Ein Geisterhaus und Gerüchte
Ausstellungsrundgang. Unheimliche Präsenzen, erschütternde Kriegsopferzahlen und Kommentare zum Umbruch der Gesellschaft.
MARTIN BEHR GrAZ (SN). Es ist ein Haus am Meer, aber eines ohne Idylle und Ferienflair. Eher ein verwunschenes Schloss, eine leer stehende, verfallene Architektur, ein Gebäudeskelett in Algerien, in dem einst auch Folterungen stattgefunden haben sollen. Gerüchte? Oder doch verdrängte Historie? Fotodokumentationen dieses Geisterhauses steuert der algerische Künstler Zineb Sedira für die Ausstellung „Hauntings – Heimliche und unheimliche Präsenz in Medien, Kunst und Pop“ bei. Die Schau im Grazer Kunstverein Medienturm widmet sich den mehr oder minder deutlichen Spuren des Mysteriösen.
Die Kuratoren Thomas Edlinger und Christian Höller weisen jeden Verdacht eines Geisterbahncharmes zurück. Und doch scheint in so mancher Arbeit ein Gespenst sein Unwesen zu treiben. Auf Video (Leif Elggren) beginnt eine von Geisterhand gesteuerte Nähmaschine zu rattern, unweit davon dringt man in unheimlich vertrautes Ambiente ein: Claudia Larchers bedächtige Kamerafahrt durch die Etagen und Räume ihres Elternhauses zeigen harmloses Interieur, lassen im Medienkonsumenten aber die Alarmglocken läuten: Tatort Familie? Schon wieder?
„Hauntings“ verschärft aber noch die Gangart: Seltsame Rattengeräusche (Carl Michael von Hausswolff), rätselhafte Fotografien (Yto Barrada), Voodoo-Flüche gegen George Bush (Minerva Cuenas) und Vexierbilder von Alejandro Vidal, die mit dem voyeuristischen Reiz von Katastrophenbildern spielen. Paranormale Tonbandstimmen dürfen da nicht fehlen, und im finalen, stockfinsteren Spukzimmer ist der Kurzfilm „Phantoms of Nabua“ des thailändischen Regisseurs Apichatpong Weerasethakul zu sehen: Jugendliche bei einem feurigen Spiel. „Schließlich gerät die Leinwand in Brand, und man blickt frontal in das weiße Projektorlicht dahinter“, ist im Begleittext zu lesen. Seltsam? Aber so steht es geschrieben. (Bis 8. 10.)
Von den Andeutungen zu den nackten Zahlen der (menschlichen) Destruktivität: In der Galerie Artelier Contemporary präsentiert der Künstler und Kurator Peter Weibel seine interaktive Installation „Das Leben im 20. Jahrhundert“. Auf iPads sind erschütternde Daten abrufbar: 225 Millionen Menschen sind im 20. Jahrhundert bei kriegerischen Ereignissen gestorben. Fein säuberlich wird aufgelistet: „1904: Russisch-japanischer Krieg: 184.000 Tote. 1940: Chinesischer Bürgerkrieg: 3,2 Mill. Tote. 1988: Iran-irakischer Krieg: Zwei Millionen Tote.“ Und so weiter und so fort. Auf dem iPad-Display dreht sich eine Weltkugel, aus ihr tropft Blut. Ohne dieses Detail wäre die Arbeit noch eindrucksvoller.
Der Schalk im Analytiker Weibel lebt sich in einer Werkreihe, die dem Revolutionsjahr 1968 gewidmet ist, aus. Die Ziffern 6 und 8 sind auf Alltagsgegenständen zu finden, auf einer silbrigen John-Lennon-Brille etwa, auf versilberten Urnen. Utopien, verbrannt und endgelagert. (Bis 30. 11.)
In der Camera Austria wiederum vereint das Konzept „Communitas. Unter anderen“ Arbeiten, die sich auf den Umbruch der Gesellschaft beziehen. Ursula Biemann und Shuruq Harb haben mit www.artterritories.net eine Plattform zur Reflexion von Kunst und visueller Kultur in der arabischen Welt eingerichtet. Sehr spannend ist auch Yael Bartanas Ansatz, die historische Vorlagen mit propagandistischer Bildsprache über das jüdische Leben nachstellt und so hinterfragt. Laurence Bonvin dokumentiert mit „Blikkiesdorp“ die wenig erbauliche Lageratmosphäre in einem neu errichten Township nahe dem Flughafen von Kapstadt. (Bis 1. 1.)