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„Curated by“: Zarte Kletterpflanzen gegen Ostkunst-Klischees

29.05.2011 | 18:33 | von Almuth Spiegler (Die Presse)

Das Festival verbindet 20 Galerien in ganz Wien. Am Beispiel Ostkunst wird gezeigt: Die Künstler arbeiten in einer internationalen künstlerischen Sprache, erzählen damit aber lokale Geschichten.

Haben Sie an Erzherzog Karls ehernem Kriegerwadl auf dem Heldenplatz unlängst etwas zartes Grünes ranken gesehen? Oder gar am spitzen Ellenbogen des Rathausmannes? Nein? Dann haben die Besucher der Galerie Christine König schlampig gearbeitet – und die Dutzenden, handlich im Töpfchen mitzunehmenden Clematis-Kletterpflanzen wurden doch in den eigenen Garten gesetzt. Anstatt an die Sockel von Denkmälern männlichen Heldenmuts, den sie langsam überwuchern sollen, geht es nach dem rumänisch-slowakischen Künstlerinnenduo Anetta Mona Chisa und Lucia Tkácová.

 

Wer denkt an Lida Clementisova?

Die beiden ärgerte nämlich, dass in ihrer Heimat zwar alle den tschechoslowakischen Kommunisten, Stalin-Opfer Vladimir Clementis kennen, aber niemand mehr seine Frau, die Opernsängerin Lida Clementisova, die gemeinsam mit ihrem Mann zwei Jahre lang gefangen war und gefoltert wurde. Ob jetzt gerade Kletterpflanzen die Geschlechterklischees aufbrechen werden, darf bezweifelt werden. Wer aber immer noch Klischees über „Ostkunst“ mit sich trägt, der sollte sie spätestens im Jahre 2011 begraben, und zwar bei einem rituellen Rundgang durch die dritte Ausgabe der inoffiziellen Wiener „Annuale“, genannt „curated by“, finanziert von „departure“, heuriges Thema: „east by south west“.

Wer jetzt nur Ostbahnhof versteht, sollte sich zwar ruhig grämen ob der wenig hilfreichen Kunstkauderwelschierung, aber nicht abschrecken lassen. „Curated by“ (kuratiert von) bedeutet: Hier hat ein Kurator einen Ruf zu verteidigen und benennt sehr chic ein bereits das dritte Jahr organisiertes Festival, das über 20 Wiener Galerien thematisch verbindet. „Departure“ heißt die Wiener Agentur zur Förderung der kreativen Szene, die das Ganze zahlt und deren Chef, Christoph Thun-Hohenstein, ab Herbst Direktor des Museums für angewandte Kunst wird.

Und „east by south west“ ist seine bisher beste Empfehlung an die Kunstszene: Die mit diesem Titel thematisierte geografische Unmöglichkeit zeigt anhand des Fallbeispiels „Ostkunst“ wunderbar, was globale Kunst heute ausmacht. Man arbeitet mit einer internationalen künstlerischen Sprache, nämlich der konzeptuellen, erzählt damit aber lokale Geschichten. Das können komplizierte, verschlüsselte Recherchearbeiten sein, neben denen man die Künstler oder Kuratoren am liebsten anbinden würde, um sie jedem Besucher zu erklären: Adam Budak etwa in der Galerie Kerstin Engholm. Denn wer die Eigenheiten des aserbaidschanischen Alphabets nicht so intus hat wie das Künstlerduo „Slavs and Tatars“, der verzweifelt vor ihren bunten Wandtafeln. Das ist dann wahrhaftig das „Unglück der Intelligenz“, aus dem im Aserbaidschanischen mit einem Buchstaben Unterschied schnell der „Berg der Intelligenz“ wird. Am anderen Ende des ausgestellten Spektrums stehen dafür plakative banale Botschaften: Zackig hat der 1983 in Bulgarien geborene Künstler Vikenti Komitski das alte politische Wörterbuch in der Mitte zerbrochen: Jawohl, nach der Wende ist es nutzlos geworden! Kurator René Block, der für die Galerie Krinzinger derlei poppige Ware ausgewählt hat, durfte getrost wieder nach Berlin heimreisen, we got it: einen leeren, sich drehenden Bürosessel (Komitski), eine lebensgroße Palme, die anscheinend kopfüber durch einen Basketballkorb geworfen wurde (Pravdoliub Ivanov), einen Jagdbogen aus Legosteinen (Gabriela Vanga), eine riesige Rose aus Seife „traditional flavour“ (Miklos Onucsan). Das ist so „contemporary“, so markttauglich, dass es schon unheimlich ist. Ein generationenverbindendes Experiment gelingt in der Galerie Layr: Die irren drei Klone und sechs, sieben oder noch mehr Dimensionen des slowakischen alten Herrn Stano Filko treffen hier auf die extrem reduzierten Objekte des jungen Litauers Liudvikas Buklys, beides international gerade sehr gehypte Positionen.

 

Kampusch – muss das sein?

Einen Schwebezustand umreißt der Kärntner Künstler Hannes Zebedin zwei Galerien weiter bei Martin Janda: Zebedin besuchte Kärntner Partisanen und zeichnete ihre Umrisse ab. Kuratorin Silvia Eiblmayr stellt ihm eine Ikone der kroatischen Kunst, Sanja Iveković, und eine Neuentdeckung, die junge Kosovarin Flaka Haliti, zur Seite: In ihrer Installation überlegt sie anhand eines Musikvideos einer Rockgruppe, das Fotos von Kriegsopfern zeigt, ob es erlaubt ist, basierend auf realem Leid anderer Kunst zu machen.

Eine ewige Frage, die sie sich wohl auch selbst stellen muss. Und die sich auch Anna Baumgart in der Galerie Steinek einmal stellen sollte: Muss man Natascha Kampusch, wie sie mit Decke über dem Kopf erstmals in die Medien geriet, tatsächlich als Skulptur formen? Medienreflexion hin oder her? Ganz ohne persönliches Leid, obwohl davon genug vorhanden gewesen sein muss, kommt dagegen eine der zauberhaftesten Ausstellungen von „curated by“ aus: Jiří Kolář, der tschechische Avantgarde-Star, hatte nämlich auch eine Frau, die Künstlerin war. Und die nicht, wie er, fliehen konnte. Die Ausreise wurde ihr verboten. Běla Kolářová arbeitete mit Gegenständen des Alltags, schuf aus Schrauben und Klammern wundervolle optisch täuschende Bilder. Sie starb, fast unbekannt, 2010. Ihrem Andenken zuliebe sollte man zumindest ein kleines Clematis-Beet pflanzen. Wo auch immer.

Bis 18.Juni.


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