>>> Melde ungehorsamst
"nicht
alles tun" lautet der Titel einer Ausstellung über zivilen und
sozialen Ungehorsam in Kunst, Politik und Technologie - Galerie der IG
Bildenden Kultur
"Kein Blitz, keine Zoomteleobjektiv, keine Gasmaske, kein Autofokus, kein Presseausweis und kein Druck, auf Teufel-komm-raus das eine definitive Bild dramatischer Gewalt einzufangen." Die Arbeitsprämissen des US-Amerikanischen Fotografen und Fototheoretikers Allan Sekula bei der Dokumentation der globalisierungskritischen Proteste in Seattle (1999) sind nur eine von zahlreichen Spielarten widerständiger künstlerischer Handlungsfelder, die im Sammelband und Ausstellungskatalog nicht alles tun behandelt werden.
Ungehorsam
Die Herausgeber, Jens Kastner und Bettina Spörr, zeichnen in der
Publikation ein Bild dessen, was es in Zeiten von Globalisierung,
neoliberaler Sozialpolitiken und immer prekäreren Lebenssituationen dem
Individuum so schwer macht, politisch zu handeln, ohne dabei die
Systeme zu affirmieren, die sich nur ungern als verantwortlich für die
gegenwärtige Situation zeigen. Zeitgenössische Kunst, die sich entlang
der feinen ästhetischen Schnittstelle von sozialen Bewegungen und
politischem Aktivismus entwickelt, ist in diesem Kontext aber nicht nur
als Begleiterin und Illustratorin widerständigen Handelns zu verstehen.
Bezugnehmend auf die Schrift des Philosophen Henry David Thoreau mit dem programmatischen Titel Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat
(1849) differenzieren insgesamt sieben Beiträge ein breites Themenfeld
aus, das als sozialer und ziviler Ungehorsam bezeichnet wird. Mit
Arbeiten von KünstlerInnen wie Zanny Begg, Oliver Ressler, dem Critical
Art Ensemble, den Surveillance Camera Players, dem Büro Bildwechsel und
nicht zuletzt Allan Sekula liegt der kuratorische Fokus in nicht alles tun
vor allem auf dem Entwurf einer handlungsbetonten und in der Kunst- und
Mediengeschichte verankerten Formensprache, die heute genauso zum
Repertoire performativer Kunst wie zu dem des politischen Aktivismus
zählt.
Gegenwart
Ziviler und sozialer Ungehorsam sind keine neuen Phänomene. Die Begriffsgeschichte wird in einem Text von Lou Marin, Herausgeber der Zeitschrift graswurzelrevolution, an unterschiedlichen historischen Etappen wie den antikolonialistischen und Bürgerrechtsbewegungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts festgemacht. Die gewaltfreien Proteste der 1968er, die Solidaritätsbekundungen gegenüber zapatistischen Guerillaorganisationen und die globalisierungskritischen Proteste der vergangenen zwei Jahrzehnte gehören aber ebenso dazu, wie elektronische Formen des zivilen Ungehorsams seit Mitte der 1990er Jahre. Den Bogen von Henry David Thoreaus Aufruf, sich passiv gegenüber ungerechten Gesetzen zu verweigern und gleichzeitig aktiv damit zu brechen, spannen die Herausgeber von den gewaltfreien Aktionen Ghandis in Indien bis herauf in die Gegenwart des Internet.
Asymmetrie
"Asymmetrie als Schlüssel zu revolutionärem Denken und Handeln" ist jene These, mit der sich John Holloway in seinem Beitrag Poesie und Revolution
explizit für eine Gratwanderung zwischen Kunst und Politik ausspricht.
Nicht Gewalt gegen Gewalt oder Macht gegen Macht, sondern eine "Sprache
der Würde" wird von dem in Mexiko lebenden Autor und
Politikwissenschafter gefordert. Diese solle sich zwar in Begriffen
ausdrücken, um verstanden und kritisiert werden zu können, gleichzeitig
müsse sie aber auch "über das Begriffliche hinausgehen" und nach "einer
anderen Form des Ausdrucks" Ausschau halten.
Ihre weniger
poetische dafür aber konkretere Argumentation für zivilen und sozialen
Ungehorsam im Medium Internet untermauert Inke Arns mit Erläuterungen
über Software: Der Code zeichne sich - so die künstlerische Leiterin
des Hartware MedienkunstVereins in Dortmund - durch seine
Handlungsfähigkeit aus, da in ihm Sagen und Tun zusammenfallen. Code
als handlungsfähiger Sprechakt ist keine Beschreibung oder
Repräsentation von etwas, sondern "affiziert direkt, setzt in Bewegung
und zeitigt Effekte", oder: "Code macht das, was er sagt." Auf die
selbst gestellte Frage wie sich widerständige Taktiken in der
transparenten Welt globaler Kommunikation realisieren können,
beschreibt die Autorin zum einen das Sichten, Kartografieren und
Intervenieren in die Strukturen der Überwachungs- und
Informationslandschaft und zum anderen die Überaffirmation dieser
Strukturen mit dem Ziel durch maximale Sichtbarkeit ihr Verschwinden
heraufzubeschwören.
Imperativ
Ob sich Ungehorsam nun als "Imperativ" äußert, der Verweigerung und Bruch in sich vereint, oder als ästhetische, körperliche und mediale Praxis, um bestehende gesellschaftliche Verhältnisse zu visualisieren und konterkarieren, nicht alles tun ist ein stringenter Beitrag zur Diskussion von Kunst als Medium politischen Handelns und Medien als politisches Betätigungsfeld. Mit einem historischen Überblick über soziale Bewegungen und deren Transfer in das System Kunst, wird klar, dass Widerständigkeit nur als eine "Mikropolitik" politisch-ästhetischen Handelns und nur im jeweiligen Handlungskontext der Protagonisten betrachtet werden kann. Genauso "konkret, situativ und relational" wie also der Charakter zivilen und sozialen Ungehorsams dargestellt wird, liest sich auch der Sammelband und Ausstellungskatalog. (fair, derStandard.at, 04.08.2008)