DiePresse.com | Kultur | Kunst | Artikel DruckenArtikel drucken


Ausstellung im Mumok: Pumhösl und 2,88 Millionen Bäume

08.03.2011 | 18:36 | SABINE B.VOGEL (Die Presse)

Florian Pumhösl war 2003 auf der Biennale Venedig und 2007 auf der Documenta zu sehen. Jetzt fordert er das Wiener Publikum mit „678“ heraus. Die Ausstellung ist enorm anspruchsvoll.

678“ ist ein karger Ausstellungstitel. Er verspricht keine bunten Bilder. Es ist die pure Verknappung auf das Wesentliche: Auf den drei genannten Stockwerken des Mumok findet die Personale von Florian Pumhösl statt. Ebene 6 und 7 für seine Werke, die dritte für seine Neuaufstellung der hauseigenen Sammlung. Reduziert ist auch die ausgestellte Menge seiner Werke: auf zwei Filme und einen Glasbilderzyklus. Der eine Film ist ein „abstrakter Animationsfilm“, der zwischen farbigen Bildfeldern und schlichten Linien wechselt, der andere eine fast halbstündige Studie zu „Verwandtschaftsbeziehungen zwischen gestischer Abstraktion, Automatisierung und Trauma“. Der 48-teilige Bilderzyklus umkreist die Frage, ob es ein abstraktes Porträt geben kann.

Diese Ausstellung ist enorm anspruchsvoll, denn hier müssen die Betrachter genaues Schauen, jede Menge Vorwissen und eine große Bereitschaft mitbringen, permanent Querverbindungen zu denken. Schon seit seinem Studium umkreist das Werk des 1971 in Wien geborenen Künstlers die Epoche der Moderne und greift die Wanderwege der Abstraktion auf, isoliert einzelne Aspekte und lenkt unsere Aufmerksamkeit darauf, welche Bedeutungsveränderungen durch Medien- und Ortswechsel passieren und passierten. Vor allem stellt Pumhösl Verbindungen her: zwischen geografischen und kulturellen Kontexten, zwischen abstraktem Formenvokabular und gesellschaftlichen Ereignissen.

Im Mumok dient ihm hierfür eine aufgeschlagene stalinistische Zeitschrift, für die der russische Künstler Alexander Rodtschenko als Fotograf in den 1930er-Jahren in Karelien den Bau des Weißmeer-Ostsee-Kanals dokumentierte. 2,88 Millionen Bäume wurden damals dafür gefällt, lesen wir. Damit rückt Pumhösl die raue Wirklichkeit in den Blick.

 

Mit Abstraktion auf Abstraktion geschaut

Im nächsten Raum folgt der Film, der auf einer Gouache von Rodtschenko basiert – einem Bild, in dem Pumhösl die „Vorwegnahme von Jackson Pollocks Malstil“ sieht. Er bezieht sich aber nur im Filmtitel auf das gleichnamige Bild: „Expressiver Rhythmus“. Der Film selbst kombiniert Landschaftsaufnahmen aus Karelien mit Klavierstudien zu Charles Ives. „Expressiv“ ist hier gar nichts.

In jedem Detail steckt ein Bezug, jedes Element ist präzise durchdacht, jedes Werk perfekt präsentiert, und alles zusammen ergibt ein Netz, das als verzweigte Sicht ein anderes Bild der Moderne anbietet. Aber Pumhösl betrachtet dabei die Moderne mit den Mitteln der Moderne, schaut mit Abstraktion auf Abstraktion.

 

Bezugspunkt bleibt das Museum

Ob sein Versuch eines „abstrakten Porträts“, ob der „abstrakte Handlungs- oder Bewegungsraum“, den die Farben in dem Film „Track“ „markieren“ – Bezugspunkt all dieser Gedankenspiele ist nicht das Spannungsfeld zwischen Räumen und Zeiten, nicht das Leben, sondern nur das Museum. Anders als die von ihm zitierten Referenzen ist sein eigenes Werk, ist dieses Netz nicht sinnlich, sondern strengstens formal. Der Ausstellungstitel bringt es auf den Punkt: „678“. Man kann es zählen, aber nicht erleben. Man kann es denken, aber es bewegt nichts. In Gruppenausstellungen sind Pumhösls Werke in ihrer formalen Perfektion faszinierend, in der Neuaufstellung der Sammlung auf Ebene acht gelingt es ihm hervorragend, das Feld der Abstraktion weit zu öffnen. Aber in seiner Einzelausstellung treibt er die Abstraktion so weit, dass sich nur mehr wenige Spezialisten daran begeistern können.

Bis 29.Mai, Mo–So 10–18, Do 10–21 Uhr


© DiePresse.com