Salzburger Nachrichten am 30. März 2005 - Bereich: kultur
Tiroler Expressionistin
Hilde Goldschmidt war eine Künstlerin der Upper-Class - doch sie ist fast vergessen. Eine
eingebürgerte Kitzbühelerin - doch keine "waschechte" Tirolerin. Eine
faszinierende Frau mit Kanten, Blut und Beuschel - und doch ein
charismatisches Geschöpf voller Güte und Gemütstiefe, das eine Stiftung
zur Förderung junger Künstler gründete. Nach langer Pause stehen die
Bilder der 1897 in Leipzig geborenen Malerin - deren umfangreiches
Alterswerk während ihrer 30-jährigen Schaffenszeit in Kitzbühel entstanden
ist - wieder im Blickpunkt der Öffentlichkeit: Die Galerie "Kunstbrücke"
der Raiffeisen-Landesbank Innsbruck hat eine Auswahl von 63 Arbeiten der
großen Expressionistin auf die wohl bekannte "Kunstbrücke" geschwungen
(Kuratorin: Silvia Höller). Die Ausstellung präsentiert einen Querschnitt (vorwiegend Bilder in Öl auf Leinwand,
dazu Grafiken) künstlerischen Suchens, das "vielleicht wichtiger ist, als
das Können selbst" (H. Goldschmidt). Und auf der Suche ist sie von
Anbeginn an: beim Studium an der Kunstakademie Dresden, Meisterklasse
Oskar Kokoschka, eines Lebensfreundes, dessen Lösung des Raumproblems bei
kräftiger Farbsprache und "innerer Erziehung zum Wesentlichen" für
Goldschmidt bald zukunftsweisend wird. Suchend befindet sie sich immer
wieder auf Wanderschaft von Deutschland über New York, Frankreich, Italien
nach England, Österreich oder später auch Israel. Landschaften und deren
unterschiedliche Stimmungen dominieren vorübergehend ihr Œuvre.
Doch zentrales Thema bleibt für Hilde Goldschmidt bis ins hohe Alter der
Mensch und sein Abbild. 1939 muss die Jüdin das Land verlassen; sie emigriert nach England, wo sie großteils mit
der Verarbeitung von Pelz und Leder ihr Brot verdient. Die nächsten Jahre
bringen vorwiegend Porträts. Durch weitere Formvereinfachung und teilweise
grell-schockierendes Couleur, umfangen von dunklen Konturen, verströmen
Ölgemälde wie "Mutter mit Pelz" oder "Wachend und Träumend" die starken
inneren Spannungen eines "skizzierten Realismus", der eine
intensiv-emotionelle Erregung im Betrachter wachruft. Dem großzügigen
Bildgedanken des europäischen Expressionismus bleibt Goldschmidt auch nach
ihrer Rückkehr 1950 ins Haus am Rain treu. Sie entwickelt eine Kunst, die
den deutschen "Brücke"-Malern (Kirchner, Schmidt-Rottluff, Paula
Modersohn-Becker u. a.) durchaus ebenbürtig ist. Im schöpferischen
Spannungsfeld zwischen persönlichem Erleben und der Weltwirklichkeit tritt
die Malerin über kubistische Formerlebnisse ("Song of Venice", Öl) an die
Grenzen der Abstraktion, überschreitet diese aber nie. Hilde Goldschmidt
stirbt 1980 in Kitzbühel.HELGA REICHART Bis 20. Mai 2005, Mo-Do, 8-16 Uhr,
Fr., 8-15 Uhr. www.rlb-arts.at, |