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13.10.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung | ||
Das Wort hat immer das letzte Wort | ||
VON THOMAS KRAMAR | ||
KUNSTHALLE WIEN. Eine reiche Retrospektive des US-Zeichners Raymond Pettibon. | ||
D
Nichts bleibt ohne Worte auf den Blättern Raymond
Pettibons, das Wort hat immer das letzte Wort. Nur nicht bei Martin
Luther, ihm überschreibt Pettibon eine völlig unlutherische Weisheit:
"Die Seiten, die Wahrheit enthalten, sind leer."
Pettibons Arbeiten sind keine Comics, nein. Aber
ihre Wirkungsweise ist die eines klassischen Comic-Strips: Das
Männchen, das über gezeichnete Löcher geht, bis es auf eines tritt, das
echt, das tief ist. Dann fällt es jäh ins Bodenlose. (Wie in einer der
härtesten Pettibon-Zeichnungen doch nicht die Selbstmörderin, für die
der Nachbar nämlich einen guten Rat hat: "Es gibt ein neues Medikament
namens Lithium.")
Man kann es trockener sagen: Pettibons Pointen sind
gute, bittere Pointen. Er hätte in Wien wohl als Humorzeichner
begonnen. In Los Angeles, wohin es ihn schon als Kind verschlagen
hatte, begann er in der Punk-Szene, mit Flyern, Plakaten, Plattencovern
für Band ("Black Flag") und Label ("SST", siehe Kasten) seines Bruders
Greg Ginn.
"I see my place in American waste / faced with
choices I can't take", war eine typische Zeile eines
"Black-Flag"-Textes: verspäteter Punk, dem es völlig am Charme der New
Wave fehlte, in die sich der Punk in England und an der Ostküste längst
entwickelt hatte. Im Westen, quasi im Hinterland der goldenen Strände,
musste man schnell klarstellen: Dort ist das "Promised Land", und hier
stehen wir, mitten im amerikanischen Müll, und können nicht anders.
Hardcore!
Aber dem süßen Gift der Selbstironie hält nichts auf
Dauer stand. Und so fanden sich bald Ohren, die hörten, dass genau
diese erbittert gelärmten Schwarzweiß-Darstellungen schon wieder etwas
Karikaturenhaftes hatten. Pettibons Ohren waren wohl solche: Die
grellen Cover, die er seinem Bruder malte, schrien schon "Post-Punk!",
als das Wort noch nicht üblich war, als das Präfix "post" noch exklusiv
den Hippies - denen Pettibon etliche böse Blätter widmet - zustand.
Seine Produktionsweise freilich war straight punk:
ausschneiden, kleben, kopieren, heften. Und sammeln: Alles ist
Material, komponierbar zu kleinen Sinnstiftungsgazetten, "Fanzines"
genannt. Pettibon hat eine Unmenge davon herausgegeben, mit Titeln wie
"Freud's Universe", "Wein, Weib, und Gesang", "A New Wave of Violence",
"The Observable World". Sie füllen zwei Vitrinen in der Ausstellung,
die etwas kongenial Obsessives, Sammlerisches an sich hat, mit ihren
Flohmarkt-Schaukästen, den Kopfhörern, die genau die richtige Musik
bieten (Charles Manson etwa), mit ihrer engen, betont nicht großzügigen
Hängung.
Natürlich ist das alles viel, erschlägt einen in
seinem Wort- und Sinn- und Grimmreichtum wie 1000 Strophen von Bob
Dylans "Desolation Row". Doch dann zieht einen wieder eine Zeichnung
an, die noch tiefer wirkt. Die abstrakteste von allen etwa: wilde
schwarze Striche über einer weißen Öffnung im Blau, darunter die
Erklärung: "My soul, as far as I understood it." Da sagt man nichts
mehr.
Oder eines noch: Missglückt ist nur die große weiße
Fläche, die Pettibon in Wien bemalt hat. Erstens, weil er mit ihr so
viel anzufangen weiß wie ein Aphorist mit einem Romanauftrag, zweitens,
weil man seine Schrift hier nicht lesen kann. Und wenn man Pettibon
nicht lesen kann, dann hat er nicht das letzte Wort. Das gehört ihm
aber.
Bis 25. Februar, tägl. 10-19, Do. 10-22 Uhr
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