Salzburger Nachrichten am 17. November 2005 - Bereich: Kultur
Unerhörter Spaß

Einen vielbeachteten Höhepunkt hatte "Wien modern" am Dienstag mit der Uraufführung von Wolfgang Mitterers "Brachialsymphonie".

HEINZ RÖGLWIEN (SN). Lust und Spaß am Unerhörten, Unvorhersehbaren und Unerwarteten - das ist die eine Seite, die den Elektroniker, Organisten, Improvisator und Komponisten Wolfgang Mitterer ausmacht. Der gebürtige Osttiroler ist in den unterschiedlichsten Szenen präsent, seine Kompositionen und Performances werden von seriösen Donaueschingen-Feuilletonisten gleichermaßen geschätzt wie von Leuten der Jazz-, Noise- oder Elektroniksubkultur.

Doch weit gefehlt, Mitterers immer wieder neue, penibel durchdachte Verfahren und Spielanweisungen als sorglosen Bruitismus abzutun. Bereits in der Oper "massacre" nach Christopher Marlowe (uraufgeführt bei den Wiener Festwochen 2003) legte er sich diesbezüglich die kompositorische Latte hoch. Und auch seine jetzt bei Wien modern uraufgeführte, mit dem Erste Bank Bank-Kompositionspreis bedachte und mit dem Untertitel "brachialsymphonie" versehene Komposition für das Klangforum Wien strotzt geradezu vor Komplexität.

"Coloured noise" ist eine dicht und akribisch gewobene Spielanweisung, gewonnen aus gesampelten und neu gefilterten Bruchstücken früherer Stücke und Improvisationen, die den 22 Instrumentalisten einen im Zeitablauf minutiös strukturierten Leitfaden vorgibt. Den einzelnen Spielern sind innerhalb dieses engmaschigen Rasters zwischendurch auch Improvisationen sowie Freiheiten in Rhythmus und Tonhöhe möglich. Das Ergebnis ist ein vielschichtiges, stets bewundernswert durchsichtiges aufeinander bezogen Sein der vielen simultanen Einzelereignisse.

Massierte, geballte Cluster "farbigen Rauschens", zuweilen geradezu pathetisch aufgeladen, pendeln in dem in fünf "Sätzen" angeordneten Stück immer wieder in ruhigere, klanglich stets neu gefärbte und "gefilterte", unerhört delikate Abschnitte aus. Bedürfnisse nach Noise-Exzessen werden nur punktuell befriedigt. Das gilt auch für den von Mitterer selbst gespielten improvisatorischen Orgelpart, der vollständig ins Geschehen integriert ist. Es ist eine "Sinfonie", kein Konzert mit Orgel-Solo-Ausritten. Was man ein wenig bedauert: Nur selten erlaubt sich der Virtuose seines Instruments auf der großen Konzerthausorgel einmal richtig zu "fetzen".

"Brachial" bedeutet für Wolfgang Mitterer "organisch, vielgesichtig, körperlich", aber auch "fassungslos": Wiewohl in dem Stück von insgesamt 70 Minuten Dauer Spannungsbögen auch im Großen genau kalkuliert sind, erfordert das "am Ball bleiben" viel Konzentration beim Zuhören.