellschaft sich wieder alten Traditionen als identitätsstiftendem Anker zuwendet.
Alltägliche Situationen und ihre diskursive Rezeption bilden den losen Themenkreis, um den sich die 31 internationalen Beiträge der neunten Videonale drehen. Der Kurator Soren Grammel wählte mit einer von ihm beigezogenen Jury unter zugesandten aktuellen Videos aus. Im Vergleich zu anderen Videofestivals besteht das Ergebnis ausschließlich aus künstlerischen Arbeiten. Über dieses Statement hinaus hat sich Grammel gegen die üblichen Festivalstrukturen für eine elegant-minimale Ausstellungseinrichtung entschieden, die dem Publikum das Switchen zwischen den Videos ermöglicht. Zugleich stellt sich beim Format Ausstellung aber umso mehr die Frage, wie es zu der engen Auswahl kam. Es scheinen diverse Kategorien berücksichtigt: Dazu gehören bekannte, mitunter filmische Popkulturvorlagen, die durch ihre gebrochene Inszenierung neu konnotiert sind, so wie Vibeke Tandberg in ihrer Hommage »Taxi Driver too« hinter einer Lenkradattrappe Stereotype männlicher Coolness durch Manhattan steuert, wobei sie um eine zwiespältige Bewunderung Robert de Niros nicht herumkommt. In ähnlicher Ereignislosigkeit fährt in »Die Bürger von Calais (die Neptunbrüder)« des Künstlerprojekts Horten© die Kamera um sechs posierende Männer. Vor einer stillgelegten Tankstelle formt die Gruppe traurig-würdevoll Rodins Skulptur nach und gehört damit ebenso zu den von der Gesellschaft Vergessenen wie die Figuren ihrer Vorlage.
Auffällig ist, dass viele der Arbeiten ohne Text angelegt sind. So funktionieren etwa Nina Könnemanns diesig stimmungsvollen Aufnahmen einer Festivalwiese im Morgengrauen kommentarlos. Der fixe Standpunkt der Kamera unterstreicht die übermüdeten Schritte der Teenager, die zwischen den Abfällen und rauchenden Feuerstellen herumlaufen. Aus Richtung des Waldes zieht gemächlich eine Fantasy-Gestalt mit einem Stock stöbernd über den Rasen. Es bleibt der Fantasie überlassen, ob sich verbindende Interaktionslinien zwischen den Umherschweifenden ergeben. Hilary Lloyd nimmt sich ein ausgewähltes Model direkt vor die Kamera: Die rein visuelle Arbeit führt einen Jungen vor, dem von seinem Freund die neue alte Frisur rasiert wird. Da die vordergründige Handlung eine alltäglich banale ist, verstärkt Lloyd mit »Rich« ihr soziologisches Interesse an kleinen Gesten und Haltungen.
Babak Afrassiabi visualisiert intensive Bilderlebnisse indirekt: Ein junger, gepflegter Mann im Anzug steht vor einem breiten Spiegel in einem smaragdgrün gekachelten Bad. Im Close-up aufgenommen, holt der Schauspieler eine Pipette aus seiner Jackentasche und sprayt sich, anders als der Titel »The Eyedropper« verheißen könnte, die Nase. Entscheidend für die Aussage des Videos ist die dargestellte Krankheit, die sich im Unvermögen zu blinzeln äußert. Somit könnte man Afassiabis Video als Metakommentar zur Videonale ansehen, da es genau die in vielen Varianten umschriebenen Bedingungen von Sehen und Wahrnehmung in reiner Perfektion repräsentiert.
Beispiele dafür, wie man alltägliche Räume neu entdecken kann, filmten Roderick Buchanan und Nicole Wermers. Buchanans Aneignung macht einen konkreten Vorschlag: Er instruierte einen Skater in Dundee, mit selbstverständlicher Haltung eine kurvige Parkhausabfahrt runterzurollen. Der Vorführcharakter weckt Assoziationen mit weiteren Beispielen alternativer Raumnutzung – der Skater könnte genauso gut eine Brücke zu seiner Rampe machen. In »Palisades« zeigt Wermers die reizvollen Deckenkonstruktionen in Kongresszentren oder Shopping Malls und stellt sie auf den Kopf, sodass sie als künstliche Landschaft scheinbar zu begehen sind. Die bestehenden Möglichkeiten werden zu einer idealisierten Raumnutzung verdoppelt.
Doch die Auswahl Grammels und der JurorInnen beschränkt sich nicht auf geloopte Kurzvideos, sondern schließt auch filmische Dokumentarvideos ein, allen voran Cãlin Dans Dokumentation »RA«, für die er auch den Videonale-Preis gewonnen hat. Dan stellt in neun Sequenzen verschiedensten KünstlerkollegInnen in Rumänien eine Plattform zur Präsentation ihrer Konzepte zur Verfügung. Im weiteren Kontext bietet die Dokumentation ein heterogenes Porträt der rumänischen Gesellschaft.
Eine letzte Richtung aktueller Videokunst beschreiben die konzeptuellen Umsetzungen, darunter Kenny Macleods mit einem Produktionspreis ausgezeichnetes »Blue Video«, in dem immer dunkler werdende Blautöne, deren Bezeichnungen aus dem Mode-, Poesie- und technischen Umfeld kommen, den gesamten Monitor abdecken. Nathalie Melikian lässt Stichworte zu typischen Actionfilmplots in alphabetischer Anordnung über die Wand laufen. Stellvertretend lassen Michaela Schwenters und Alexander Györfis Beiträge Rückschlüsse auf künstlerische Musikvideoproduktion zu, die – wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise – der Hegemonie überfrachteter Medienbilder geometrisch reduzierte Visualisierungen entgegensetzen. Es ist Reduktion, die alle ausgestellten Videos kennzeichnet.

 

   

 

http://www.videonale.org/

 

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