DIE ZEIT


26/2004 

Kunst und Welt flirten miteinander

Die Manifesta 5 in San Sebastián entdeckt das Persönliche im Politischen

Von Merten Worthmann

Der große Auftritt gehört der stillgelegten Bootswerft Ondartxo, die in einer grünen Flanke der Hafenbucht von Pasaia verfällt. Das Beiprogramm bestreitet der belgische Künstler Jan de Cock. Er hat in die ausgemusterte Anlage eine wuchernde Sperrholzstruktur hineingebaut. Das Denkmal 2 füllt eine ganze Halle und breitet sich aus bis in den Keller und aufs Dach. Es wirkt wie ein hölzernes, rechtwinkliges Spinnengewebe, an dem man womöglich ewig weiterzimmern könnte. Mal scheint es sich aufzubäumen, mal scheint es sich anzuschmiegen, als sei es noch auf der Suche nach einem eigenen festen Platz inmitten des mächtigen architektonischen Rahmens.

Denkmal 2 ist ein Ausnahmewerk der Manifesta 5 – weil es den schönsten Ort der Kunstbiennale ganz für sich allein hat und damit wunderbar umzugehen weiß. Es ist allerdings zugleich ein repräsentatives Werk – weil es ins Herz der Ausstellung trifft und dessen zentrale Achse noch einmal abschließend umwälzt. Sie handelt, unausgesprochen, von der Bewohnbarkeit der Welt, von der Behauptung eines persönlichen Lebensraums, und spielt damit auch auf die Sorgen des Umlandes an.

Die Manifesta, auf zeitgenössische, vornehmlich junge Kunst aus Europa konzentriert, gastiert alle zwei Jahre in einer anderen Stadt. Zuletzt hatte sie in Frankfurt festgemacht, 2006 wird Nikosia angesteuert. In diesem Jahr ist Donostia an der Reihe, beziehungsweise San Sebastián, je nachdem, ob man die Stadt bei ihrem baskischen oder bei ihrem spanischen Namen nennen will. Hinter der Zweisprachigkeit verbirgt sich bekanntlich der Konflikt um die Vorherrschaft im Baskenland. Die Eta droht nach wie vor mit Anschlägen, nationalistische Parteien beherrschen den politischen Diskurs.

Die Kuratoren der Biennale, Marta Kuzma aus der Ukraine und Massimiliano Gioni aus Italien, möchten sich lieber auf keine der beiden Seiten schlagen. Dem kämpferischen Namen zum Trotz ist die Manifesta diesmal eher auf Innerlichkeit verpflichtet. „Unser Hirn ist ein Labyrinth, manchmal noch verwickelter als die Welt da draußen“, schreibt Gioni im Katalog und rechtfertigt damit das Übergewicht persönlicher Arbeiten. Der Brite Jeremy Deller, einer von knapp 60 beteiligten Künstlern, hat die Perspektive der Kuratoren zur Eröffnung in eine „politische“ Demonstration durch die Straßen von San Sebastián zurückübersetzt. Auf seiner Parade durften nur Organisationen mitmarschieren, die keine Rolle spielen im gewöhnlichen nationalistischen Schaukampf: die Freunde des Tangos, der Fechtverein, eine Abordnung der Gay Pride. Ein Umzug voll friedlicher Koexistenz – als Signal gegen den Kalten Krieg des Regionalismus.

Dellers Aktion hatte zwar nur begrenzten Unterhaltungswert. Sie markierte aber einen entscheidenden Frontverlauf. Wo persönliche und allgemeine Lebensräume aufeinander treffen, da nisten die interessantesten Arbeiten der Manifesta 5. Carlos Bungas Kursaal Project etwa, eine riesige Pappbehausung, die der Portugiese zum Auftakt von innen her niederriss; übrig geblieben ist für die Dauer der Ausstellung eine Papierruine, deren ineinander gefaltete Wände an die Schichtung von Caspar David Friedrichs Eismeer erinnern. John Bock lässt in seinem Video Gast einen Hasen durch eine selbst gebastelte Welt in Zimmergröße irren, als ginge es um eine neue Entdeckungsreise des Simplicissimus. Und David Zink Yi, Peruaner mit Wohnsitz Berlin, tanzt in La Cumbia mit zwei Fingern auf der eigenen Haut herum und geht auf diese Weise der Heimatlosigkeit seines Körpers nach.

Mitunter sackt das Persönliche ins Private ab, und ein Werk scheint sich partout gegen fremden Zutritt zu sträuben. Aber immer wieder wird die Tür aufgestoßen, und man darf an einem Rätsel teilhaben. Und in Ondartxo – am Ende des langen Parcours, draußen in der Bucht – passt schließlich für einen Augenblick alles zusammen. Die Kunst und die Welt flirten miteinander. Auf dem grasbewachsenen Dach des Docks sorgt eine alte Palme für Idylle, während de Cocks Sperrholz elegant am Geländer emporwächst. Wir setzen uns auf die alte rote Bank dazwischen und haben unseren Lebensraum gefunden, wenigstens für eine halbe Stunde.

Bis zum 30.9.; Infos unter www.manifesta.es