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Linzer Klangwolke: Der Zug der Zukunft

05.09.2010 | 18:40 | THOMAS KRAMAR (Die Presse)

"Baby Jet": Die Linzer Klangwolke war eine geglückte Parodie auf Kunst-und-Technologie-Hype. Das Künstlernetzwerk Lawine Torrèn wird den Donaupark in einen "rechnenden Raum" verwandeln.

Die Klangwolke 2010 realisiert ein Eisenbahnprojekt der Zukunft. Das Künstlernetzwerk Lawine Torrèn wird den Donaupark in einen ,rechnenden Raum‘ verwandeln. Drei Physiker des Projektteams stellen in einem Überschall-Event-Experiment den Zug der Zukunft live vor.“

Klingt wieder einmal wie eine unfreiwillige Parodie auf Kunst- und Wissenschafts-PR, dieser Pressetext zur Linzer Klangwolke, dachte man sich beim Überfliegen des Programmhefts. Und war angenehm überrascht, als sich dann bei der Aufführung im Donaupark herausstellte: Es ist eine Parodie!

Und zwar eine gelungene. Und eine notwendige. Denn solche marktschreierischen, zukunftsgeilen Texte gibt es zuhauf, beileibe nicht nur in den Katalogen der Ars Electronica (wo sie von Jahr zu Jahr erfreulicherweise seltener werden). Der oberösterreichische Künstler Hubert Lepka, der bereits 2005 eine ungewöhnlich intelligente Klangwolke („Teilung am Fluss“) gestaltet hat, kennt sie gut. Und er weiß offenbar genug über tatsächliche wissenschaftliche Forschung, um die Parodie stimmig zu machen.

 

Alice, Bob, Eve und die Supraleitung

So heißen die drei Hauptpersonen nicht zufällig Alice, Bob und Eve. Kryptografen nennen die Akteure bei der Übertragung einer Nachricht so: Alice will eine geheime Botschaft an Bob schicken, Eve (von „eavesdropper“, Lauscher) will das Geheimnis knacken. Diese Nomenklatur übernahmen die Physiker, die sich mit Teleportation und Quantenkommunikation befassen – und diese Gebiete sind ziemlich anfällig für einen Hype. So wie die Computertechnik: Darum ist die Alice im Stück auch die Großnichte des (realen) Computerpioniers Konrad Zuse. Und wie die Supraleitung, auf der Lepka die (fiktive) Technik seines (fiktiven) „Baby Jet“ aufbaut, und zwar so, dass es fast nach echter Technologie (z.B. von Magnetschwebebahnen in Japan) klingt, mit einschlägigem Vokabular („Cooper-Paare“, „Lorentzkraft“ etc.). Dazu kommen Anspielungen auf das sogenannte „größte Experiment der Menschheitsgeschichte“, den Teilchenbeschleuniger LHC des Cern in bzw. unter Genf: Über den „Baby Jet“ heißt es eingangs, er solle in einem kreisförmigen Tunnel unterhalb von Linz rasen...

So beginnt das Drama, live im Studio kommentiert vom Chefexperten Prof. Bruckmann: Triumphaler Hardrock begleitet die Tiraden übers „Reisen von morgen“, Alice Zuse (Silke Grabinger als archetypische Labormantelblondine) singt den fetzigen „Baby Jet Song“. Doch die futuristische Idylle zerbröselt in technischem und menschlichem Versagen, selbst Prof. Bruckmann muss Ratlosigkeit gestehen; nach dem Unfall tönt Swing aus dem Grammofon statt Zukunftsmusik; Alice, Bob und Eve zerstreiten sich, während die Handlung fast einem Agentendrama ähnelt: Am Ende findet sich die verzweifelt gesuchte Formel hinter einem Bild Konrad Zuses im Lentos-Museum!

 

Alle helfen mit ihren Handys!

In einer schicksalshaften Situation muss sogar das Publikum mithelfen: nicht wie im Kasperltheater durch Rufen, sondern – wie es sich für ein technologisches Drama gehört – durch Aufdrehen der Mobiltelefone.

So endete doch alles gut und idyllisch, und das Feuerwerk, ohne das keine Klangwolke vorstellbar ist, erleuchtete schließlich den Himmel über Linz. Lepka sparte auch sonst nicht an den – geschickt inszenierten– Versatzstücken des traditionsreichen Freiluftspektakels: Speedboote, Hubschrauber, Laser vom Pöstlingberg, alles da. Dazu, dem Thema entsprechend, ein echter Railjet und eine alte Dampflok. Die ÖBB – im Programmheft als Partner der „Arge Baby Jet“ genannt, die „dieses Verkehrsprojekt von der Realisierbarkeit bis zum Rapid Prototyping als ,Concept Train‘ entwickelt“ habe – hat sich nicht lumpen lassen. Und in einer Aussendung – nach der Aufführung! – ist sie sich weiterhin sicher: „Der Baby Jet wird neue Maßstäbe setzen.“


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