Der zweite Streich

Teil 1 der Ausstellung "Der Körpererfüllte Raum fort und fort" war der bildenden Kunst gewidmet. Jetzt folgt das Theater.
Von Andreas Wolf


Mit nacktem Oberkörper, blond gefärbten Haaren und fleischfarbenen Cargo-Pants betritt Chris Haring die zur Black-Box verwandelte Bühne der Linzer Landestheater Dependance/ Kammerspiele. Zu Straßengeräuschen beginnt sich der Tänzer langsam um die eigene Achse zu drehen. Je lauter der Lärmpegel, desto schneller werden die Drehungen, bis die Szene an einen rotierenden Kreisel erinnert.

Überraschende Projektionen

Irgendwo dazwischen ist Haring - für die Zuschauer unbemerkt - stehen geblieben. Harings Körper wird zur Projektionsfläche für eine andere menschliche Gestalt, die sich mit übermenschlicher Geschwindigkeit bewegt. Durch Bewegungen werden die Körperoberflächen für die Projektionen, ständig verändert. Gliedmaße scheinen sich zu verformen. Sie werden verlängert, verzerrt, oder wachsen zu monströser Größe an.

Haring hält seine geöffneten Handflächen neben seine Ohren. In die Handflächen werden überdimensionale Ohrmuscheln projiziert. Haring mutiert zu einem Wesen mit riesigen Ohren. Die Überleitungen zwischen den Projektionen sind ein roboterhafter und zugleich archaisch anmutender Tanz zu hämmernden Technobeats.

Entgrenzung des menschlichen Körpers

D.A.V.E. ist eine Performance von Chris Haring und Klaus Obermaier, die sich mit der Entgrenzung des menschlichen Körpers durch Gen-, Bio- und Computertechnologie beschäftigt. Zum ersten Mal wurde D.A.V.E. bei der Ars Electronica 2000 aufgeführt, die Sex im Zeitalter seiner reproduktionstechnischen Überflüssigkeit thematisiert hat.


Ebenfalls mit dem menschlichen Körper beschäftigt sich die Ausstellung "Der Körpererfüllte Raum fort und fort", im Centrum für Gegenwartskunst in Linz, bei der D.A.V.E., im 2. Akt der Ausstellung vom 22.1 - 4.3.2001, erneut zu sehen ist.

Grenzen verschwimmen

Ausgangspunkt der Ausstellung ist ein autobiografischer Text von Adalbert Stifter, wonach sich das Individuum durch den ihn umgebenden Raum definiert und wahrnimmt. Ein weiterer Aspekt ist das Verschwimmen der Grenzen zwischen bildender Kunst und dem Theater.

Während die Bühnenkunst in den letzten Jahrzehnten immer mehr von Raumkonzepten bestimmt wurde, gewinnt in der bildenden Kunst die Inszenierung immer mehr an Bedeutung. Gerade das moderne Tanztheater bedient sich ihrer Formen. Neben abstrahierten Bühnenbildern sind auch die Handlungen oft nur Ausschnitte von Geschichten, die dahinter stehen. Das Publikum wird zu Assoziationen eingeladen.

Walking to Schwarzbach

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Tänzer tauchen ihre Gliedmaßen in schwarze Farbe. Statt die Räume mit ihren Körpern anzudeuten, lassen sie sich gegen die Begrenzungen des Raumes - wie Böden und Wände - oder mit umgeschnallten Fluggeschirren auch gegen die Decke klatschen. Zwischen den Beinen des Publikums kriechen sie hindurch wie zuckende Würmer. Sie suchen den Körperkontakt, streifen an der Kleidung der Besucher an, drücken ihnen ihre schwarz gefärbten Hände ins Gesicht.


Dazwischen immer wieder kurze Anweisungen des Regisseurs Robert Poole. Am Ende der Performance sind die Flächen des Raumes - und die eine oder andere Hose eines Besuchers - übersät von Farbflecken; die Schnittstellen einer ins Unendliche projizierten Bewegung.

Kindheitserinnerungen

Bei der Vorbereitung der Performance unter der Leitung von Georg Ritter und Robert Poole, dem Ballettdirektor des Linzer Landestheaters, haben sich die Tänzer eindringlich mit dem Stifter-Text "Mein Leben" auseinandergesetzt. Darin werden Stifter als Kind die Füße vom Wagenschmiermann mit Pech bestrichen. Im Anschluss läuft der Bub ins Haus - die "Sauerei" ist perfekt. Basierend auf eigenen Erlebnissen entwickeln die Tänzer eine Choreografie, in der die Ereignisse interpretiert werden.

Schwarzbach machen

Schwarzbach war jener böhmische Ort, in dem Adalbert Stifter seine Jugend verbrachte. Während der Monarchie wurde dort in großen Mengen Graphit abgebaut. Die gesamte Umgebung war deshalb mit einer schwarzen Staubschicht überzogen. In seiner Erzählung "Mein Leben" beschreibt Adalbert Stifter, wie er als Kind Kienspäne der Länge und Breite nach übereinander gelegt hat und so "Schwarzbach gemacht" hat. Diese Geschichte interpretiert Georg Ritter als ersten künstlerischen Akt von Stifter.

Als Weiterentwicklung des Textes werden die Zuschauer aufgefordert, selbst kreativ zu sein und ebenfalls "Schwarzbach zu machen". Fantasien, Empfindungen und Gedanken sollen den Tänzern erzählt werden, die diese dann in die Performance einbauen und interpretieren.

Weitere Termine von "Walking to Schwarzbach": am 3., 10., 17. und 24. Februar 2001

Link: O.K Centrum

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