Die Presse: Wie fühlt es sich an, wieder in Wien zu sein?
Gottfried Helnwein: Gut, ich komme in letzter Zeit ja wieder öfter hierher.
Das heißt, Sie vermissen Wien?
Helnwein:
Ein bisschen. Dort, wo ich lebe, lebe ich gern. Ich habe ein Stück
Heimat in Irland und ich bin gerne in Los Angeles. Aber: Ich komme gern
nach Wien zurück, immer mehr. Erst die räumliche und zeitliche Distanz
von Wien hat mir die Möglichkeit gegeben, die Qualitäten Österreichs zu
sehen.
Was sind das für Qualitäten?
Helnwein: Österreich investiert zum Beispiel mehr in die Kultur als jedes andere Land auf der Welt.
Das sehen die österreichischen Künstler sicher nicht so.
Helnwein:
Das ist aber ein Faktum. Nehmen Sie die Zahl der Einwohner in diesem
kleinen Land und die Mittel, die für Kultur aufgebracht werden. Das ist
enorm. Wenn man die Zahlen vergleicht, gibt es kein Land der Welt, das
da mithalten kann. Ich erlebe gerade die Situation in Amerika, wo unter
dem Druck der Bankenkrise Sponsoren ausbleiben und Museen vor dem Aus
stehen. Aber ich weiß natürlich, dass man, wenn man in Österreich lebt,
von früh bis spät lästert. Das hab ich auch gemacht. Weil man nah dran
ist und sieht, was alles nicht gut läuft.
Weshalb haben Sie Österreich in den 80er-Jahren verlassen?
Helnwein:
Es gab keinen bestimmten Anlass. Ich wollte immer schon weg. Ich habe
Wien gehasst. Es war ein schrecklicher, dunkler Ort. Die Leute waren
grantig und unfreundlich. Es war ein depressives Klima. Viele Künstler
wollten weg.
Sie sind zuerst nach Deutschland, danach nach
Irland. Warum gerade Irland? Das war damals auch nicht gerade der Quell
der Lebensfreude. Ein ärmliches Land, dunkel, kalt.
Helnwein:
So dunkel war das gar nicht. Zuerst war ich vor allem in Amerika. Ich
hatte ein Atelier in New York, seit 2000 bin ich in Los Angeles. Erst
in Amerika habe ich gemerkt, wie europäisch ich bin. Da habe ich
beschlossen: Ich muss eine Basis in Europa haben. So fand ich eine
Heimat in Irland, das in jeder Hinsicht der absolute Gegensatz zu der
urbanen Dekadenz Amerikas ist.
Das Gefühl von Heimat hatten Sie in Österreich nie?
Helnwein:
Nein. Ich glaube, dass unsere Generation ein gebrochenes Verhältnis zum
Thema Nation hat. Wer würde in Deutschland sagen: Ich bin stolz drauf,
Deutscher zu sein? Das ist ein Satz, den die Neonazis auf ihre T-Shirts
schreiben. In Irland ist das anders. Die Leute sitzen im Pub, saufen
sich an, dann umarmen sie irgendeinen Fremden und sagen: Isn't that the
greatest country in the world?
Mit dem Wandbild für den
Klimafonds an der Wienzeile sind Sie erstmals seit Langem wieder in
Österreich künstlerisch tätig. Wieso haben Sie da zugesagt?
Helnwein:
Hier stand eine Wand zur Verfügung, die sehr exponiert ist. Ich hab
noch nie etwas im Zusammenhang mit der Klimaproblematik gemacht, aber
es liegt mir am Herzen. Ich lebe in L. A., wo die Luft so schlecht ist,
dass man kaum atmen kann. Wenn ich dort mit dem Finger über meine
Schreibtischplatte im Atelier fahre, ist meine Hand schwarz.
Bekommen Sie oft Anfragen aus Österreich, hier etwas zu machen?
Helnwein:
Ja, aber ich musste aus Zeitgründen viele absagen. 2006 hatte ich eine
Retrospektive im Linzer Lentos Museum und ich war überrascht, dass sich
die Leute noch an mich erinnern. Ich war ja seit den Achtzigern im
Schnitt nur einmal im Jahr da.
An die „verlorenen Söhne“ erinnert man sich doch immer.
Helnwein: Ja, da war ein ungeheurer Besucherandrang und vor allem junge Leute. Leute, die meine Kinder sein könnten.
Sie verfolgen die Vorgänge in Österreich noch relativ genau?
Helnwein: Ja, vor allem im Internet.
Haben Sie gewählt?
Helnwein:
Nein. Ich kann derzeit gar nicht wählen, ich habe meine österreichische
Staatsbürgerschaft kurzfristig verloren. Weil ich mich nicht an alle
Formalitäten gehalten habe. Das heißt, ich bin derzeit de jure leider
ein Ausländer.
Wollen Sie wieder „Inländer“ werden?s
Helnwein:
Meine Arbeit ist so tief verwurzelt in der österreichischen Kultur. Wo
immer ich bin, ist auch Österreich. Ich werde die Staatsbürgerschaft
sicher wieder kriegen, keine Sorge.
„Ausländer“ und trotzdem
hat sie ihr Freund Erwin Pröll im Vorjahr zum „Botschafter
Niederösterreichs“ gemacht. Wie wird man das?
Helnwein:
Das weiß ich nicht. Ich habe Erwin Pröll bei der Eröffnung der
Donald-Duck-Ausstellung im Karikaturmuseum Krems kennengelernt. Da hat
er mich sehr beeindruckt, weil er einer der wenigen Politiker ist, der
wirklich an Künstlern und Kunst interessiert ist. Vor allem sein
außerordentlich großes Interesse an Entenhausen hat mich sehr
beeindruckt (lacht). Mir gefällt auch, was er in NÖ für die Kultur
gemacht hat. Ich kenne dieses Land sehr gut, weil meine Familie von
hier kommt und ich einen großen Teil meiner Kindheit auf dem Bauernhof
meiner Großeltern im Weinviertel verbracht habe. Es war lange ein
völlig vergessenes Agrarland im Schatten Wiens – und kürzlich haben 280
unabhängige Experten für das Magazin „National Geographic“ die Wachau
zum „besten historischen Ort der Welt“ gewählt.
Was macht man als Botschafter?
Helnwein:
Ich erzähle jedem, wie schön es da ist. Im Sommer war ich mit meinen
Kindern und amerikanischen Freunden hier und alle waren total
beeindruckt. Meinen Kinder haben sogar wieder ein bisschen Deutsch
gelernt. Neben der Kultur und Natur ist auch die Küche gut. Man kann
hier, zum Beispiel in der Wachau, in jedes Wirtshaus gehen und das
Essen ist sensationell. Das geht in Irland nicht und in Amerika ist es
lebensgefährlich. Das hohe gastronomische Niveau ist unglaublich.
Stimmt es, dass sie eine Teilrückkehr nach Österreich planen?
Helnwein:
Ich habe die Verbindung nie abgebrochen. Mit dem Deix bin ich seit
meinem 16. Lebensjahr eng verbunden. Ich habe überlegt, mir auch hier
ein Atelier zu besorgen und zeitweise auch hier zu arbeiten. Wien hat
sich so verändert, man erkennt es kaum. Wien ist anders. Wien ist
wieder eine Weltstadt geworden.
Sie leben in Irland in einem Schloss. Verstehen Sie, dass das manchmal für Aufsehen sorgt?
Helnwein:
Schlösser sind äußerst praktisch, wenn man große Atelierräume braucht
und so viele Kinder, Freunde und Tiere unterbringen muss wie ich. Hier
können wir unser barockes Leben als italienische Großfamilie leben. An
unserem Tisch sitzen manchmal 20–25 Leute, wir hören Musik, diskutieren
stundenlang und trinken Kaffee im Park.
Das klingt fast schon romantisch.
Helnwein: Das ist in meinem Fall die Realität. Anders könnte ich es mir gar nicht vorstellen.