Salzburger Nachrichten am 10. Juli 2006 - Bereich: Kultur
Lausbubenstreiche in Disney World Das Symposium "Amadeus
steht Kopf" stellte im Salzburger Museum der Moderne das Thema "Kunst und
Öffentlichkeit" zur Diskussion.
Clemens panaglsalzburg (SN). Kai Vöckler versteht das ganze Theater
nicht: "Wir haben in Berlin auch mitbekommen, dass hier wegen der
,Kontracom‘-Kunstwerke etwas Aufregung herrscht", erklärt der
Berliner Künstler und "Urbanist". Als er schließlich selbst durch die
Altstadt marschiert sei, habe ihn aber vor allem die Harmlosigkeit der
"Provokationen" überrascht. "Einer Turmuhr eine Stunde zu klauen - das
bewegt sich doch auf dem Niveau von Lausbubenstreichen. Kann mir jemand
erklären, wo da die Aufregung herkommt?" Das "eigentliche Kunstwerk" sei das große Spektakel rund um
"Kontracom06": vom Festival über den brüllenden Volkszorn bis zum
zweitägigen Symposium, bei dem sich am Wochenende die Fachwelt mit dem
Thema "Kunst und Öffentlichkeit" auseinander setzte. "Amadeus steht Kopf" hieß die am Samstag und Sonntag abgehaltene Tagung
im Salzburger Museum der Moderne, mit dem sich die Veranstalter (MdM,
Salzburg Foundation, Galerie 5020) auf dem Mönchsberg nicht nur örtlich
über dem Niveau bewegen wollten, auf dem die rund um das Festival
zeitgenössischer Kunst entbrannten Debatten unten in der Altstadt
vonstatten gegangen sind. Künstler, Theoretiker und Kunstvermittler
stellten Fragen nach "Salzburgs Stadtbild im Kontext kollektiver
Geschichtsbilder" oder "Organisationsformen von Kunst im öffentlichen
Raum". Was heißt Kunst im öffentlichen Raum? In zwei Runden am
Samstagnachmittag ging es zunächst um die Frage "Wann ist Kunst
öffentlich?", danach um "Wahrnehmung, Sichtweisen und Vermittlung von
Kunst im öffentlichen Raum". Ist Öffentlichkeit etwas Gegebenes oder ein Konstrukt? Gibt es "die"
Öffentlichkeit oder nur fragmentarische Teilöffentlichkeiten? Der
Philosoph Stefan Nowotny stellte in seinem Impulsreferat zunächst den
Umgang mit dem Begriff zur Diskussion. Er definierte "Öffentlichkeit" als
"ein Prinzip der bürgerlichen Postmoderne". In Salzburg sei eine
"Hyperidentifikation" einer bürgerlichen Gesellschaft mit dem öffentlichen
Raum zu verzeichnen, den sie als für sich selbst repräsentativ empfinde.
Die Künstlerin Michaela Melián sah in Salzburgs Altstadt noch deutlicher
eine "Disney World". Aus Sicht der Salzburger sei "Kontracom06" kein Eindringen in ihren
öffentlichen, sondern in ihren privaten Raum, argumentierte hingegen der
Kunsthistoriker Thomas Zaumschirm, der zweite Impulsreferent des
Nachmittags. "Denn die Stadtbewohner begreifen die Plätze und Gassen als
Erweiterung ihrer Wohnungen." Wann ist ein öffentlicher Raum überhaupt ein öffentlicher Raum? Was ist
Kunst? Und was Geschmack? Wer ist schuld, wenn die Wahrnehmung eines
Kunstwerkes scheitert? Sind alle Medien Meinungsterroristen? Und: Gibt es
für die Adressaten von Kunst im öffentlichen Raum ein "Grundrecht, nicht
alles verstehen zu müssen" (Zaunschirm)? In der zweiten Diskussionsrunde (Podium: Kurator Thomas Kaestle und die
Kunstvermittler Nora Sternfeld und Peter Haas) wurde auch ein Problem des
Diskutierens über das weit gesteckte Themenfeld deutlich. Das
verdienstvolle Bemühen, sich dem Thema differenziert zu nähern, endete
(neben vielen durchwegs interessanten Einsichten) bisweilen im
Niemandsland zwischen erst recht verkürzter Argumentation und einer
Überdifferenzierung, die den Meinungsaustausch schon auf der Ebene der
Begrifflichkeiten bremste. Das letzte Wort in der Schlacht auf dem
Begriffsfeld behielt da Thomas Zaunschirm: "Wir reden hier doch harmonisch
aneinander vorbei." |